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Deutschland steht davor, Mehrstimmrechte bei Namensaktien wieder einzuführen. Auslöser sind der EU Listing Act und das deutsche Zukunftsfinanzierungsgesetz (ZuFinG), die beide das Ziel verfolgen, den Kapitalmarkt in der EU und Deutschland attraktiver zu machen.
Nach dem EU Listing Act wird Deutschland verpflichtet, für Unternehmen, die ihre Aktien an einem KMU-Wachstumsmarkt zulassen möchten, Mehrstimmaktien zu ermöglichen. Nach dem Entwurf des ZuFinG sollen Mehrstimmrechte bei Namensaktien umfassend auch außerhalb der Börse eingeführt und damit ein Hindernis für Börsengänge beseitigt werden.
Aktien mit Mehrstimmrechten ermöglichen es einem Aktionär, über seinen Anteil am Grundkapital hinausgehende Stimmrechte wahrzunehmen. Insbesondere in Start-ups und Wachstumsunternehmen bieten diese Dual Class Shares eine Möglichkeit für Gründer und Ankerinvestoren, die strategische Kontrolle über ein Unternehmen zu behalten, auch wenn sie weitere Investoren und Eigenkapital aufnehmen. Bisher gilt in Deutschland, gleich ob Namens- oder Inhaberaktie, das Prinzip One Share, one Vote.
Historie
Aufgrund der Erfahrungen in der Weimarer Zeit, in der Mehrstimmaktien Unternehmen vor allem vor Überfremdung durch ausländische Investoren schützen sollten, und umfassenden Diskussionen über deren Auswirkungen, wurden Mehrstimmrechte in Deutschland für Aktien am 1. Mai 1998 nach § 12 Abs. 2 AktG umfassend verboten.
Der Einfluss von Aktionären kann derzeit über stimmrechtslose Vorzugsaktien nach § 139 AktG, die einen Vorzug beim Gewinn meistens über Vorab- oder Mehrdividende gewähren, durch Höchststimmrechte nach § 134 AktG oder über die KGaA eingeschränkt werden. International sind Mehrstimmrechte auch bei Aktien zulässig und teilweise sehr populär (z.B. in den USA).
Aktueller Gesetzesvorschlag: Einführung, Ausgestaltung und Erlöschen
Der aktuelle Vorschlag in § 134-E AktG nach dem ZuFinG sieht die Einführung von Mehrstimmrechten bei Namensaktien für die Aktiengesellschaft, die SE und auch die KGaA vor. Die Einführung nur für Namens- und nicht auch Inhaberaktien wird mit der engen Bindung zwischen Aktie und Aktionär begründet. Der Vorschlag geht damit über die Anforderung des EU Listing Act hinaus, der sich nur auf Aktien bezieht, die an einem KMU-Wachstumsmarkt zugelassen werden sollen. Angesichts der historischen Erfahrungen wird die umfassende Einführung vielfach kritisiert.
Zugleich sieht der Entwurf des ZuFinG Schutzmechanismen für Minderheitsaktionäre vor:
- Nach § 134-E Abs. 2 AktG bedarf die Einführung von Mehrstimmrechten der Zustimmung aller betroffenen Aktionäre und Aufnahme in der Satzung. Die Einführung wird damit regelmäßig vor einem Börsengang oder Aufnahme einer Vielzahl von Aktionären erfolgen. Die Zustimmungspflicht der Aktionäre hat auch zur Folge, dass Aktien mit Mehrstimmrechten nicht im Wege einer Kapitalerhöhung aus genehmigtem Kapital ausgegeben werden können.
- Die Anzahl der Stimmrechte darf das Zehnfache des Stimmrechts nicht übersteigen. Dies kann bei geringer Kapitalbeteiligung einen erheblichen Stimmeinfluss bedeuten.
Für börsennotierte Gesellschaften sind zudem Erlöschensregeln, sogenannte Sunset-Regelungen vorgesehen. Diese gelten damit nur für Gesellschaften, deren Aktien im regulierten Markt zum Handel zugelassen sind. Gesellschaften, deren Aktien gar nicht gehandelt werden oder „nur“ zum Handel im Freiverkehr inkl. Wachstumsmarkt einbezogen sind, gelten diese Sunset-Regelungen nicht.
- Bei der Übertragung von Aktien mit Mehrstimmrechten, die börsennotiert sind, erlischt das Mehrstimmrecht. Dies gilt nach dem aktuellen Verständnis des Entwurfs nicht, wenn Anteile an einer Beteiligungsgesellschaft übertragen werden, die selbst Aktien mit Mehrstimmrechten hält.
- Die Mehrstimmrechte erlöschen spätestens zehn Jahre nach der Börsennotierung, wenn keine Verlängerung beschlossen wird. Frühestens ein Jahr vor Ablauf dieser Frist kann ein Beschluss über die Verlängerung von bis zu zehn weiteren Jahren gefasst werden. Dieser Beschluss bedarf einer Mehrheit von mindestens drei Vierteln des bei der Beschlussfassung vertretenen Grundkapitals. Die Satzung kann aber auch eine größere Kapitalmehrheit bestimmen und weitere Erfordernisse aufstellen.
- Die Satzung kann nach der Gesetzesbegründung weitere Erlöschensregelungen vorsehen. Dies sollte auch für nicht börsennotierte Gesellschaften zulässig sein, wobei sich die Kommentatoren uneinig sind.
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass das Mehrstimmrecht unabhängig von einer Vinkulierung der Namensaktien gewährt werden kann. Daran wird auch Kritik geäußert.
Die Mehrstimmrechte beeinflussen nur Beschlüsse der Hauptversammlung, bei denen das Aktiengesetz eine Stimmrechtsmehrheit vorsieht, wie Beschlüsse über die Feststellung des Jahresabschlusses, Gewinnverwendung oder die Wahl der Aufsichtsräte. Sofern das Gesetz wie bei Satzungsänderungen nach § 179 Abs. 2 AktG eine Kapitalmehrheit verlangt, wird diese durch die Mehrstimmrechte nicht beeinflusst.
Bei der Strukturierung von Mehrstimmrechten in börsennotierten Gesellschaften sollte beachtet werden, dass deren Wegfall zu einem Pflichtangebot eines anderen Aktionärs führen kann, wenn dieser dadurch die Kontrolle entsprechend dem WpÜG erlangt.
Start-ups: Umwandlung einer GmbH in einer Aktiengesellschaft
Bei Start-ups, die häufig in der Rechtsform der GmbH gegründet werden, kann die Satzung Mehrstimmrechte nach § 47 Abs. 2 GmbHG vorsehen. Sie kann den Gründern den Einfluss über ihren Kapitalanteil hinaus sichern. Bei einem starken Wachstum stellt sich häufig die Frage einer Umwandlung in einer Aktiengesellschaft, z.B. für ein Crowdfunding über die Emission von Aktien oder Vorbereitung eines Börsengangs. Dies hätte nach derzeitiger Rechtslage zur Folge, dass die Mehrstimmrechte erlöschen.
Nach der Gesetzesbegründung zu § 134-E AktG sollen die Mehrstimmrechte in der umgewandelten Aktiengesellschaft erhalten bleiben, wenn die Regelung mit den Vorgaben des § 134-E Abs. 2 AktG vereinbar ist. Dabei ist insbesondere das Verhältnis der Mehrstimmrechtsaktien von eins zu zehn zu wahren und das Mehrstimmrecht sollte in der Satzung der GmbH bereits vereinbart sein. Da Börsengänge von Start-ups häufig zu einer Handelsaufnahme im Freiverkehr führen, gelten die gesetzlichen Erlöschensregelungen zudem nicht.
Familienunternehmen: Generationenwechsel vorbereiten
Die vorgeschlagenen Mehrstimmrechte bieten zudem interessante Gestaltungsmöglichkeiten für Familienunternehmen. Dies gilt sowohl für den Generationswechsel als auch für die Aufnahme von Investoren. Der Gründer kann, solange er alle Anteile und Stimmrechte hält, Mehrstimmrechte einführen. Er kann damit Aktien bereits an die nächste Generation abgeben, zugleich aber wesentlichen Einfluss über Mehrstimmrechte und Vorzugsaktien behalten. Nur soweit es auf die Kapitalmehrheit bei Beschlüssen ankommt, führen die Mehrstimmrechte nicht zu einem erhöhten Einfluss. Ebenso ist zu beachten, dass eine Übertragung der Aktien mit Mehrstimmrechten bei nicht börsennotierten Gesellschaften nur dann zu einem Erlöschen der Mehrstimmrechte führt, wenn dies gesondert vereinbart ist.
Dabei sollte auch außerhalb der Börse mit der Satzung vereinbar sein, dass die Mehrstimmrechte erlöschen können. Solche Erlöschungsgründe können Zeitablauf, Schenkung oder Todesfall sein.
Fazit
Es ist damit zu rechnen, dass Mehrstimmrechte für Namensaktien in Deutschland umfassend eingeführt werden. Nicht nur für Gesellschaften im Kapitalmarkt, sondern auch für Start-ups, Familienunternehmen und Unternehmen, deren Aktien im Freiverkehr gehandelt werden, bieten sich diese interessanten Gestaltungsmöglichkeiten an.