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Spürbare Erholung der Dealaktivität erwartet
Schlechte Konjunkturprognosen, hohe Energiekosten, rückläufiger Konsum, hohe Zinsen und der anhaltende Krieg in der Ukraine haben die M&A-Aktivität deutscher Unternehmen in den vergangenen 20 Monaten stark leiden lassen. Insgesamt war im Jahr 2023 die Dealanzahl im Mid- und Large-Segment unseren Schätzungen zufolge um etwa 35% eingebrochen. Trotz der allgemein gedrückten Stimmung spricht jedoch einiges dafür, dass sich der Markt für Fusionen und Übernahmen im kommenden Jahr deutlich erholen wird. Von Dr. Michael R. Drill
Top Ten angekündigte Deals mit deutschen Zielunternehmen 1–8/2024
Zielunternehmen | Sektor | Wert in Mio. EUR | Verkäufer | Käufer |
Covestro | Chemicals | 14,412 | Streubesitz | Abu Dhabi National Oil |
Encavis | Energy | 4,222 | Abacon | KKR & Viessmann |
Aareon | Software | 3,900 | Advent | TPG |
Innomotics | Industrials | 3,500 | Siemens | KPS Capital |
WIGA | Energy | 3,000 | Wintershall Dea | German Federal State |
MorphoSys | Pharma | 2,561 | Streubesitz | Novartis |
Sunrise Medical | Healthcare | 1,500 | Nordic Capital | Platinum Equity |
Evonik Superabsorber | Chemicals | 1,125 | Evonik | ICIG |
Cardior Pharma | Pharma | 1,025 | Privatpersonen | Novo Nordisk |
KaDeWe property | Immobilien | 1,000 | SIGNA | Central Group |
Quelle: Lincoln International
In Zeiten enormer Unsicherheiten ist es nicht einfach, zwischen Käufer und Verkäufer eine Einigung bei der Unternehmensbewertung zu finden. Zudem sind Konzerne vorsichtig geworden und halten sich mit riskanten, großen Übernahmen dezent zurück. Gleichwohl gibt es nach wie vor zahlreiche Treiber für Fusionen und Übernahmen: Höhere Anforderungen an die kritische Unternehmensgröße, Nachfolgethemen und die wachsende Bedeutung digitaler Geschäftsmodelle und KI-Anwendungen zwingen viele mittelständische
Unternehmen zu mutigen Akquisitionsstrategien oder zum Verkauf an einen größeren oder finanzstarken Partner. Zudem verfügen Private-Equity-Investoren über beträchtliche Bargeldbestände und stehen damit unter enormem Anlagedruck, für die eingesammelten Gelder passende Akquisitionskandidaten zu finden.
Zahlreiche Unternehmen von Finanzinvestoren stehen vor Exit
Derweil ist es an der Zeit, die zahlreichen Portfoliounternehmen, die Finanzinvestoren in den vergangenen fünf bis sechs Jahren erworben haben, in den Exit zu bringen. Und schließlich verleiten die anhaltend hohen Aktienkurse börsennotierter Großkonzerne Vorstände dazu, aktiv über Zukäufe nachzudenken. Vielerorts lassen sich die aktuellen Bewertungen nämlich nur dann nachhaltig rechtfertigen, wenn die Unternehmen nicht nur organisch, sondern insbesondere auch anorganisch wachsen. Herausforderungen im Kerngeschäft erfordern von deutschen Großkonzernen eine ständige Prüfung ihres Unternehmensportfolios. Weitere Gründe für das zunehmend schnelle „Drehen“ von Konzernportfolios sind der steigende Druck von aktivistischen Großaktionären. In der Konsequenz führt dies dazu, dass viele Firmen es sich nicht mehr leisten können, Portfolioarrondierungen auf die lange Bank zu schieben.
ESG-Themen werden weiter an Bedeutung gewinnen
In den kommenden Jahren werden ESGThemen bei Großkonzernen, Private-Equity- Firmen und finanzierenden Banken weiter an Bedeutung gewinnen. Die Einhaltung von Umweltrichtlinien, die Förderung von Diversität und vorbildliche Geschäftspraktiken fallen bei Akquisitions- und Desinvestitionsentscheidungen immer stärker ins Gewicht. Gerade auch die Dekarbonisierung und die allgemeine Energiewende werden Unternehmen dazu
veranlassen, umweltfreundliche Technologien und Kernkompetenzen zu erwerben. Fusionen und Übernahmen sind zunehmend ein wichtiges Managementinstrument, um das eigene ESGProfil zu verbessern. Angesichts dieses breiten Spektrums an Motivationen sind Fusionen und Übernahmen Teil des strategischen Instrumentariums eines jeden CEO geworden. Führungskräfte erkennen, dass anorganische Wachstumsstrategien oft der beste Weg sind, um nachhaltige Wachstumsambitionen zu sichern und Transformationsziele zu erreichen. In nahezu allen Branchen werden Fusionen und Übernahmen stattfinden, wobei der Anteil konjunkturunabhängiger Branchen weiter zulasten der zyklischen Industriesektoren zunehmen wird. Überdurchschnittliche M&A-Aktivitäten sehen wir in den Bereichen Software, künstliche Intelligenz, Digitalisierung, Infrastruktur, erneuerbare Energien, Technologie, Medizintechnik und Gesundheitswesen. Eine Sonderkonjunktur bei M&A erwarten wir zudem im zunehmend unter Druck geratenen Einzelhandel und in der schwächelnden Automobilzuliefererindustrie. Gerade in diesen Sektoren bieten sich Chancen durch Distressed M&A, Turnarounds oder Restrukturierungen. Eine sich abschwächende Entwicklung sehen wir hingegen im Maschinen- und Anlagenbau sowie im Chemiesektor.
ZEHN THESEN ZUM DEUTSCHEN M&A-MARKT 2025
- Anzahl Deals mit deutschen Targets etwa 20% höher als im Vorjahr
- Mid-Cap-Segment deutlich aktiver als Large-Cap-Segment (Deals > 1 Mrd. EUR)
- Strategische Käufer setzen sich in der Regel gegen Finanzinvestoren durch
- Bewertungsmultiplikatoren bleiben weiterhin unter den Höchstständen 2021 und 2022
- Stark unterschiedliche Transaktionsdynamik nach Branchen
- USA weiterhin wichtigste Käufer- und Target-Nation für deutsche Firmen
- Corporate Divestments bei DAX- und MDAX-Konzernen nehmen zu
- Haltedauer von Private-Equity-Beteiligungen nimmt weiter zu
- KI und ESG spielen bei M&A-Prozessen und -entscheidungen eine immer wichtigere Rolle
- W&I-Versicherungen werden bei mittelgroßen Deals ab 100 Mio. EUR zum Standardtool
„In nahezu allen Branchen
werden Fusionen und
Übernahmen stattfinden.“
Anteil von Cross-Border-Deals weiterhin auf hohem Niveau
Wir gehen davon aus, dass der Anteil grenzüberschreitender Deals 2024 mit etwa 70% weiterhin auf hohem Niveau bleiben wird. Wie in den Vorjahren werden hierbei Ausländer mehr Unternehmen in Deutschland akquirieren als umgekehrt. Wichtigste Käufer- und Target-Nation für deutsche Unternehmen sind mit großem Abstand ganz klar die USA, gefolgt von Großbritannien und Frankreich. Die aktuell hohen Kaufpreise dürften aufgrund der abnehmenden Gewinndynamik vieler Unternehmen unter Druck geraten. Und schließlich erwarten wir, dass ein Großteil der Transaktionen im sogenannten Mid-Cap- Segment stattfinden wird, während große Elefantenhochzeiten im zweistelligen Milliardenbereich wie die jüngste Übernahme der im DAX notierten Covestro AG durch die staatliche Abu Dhabi National Oil Company aus Saudi-Arabien die Ausnahme darstellen werden.
Was bedeutet dieser Ausblick auf den M&A-Markt für die deutsche W&I-Versicherungsindustrie?
Im aktuellen herausfordernden Marktumfeld setzen sich Gewährleistungsversicherungen nicht nur bei Finanzinvestoren, sondern gerade auch bei Konzernen und bei Mittelstandsdeals weiter vermehrt durch. Für mittelgroße Transaktionen ab einem Unternehmenswert von 100 Mio. EUR sind W&I-Versicherungen ein bewährtes Standardtool geworden, um die früher üblichen anwaltlichen Verhandlungsschlachten zu Garantien und Haftungen stark zu verkürzen, die Risiken des Verkäufers zu minimieren und gleichzeitig Bürgschaften und Sicherheitseinbehalte überflüssig zu machen, da der Käufer mit dem W&I-Versicherer einen finanzkräftigen Schuldner hat. Bei den zahlreichen Verkaufsprozessen, die wir als Lincoln International begleiten, initiieren wir zusammen mit der begleitenden Anwaltskanzlei verkäuferseitig eine W&I-Lösung, um potenziellen Käufern eine Gewährleistungsversicherung zu erleichtern und den Gesamtprozess zu beschleunigen.
TREIBER FÜR DEN DEUTSCHEN M&A-MARKT
- Zwang zu kritischer Größe auf globaler Ebene
- Digitalisierung als kritischer Wettbewerbsfaktor
- Unternehmensverkauf aus der Not heraus
- Überprüfung Konzernportfolios und Corporate Carve-outs
- Hohe Börsenkurse zwingen Konzerne zu Akquisitionen
- Aktionärsaktivismus und ESG zwingen Konzerne zu Divestments
- Reduzierung der Abhängigkeiten von China
- Sicherung von Lieferketten
- Zurückhaltendes Konsumverhalten
- Anhaltender Anlagedruck bei Private Equity
Fazit
Aufgrund des bisherigen „Transaktionsstaus“ erwarten wir bei mittelgroßen M&A- Transaktionen eine um rund 20% höhere Transaktionsaktivität als im Jahr 2024. Unsere Dealpipeline sowie die zahlreichen Gespräche mit Großunternehmen, Finanzinvestoren, Familiengesellschaftern und finanzierenden Banken bestätigen diesen Ausblick. Im Ergebnis erwarten wir daher für das Jahr 2025 insgesamt rund 2.000 M&A-Transaktionen mit deutscher Beteiligung. Dies bedeutet auch eine wachsende Zahl von W&I-Lösungen; W&I-Versicherungen werden bei mittelgroßen Deals ab 100 Mio. EUR zum Standardtool.
Autor/Autorin
Dr. Michael R. Drill
Dr. Michael R. Drillist Vorstandsvorsitzender derLincoln International AG, einerauf M&A-Beratung spezialisierten Investmentbank mit weltweit über 850 Professionals. Lincoln International verfügt über eigene Büros in den zehn größten Volkswirtschaften der Welt. Im ersten Halbjahr 2023 hat Lincoln International in Deutschland bereits über 15 M&A-Transaktionen erfolgreich abgeschlossen.