Bildnachweis: © Suriyo – stock-adobe.com
Beschlussblockaden im Aufsichtsrat sind eine immer wieder zutage tretende Erscheinung. Dabei geht es im Kern darum, dass durch Abwesenheit oder Untätigkeit eines oder mehrerer Aufsichtsratsmitglieder die Beschlussfähigkeit des Gremiums und damit auch das Zustandekommen von Beschlüssen des Aufsichtsrats verhindert werden soll. Teilweise wird hier auch vom „Boykott“ des Aufsichtsrats durch seine Mitglieder gesprochen.
Bestimmungen zu den Anforderungen an die Beschlussfähigkeit des Aufsichtsrats können sich aus der Satzung der Gesellschaft oder einer Geschäftsordnung für den Aufsichtsrat ergeben. Darüber hinaus definiert das Aktiengesetz eine Mindestanforderung für die Beschlussfähigkeit: Es müssen an einer Beschlussfassung mindestens die Hälfte der nach Gesetz oder Satzung insgesamt vorgesehenen Mitglieder, mindestens aber drei Mitglieder des Aufsichtsrats teilnehmen, um wirksame Beschlüsse fassen zu können (§ 108 Abs. 2 AktG).
Aufgrund der Vorgabe, dass mindestens drei Mitglieder mitwirken müssen, ist der dreiköpfige Aufsichtsrat besonders anfällig für Beschlussblockaden. Bei ihm kann schon ein einziges Mitglied die Beschlussfassung verhindern. In Aufsichtsratsgremien mit einer größeren Anzahl von Mitgliedern funktioniert der Boykott durch ein einzelnes Mitglied nicht. Allerdings sind auch hier Blockaden möglich, wenn sich mehrere Mitglieder dem Boykott anschließen.
Maßnahmen zur Beseitigung von Beschlussblockaden im Aufsichtsrat
Der aus rechtlicher Sicht einfachste Weg zur Beseitigung von Beschlussblockaden im Aufsichtsrat ist die Abberufung des boykottierenden Mitglieds durch die Hauptversammlung und die Bestellung eines Ersatzmitglieds. In der Praxis ist dieser Weg häufig aber nur bedingt geeignet. Zunächst kommt die Befassung der Hauptversammlung von vornherein nur in Betracht, wenn über das Aufsichtsratsmitglied ohne Bindung an Wahlvorschläge befunden werden kann. Sodann ist bei Publikumsgesellschaften die Einberufung und Durchführung einer Hauptversammlung aufwendig und wegen der Ladungsfristen nicht kurzfristig umsetzbar. Darüber hinaus können Hauptversammlungsbeschlüsse mittels Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage angegriffen werden. Zumindest für die Zeit bis zu einer Entscheidung über solche Klagen kann weiter Unsicherheit über die Wirksamkeit der Neubestellung und der in der Folge gefassten Aufsichtsratsbeschlüsse bestehen. Schließlich können die Mehrheitsverhältnisse auch so sein, dass das boykottierende Aufsichtsratsmitglied von einer Hauptversammlungsmehrheit gestützt wird, deren Interessen es wahrnimmt.
Als Alternative zum Weg über die Hauptversammlung kommen Abberufung und/oder Bestellung eines Ersatzmitglieds durch das Gericht in Betracht (§§ 103 bzw. 104 AktG). Möglichkeiten und Grenzen des Wegs über die gerichtliche Abberufung und/oder Bestellung waren bisher allerdings umstritten. Einerseits wurde argumentiert, das Boykottverhalten eines Mitglieds des Aufsichtsrats sei kein Fall der dauerhaften Verhinderung, für den das Gesetz die gerichtliche Bestellung eines Ersatzmitglieds vorsehe. Andererseits wurde vorgebracht, eine Abberufung des boykottierenden Mitglieds scheitere daran, dass sich der Boykott auch auf den Abberufungsbeschluss bzw. den Beschluss über die Antragstellung bei Gericht erstrecken und das betroffene Mitglied seine Abberufung dadurch verhindern könne.
Nunmehr hatte der Bundesgerichtshof die Gelegenheit, zum Meinungsstreit Stellung zu nehmen und der Praxis am Beispielfall eines dreiköpfigen Aufsichtsrats den Weg aufzuzeigen, der in Boykottfällen beschritten werden kann.
Die Entscheidung des Bundesgerichtshofs
Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidungen der Vorinstanzen, wonach der Fall eines dauerhaft boykottierenden Aufsichtsratsmitglieds nicht mit dem gesetzlich geregelten Fall eines dauerhaft an der Ausübung seines Amtes verhinderten Aufsichtsratsmitglieds gleichzusetzen ist. Das Oberlandesgericht Jena hatte hierzu als Vorinstanz bereits darauf hingewiesen, dass der maßgebliche Unterschied darin liege, dass das Aufsichtsratsmitglied seinen Boykott jederzeit aufgeben könne und die Ersatzbestellung nach § 104 AktG damit sofort wieder hinfällig wäre.
Den Lösungsweg gab der Bundesgerichtshof sodann wie folgt vor:
Nachweisbares Boykottverhalten, so der Bundesgerichtshof, stellt einen wichtigen Grund dar, der die Abberufung des boykottierenden Aufsichtsratsmitglieds rechtfertigt. Die Abberufung erfolgt durch das Gericht auf Antrag des Aufsichtsrats (§ 103 Abs. 3 Satz 1 AktG).
Das vom Ausschluss betroffene Aufsichtsratsmitglied ist verpflichtet, an der Beschlussfassung über die Antragstellung an das Gericht teilzunehmen, unterliegt aber einem Stimmverbot. Der Stimmrechtsausschluss allein führt nicht zur Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsrats nach § 108 Abs. 2 Satz 2 und 3 AktG.
Verweigert das betroffene Aufsichtsratsmitglied die Teilnahme an der Beschlussfassung über die Antragstellung zu seiner Abberufung, handelt es missbräuchlich und kann sich auf den formal gegebenen Beschlussmangel nicht berufen. Der auf die gerichtliche Abberufung gerichtete Antrag an das Gericht soll dementsprechend auch dann zulässig sein, wenn nur zwei Aufsichtsratsmitglieder an der Beschlussfassung teilgenommen haben. § 108 Abs. 2 Satz 3 AktG ist insoweit nur eingeschränkt anzuwenden.
Nach gerichtlicher Abberufung des boykottierenden Aufsichtsratsmitglieds ist dann auch der Weg frei für die gerichtliche Bestellung eines Ersatzmitglieds auf Grundlage von § 104 AktG.
Fazit
Mit seiner Entscheidung hat der Bundesgerichtshof Klarheit geschaffen, wie dem Boykott des Aufsichtsrats durch eines (oder mehrere) seiner Mitglieder beizukommen ist, ohne den Weg über die Hauptversammlung zu beschreiten.
Bedeutsam ist auch die Klarstellung durch den Bundesgerichtshof, dass das Stimmverbot eines Aufsichtsratsmitglieds im dreiköpfigen Aufsichtsrat nicht zugleich die Beschlussunfähigkeit des Aufsichtsratsgremiums bewirkt. Dies hatte das Bayerische Oberste Landesgericht in einer Entscheidung aus dem Jahr 2003 noch anders gesehen.
Und hier lesen Sie unser neues e-paper!
Autor/Autorin
Dr. Thomas Zwissler
Dr. Thomas Zwissler ist Rechtsanwalt und Partner bei der ZIRNGIBL Rechtsanwälte Partnerschaft mbB. Er berät bei gesellschafts-, bank- und kapitalmarktrechtlichen Fragen sowie in allen Fragen der Unternehmensfinanzierung.