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Mit dem EU Listing Act wird das Ziel verfolgt, Hindernisse für die kapitalmarktgestützte Unternehmensfinanzierung zu ­beseitigen, um auch dem Mittelstand den Weg an die Börse zu ebnen. Bei der Nachhaltigkeit liegt ein Schwerpunkt noch immer auf der Berichterstattung. Zudem intensiviert sich die Debatte um menschen- und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in Liefer- bzw. Wertschöpfungsketten. Die wichtigsten Vorhaben im Überblick. 

Mit Spannung war kurz vor der Jahreswende die Veröffentlichung des EU-Kommissionsvorschlags zum EU Listing Act erwartet worden. Dieser wird als wichtiger Baustein zur Vollendung der europäischen Kapitalmarktunion gesehen. Ziel ist es, den Kapitalmarktzugang vor allem für kleinere Unternehmen zu vereinfachen, um für sie eine Finanzierungsalternative zum Bankkredit zu schaffen.

Unternehmen des Mittelstands scheuen noch immer die Notierung an der Börse aufgrund der hohen Anforderungen, die damit verbunden sind. Beispielhaft ist die Prospektpflicht. Nicht selten erstrecken sich Wertpapierprospekte auf mehrere Hundert Seiten. Solchen Bürokratielasten möchte die Kommission mit dem Listing Act entgegenwirken und die Dokumentation, die Unternehmen für eine Notierung an öffentlichen Märkten benötigen, verschlanken und vereinfachen. Daneben sollen die Kontrollverfahren durch die nationalen Aufsichtsbehörden gestrafft werden, um Zulassungsverfahren zu beschleunigen und Kosten zu senken.

Überdies ist eine Vereinfachung der Ad-hoc-Publizitätspflichten innerhalb der Markt­missbrauchsverordnung vorgesehen, um bürokratische Lasten, die ohne evidenten Mehrwert für die Investoren sind, für die Emittenten zu beseitigen. Das ist zu begrüßen. Vor allem der Umgang mit zeitlich ­gestreckten Sachverhalten, bei denen nach geltendem Recht grundsätzlich schon einzelne Zwischenschritte eine Ad-hoc-Meldepflicht auslösen können, ist für Emittenten sehr aufwendig. Sofern Zwischenschritte gänzlich von der Ad-hoc-Publizitätspflicht befreit werden, wäre dies eine große Erleichterung. Notwendig dafür wäre allerdings ein klarer und unmissverständlicher Wortlaut im Kommissionsvorschlag, welcher bislang fehlt. Es bleibt zu hoffen, dass im EU-Gesetzgebungsverfahren, das in Kürze starten wird, bei diesem Punkt Klarheit geschaffen werden kann.

Der Listing Act soll Unternehmern ferner ermöglichen, bei einer Notierung an KMU-Wachstumsmärkten Mehrstimmrechtsaktien auszugeben, u.a. damit Unternehmensgründer auch nach der Notierung eine ausreichende Kontrolle über das ­Unternehmen behalten können. Auf nationaler Ebene bringt die Diskussion um das Zukunftsfinanzierungsgesetz einen ähnlichen Vorschlag ins Spiel. Nicht nachvollziehbar ist, dass sich der Kommissionsvorschlag zu Mehrstimmrechtsaktien auf das KMU-Segment beschränkt. Angesichts des großen Kapitalbedarfs, der infolge der ­gegenwärtigen Krise besteht, sollten alle Gesellschaften unabhängig von ihrer Größe von Mehrstimmrechtsaktien profitieren dürfen. Man darf gespannt sein, wie sich die Gesetzgebungsverfahren in Berlin und Brüssel entwickeln und ob sie sich in diesem Punkt annähern werden.

European Market Infrastructure Regulation (EMIR)

Im Gegensatz zum Listing Act wird der ­Revisionsvorschlag der EU-Kommission für die europäische Derivateverordnung EMIR leider nicht vom Ziel getragen, bürokratische Lasten abzubauen. Zwar werden bei der Berechnung von Clearingschwellen für Derivate wie auch bei der Stellung von Sicherheiten Erleichterungen zugunsten der Unternehmen geschaffen. Ein herber Rückschlag für die Wirtschaft bleibt die ersatzlose Streichung der Ausnahmeregelung vom Intragroup-Reporting. Eine Folge davon wäre, dass die Unternehmen komplexe und umfangreiche Intragroup-­Reporting-Systeme aufbauen müssten. Dies wäre mit einem hohen Aufwand verbunden. Warum die EU-Kommission die erst vor zwei Jahren verabschiedete Ausnahmeregel zur Meldung/Berichterstattung über konzerninterne Transaktionen wieder revidieren will, ist nicht ersichtlich. Die hierdurch gewonnenen Informationen sind weder für Aufsichtszwecke noch für d­as Risikomanagement von Nutzen. Unter dem Gesichtspunkt des Risikomanagements ist nur erheblich, dass ein Risiko innerhalb ­eines Konzerns besteht, nicht aber bei welcher Konzerngesellschaft.

European Sustainability Reporting Standards

Die Entwicklung der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) durch das Sustainability Reporting Board der EFRAG schreitet weiter mit großem Tempo voran. Nachdem im November vergangenen Jahres zwölf sektoragnostische Standards an die EU-Kommission übergeben worden sind, werden derzeit Standards für den Mittelstand sowie sektorspezifische Berichtsstandards entwickelt. Im laufenden Jahr geht es bei letzteren um die fünf Industriebereiche Oil and Gas, Coal, Quarrying and Mining, Road Transport, Automotive sowie Agriculture. Die Entwicklung gestaltet sich kompliziert. Derzeit sieht es danach aus, dass die sektorspezifischen Standards eine vergleichbare Komplexität haben werden wie die sektoragnostischen Berichtsstandards. Diese haben wegen ihrer Granularität und hohen Komplexität die Kritik vieler Stakeholder auf sich gezogen.

Bei der EU-Kommission läuft derweil das Verfahren zur Übernahme der sektoragnostischen ESRS in Form delegierter Rechtsakte, wie es die Corporate Sustain­ability Reporting Directive (CSRD) vorsieht. Dabei stellt sich noch immer die Frage, wie die Interoperabilität des europäischen Standardwerks mit den Standards inter­nationaler Standardsetzer wie der Global Reporting Initiative (GRI) oder des Inter­national Sustainability Standards Board (ISSB) gewährleistet werden kann. Eine zeitnahe Klärung dieser Frage ist von hoher Bedeutung, da die Unternehmen ansonsten Gefahr laufen, doppelt bzw. nach mehreren Standards berichten zu müssen.

Auf nationaler Ebene laufen unterdessen erste Arbeiten an der Umsetzung der CSRD. Allem Vernehmen nach ist zur Jahresmitte mit einem Referentenentwurf aus dem federführend zuständigen Berliner ­Ministerium zu rechnen.

CSDDD – Verfahrensstand/Einbeziehung von Finanzdienstleistern

Im Fokus der Legislativdebatte um die Corporate Sustainability Due Diligence Direc­tive (CSDDD) zur EU-weiten Implementierung von Sorgfaltspflichten in Liefer- bzw. Wertschöpfungsketten stehen derzeit die Verhandlungen um die Kompromissänderungsanträge. Diese sind schwierig und äußerst komplex. Allein im federführenden Rechtsausschuss des Europäischen Parlaments, JURI, sind zum Berichtsentwurf von Lara Wolters (S&D, Niederlande) zur CSDDD fast 1.800 Änderungsanträge eingereicht worden, die Anträge der 13 mitberatenden Parlamentsausschüsse nicht mitgerechnet. Es dürfte in der Geschichte des Europäischen Parlaments nicht viele Dossiers geben, die eine vergleichbare Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben. Die Herausforderung ist nun, eine Position zu finden, die alle entscheidenden politischen Kräfte mittragen können. Ob ein Konsens gelingen kann, ist derzeit fraglich: Denn die Vorstellungen über die konkrete Ausgestaltung der Sorgfaltspflichten, ihren Anwendungsbereich sowie Haftungsvorschriften und Sanktionen liegen weit auseinander.

Abstimmung auf Ende April verschoben

Eine schnelle Besserung der Lage ist aktuell nicht in Sicht. Indiz dafür ist, dass die Abstimmung über das Dossier im Rechtsausschuss von März auf Ende April verschoben wurde. Der EU-Kommissionsvorschlag zur CSDDD sowie der Berichtsentwurf von Lara Wolters und die derzeitigen Diskussionsbeiträge aus dem Europäischen Parlament gehen teilweise weit über das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hinaus. Vor diesem Hintergrund bleibt zu hoffen, dass die Bundesregierung für die laufende Brüsseler Debatte sensibilisiert ist und sich in den zukünftigen Trilogen für verhältnismäßige Regelungen einsetzt, die sich an die Ratsposition vom Dezember 2022 anlehnen.

So berücksichtigt die allgemeine Ausrichtung des Rates den risikobasierten Ansatz mit der Folge, dass Unternehmen nachteilige Auswirkungen priorisieren können, wenn es nicht machbar ist, alle nachteiligen Auswirkungen gleichzeitig und vollumfassend zu beseitigen. Berücksichtigt werden zudem Industriekooperationen, Branchenprogramme und Multi-Stakeholder-Initiativen, die Unternehmen bei der Erfüllung der in der Richtlinie festgelegten Sorgfaltspflichten unterstützen.

Beschränkung auf „Lieferketten“-Ansatz

Daneben verwirft der Rat mit seinem Konzept der „Aktivitätskette“ den Ansatz der von der Kommission vorgeschlagenen „Wertschöpfungskette“ über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts und beschränkt sich weitestgehend auf einen „Lieferketten“-­Ansatz. Die Phase der Nutzung der Produkte oder die Erbringung von Dienstleistungen werden dabei ausgeschlossen.

Die zivilrechtliche Haftung wird präzisiert, um mehr Rechtssicherheit zu schaffen und unangemessene Eingriffe in das ­nationalstaatliche Deliktsrecht zu vermeiden. So können Unternehmen nur haftbar gemacht werden, wenn eine Pflichtverletzung, ein Schaden, Kausalität und Verschulden vorliegen.

Die Verpflichtung zur Erstellung eines Plans zur Transformation des Geschäfts­modells hin zur Klimaneutralität bleibt zwar bestehen, wird jedoch stärker an die CSRD angepasst. Die im Kommissionsvorschlag enthaltenen Bestimmungen über die Pflichten der Geschäftsführung wurden gestrichen.

Derzeit lässt sich nicht vorhersagen, ob sich diese Eckpunkte in den Trilogverhandlungen durchsetzen werden. Das hängt auch davon ab, wie sich das Europäische Parlament positionieren wird und ob es gelingen kann, eine fraktionsübergreifende Verhandlungsposition für die Triloge zu finden. Dass Letztere noch im laufenden Halbjahr unter schwedischer Ratspräsidentschaft beginnen, erscheint zunehmend unwahrscheinlich. Damit läge es bei der spanischen Ratspräsidentschaft, die Verhandlungen im zweiten Halbjahr 2023 entscheidend voranzutreiben.

Fazit

Auch im Jahr 2023 steht das europäische Kapitalmarktrecht vor entscheidenden Weichenstellungen. Es bleibt zu hoffen, dass den Brüsseler Akteuren der Spagat zwischen der Sicherstellung der kapitalmarktgestützten Unternehmensfinanzierung einerseits und der Transformation zu einer nachhaltigen Wirtschaft andererseits gelingen wird – eine Herkulesaufgabe.

Autor/Autorin

Jan Bremer

Jan Bremer ist Leiter des EU-Verbindungsbüros in Brüssel beim Deutschen Aktieninstitut.