Vordergründig scheint die HV-Saison 2024 bislang unspektakulär zu verlaufen. Die hitzigen Diskussionen um das passende Format – Präsenz oder virtuell – haben sich abgekühlt, viele Veranstaltungen zeichnen sich durch hohe Professionalität aus, Medien berichten oft nur am Rande. Umso erstaunlicher, dass die zurückliegenden Monate bei näherer Betrachtung eine Menge Themen und Stoff bieten. Das HV Magazin hat bei Experten und Emittenten nachgefragt, was sie umtreibt – und welche Inhalte und Fragen börsennotierten Unternehmen im kommenden Jahr womöglich (wieder) begegnen werden.

Die Proteste vor der Rheinmetall-Konzernzentrale während der virtuellen Hauptversammlung des Rüstungskonzerns am 14. Mai 2024 waren erwartbar. Auch der Gegenwind auf der Aktionärsversammlung des Autoherstellers Volkswagen am 29. Mai für dessen Modellpolitik schien niemanden aus dem Konzept zu bringen. Nachdem die Hochzeit der HV-Saison 2024 – so wie jedes Jahr – mittlerweile vorüber ist, zeigt sich: Untereiner scheinbar ruhigen Oberfläche gibt es dennoch eine Reihe von Themen, die Emittenten wie Branchenexperten umtreiben. Wir haben HV-Dienstleister, Stimmrechtsberater, Fondsgesellschaften und Emittenten befragt, welche Aspekte in der HV-Saison 2024 weit oben standen (und stehen) und welche Lehren daraus für das kommende Jahr gezogen werden können: Der Ruf nach hybriden HVs wird lauter, der Umgang mit ausufernden Fragestellern ist weiter ein ein Thema, und Vergütungsfragen bleiben von hoher Bedeutung. Im Folgenden finden Sie 10 ungefiltert wieder gegebene Aussagen und Gedanken zur HV-Saison 2024:

1. Dr. Vanda Rothacker,
Union Investment: Hybride HV ist der Goldstandard

DR. VANDA ROTHACKER
Senior ESG Analystin, Union Investment
© Union Investment

„Das virtuelle Format hat sich aus unserer Sicht nicht bewährt. Weder hat sich dadurch in den letzten Jahren die durchschnittliche Präsenz im DAX erhöht, noch haben sich vermehrt Redner aus dem Ausland zugeschaltet. Im virtuellen Format kommt kein richtiger Dialog zwischen den Unternehmen und ihren Aktionären zustande. Die Ermächtigung für das virtuelle Format läuft bei den meisten Unternehmen in der kommenden HV-Saison aus. Wir sind gespannt, wie viele DAX-Unternehmen davon erneut Gebrauch machen und wie viele Präsenz-HVs oder sogar erstmals hybride Hauptversammlungen anbieten werden. Die hybride HV vereint das Beste aus beiden Welten und ist in Sachen Aktionärsfreundlichkeit der Goldstandard, da die Aktionäre dann selbst entscheiden können, ob sie live in der Halle oder am Bildschirm teilnehmen. Es ist an der Zeit, dass sich endlich ein DAX-Unternehmen traut, hier Vorreiter zu sein und das Eis zu brechen.“

2. Florian Lenser, TUI: Auf störende Faktoren besser vorbereiten

FLORIAN LENSER
Mitglied des TUI Group Executive Committee Group Director Legal, Compliance & Board Office

„Ihre fünfte virtuelle Hauptversammlung insgesamt und die zweite nach neuer Gesetzgebung hat TUI 2024 mit teilweise neuen Dienstleistern und in neuen Räumlichkeiten abgehalten. Auch die zur HV 2024 noch bestehenden Börsennotierungen der Gesellschaft sowohl an der London Stock Exchange als auch in Deutschland führten wiederum zu höherer Komplexität in der Vorbereitung wie auch bei der Umsetzung der HV. Die sorgfältige Vorbereitung und die professionelle Zusammenarbeit zwischen der Gesellschaft und ihren Dienstleistern haben erfreulicherweise zu einem reibungsfreien Ablauf geführt. Allerdings hat die Hauptversammlung länger gedauert als erwartet, was auch darauf zurückzuführen war, dass einige Teilnehmer 2024 besonders intensiv von ihrem Rede- und Fragerecht Gebrauch gemacht haben. Um hier in Zukunft im Interesse aller Aktionäre eine angemessene Dauer der HV zu ermöglichen, ist es(…) unser Ziel, den Aktionärsdialog weiter zu optimieren. Anknüpfend an unser neues Aktionärsportal und die dadurch bereits in der HV 2024 erreichte Straffung der technischen Prüfung bei der Anmeldung von Redebeiträgen wollen wir die Kommunikation mit unseren Aktionären in der kommenden HV noch effizienter gestalten und auf störende Faktoren noch besser vorbereitet sein.“

3. Stephan Stegmueller, ISS: Zu viel Ermessensspielraum bei Vergütungsberichten?

STEPHAN STEGMUELLER Managing Director, ISS Corporate

„2024 wurde der Ermessensspielraum in den Vergütungsberichten deutscher Unternehmen weiterhin intensiv genutzt, insbesondere bei den variablen Vergütungskomponenten für Führungskräfte. Der Ermessensspielraum ermöglicht es den Aufsichtsräten, die Vergütung von Führungskräften auf der Grundlage der Leistung und anderer qualitativer Faktoren anzupassen, die nicht konsequent durch vorgegebene Messgrößen abgedeckt sind. Das verschafft den Vergütungsausschüssen zwar die nötige Flexibilität bei unvorhergesehenen Umständen, das Instrument sollte jedoch mit Bedacht eingesetzt und im Vergütungsbericht erläutert werden. Die wiederholte Anwendung von Ermessensspielräumen über mehrere Jahre hinweg kann als mangelhafte Gestaltung des Vergütungsplans betrachtet werden. Obwohl wir spürbare Verbesserungen bei der Vergütungspolitik feststellen konnten, gibt es immer noch Raum für Verbesserungen. In vielen Fällen lässt das Ausmaß der Offenlegung keine unabhängige Bewertung der Vergütungspraktiken zu, da die Expost-Ziele nicht dargestellt werden. Die Unternehmen, die ihre Offenlegung in diesem Bereich verbessert haben, wurden mit einer höheren Zustimmung belohnt. Beim Thema Cybersicherheit erwarten die Stimmrechtsberater eine solide Offenlegung des Risikomanagements (…). Dazu gehören unter anderem Zertifizierungen, frühere Sicherheitsverletzungen, Profile von Aufsichtsräten mit Kenntnissen im Bereich der Informationssicherheit und die Häufigkeit von Audits der Informationssicherheit.“

4. Marc Ilgner, NC3: Technische Integration in einer Hand

MARC ILGNER Gründer und Geschäftsführer, NC3 GmbH

„2024 sind alle neuen Technologien ‚bulletproof‘, endlich im HV-Alltag angekommen und werden von Vorständen und Aufsichtsräten gern genutzt. Wir als technischer Dienstleister, der seit mehr als 20 Jahren HVs streamt, häten uns dies wahrlich früher gewünscht. Die Integration aus einer Hand von Video, Zuschaltung, Fragenupload, Backoffice und Portalanbindung macht es allen einfacher denn je, die HV sicher und komfortabel über die Bühne zu bringen: ESG-gerecht, hybrid oder rein digital, in den Räumen der kleinsten AG oder dem Studio eines DAX-Konzerns. Damit ist eine neue Stufe der Professionalisierung und der Kommunikation mit den Aktionären erreicht, die einen rechtssicheren Abschluss auch unter höchsten Belastungen resilient garantiert. Die KI hilft dabei schneller als erwartet in Aufbereitungs- und Übersetzungsprozessen.“

Durchschnittliche HV-Präsenz im DAX in Prozent

Quelle: SJS HV Consult

5. Markus Kienle, SdK: Technische Pannen vermeiden

Die zentrale Herausforderung in der abgelaufenen HV-Saison 2024 bestand sicherlich darin, den technischen Pannen bei Einsatz des virtuellen HV-Formats mit teilweise mehrstündigen Unterbrechungen, wie diese in der HV-Saison 2023 auftraten, vorzubeugen und ein stabiles technisches Umfeld für die Ausübung der Aktionärsrechte sicherzustellen. Darüber hinaus galt es aber auch, Verzögerungen im Ablauf einer virtuellen HV (…) durch den Einsatz der Technik zu vermeiden. Auch die mit der virtuellen HV verstärkt aufgekommene Praxis, Fragen zu Themenkomplexen gebündelt zu beantworten, wurde in den vergangenen Jahren immer wieder deutlich kritisiert, da die Zielgenauigkeit derartiger Antworten deutlich zu wünschen übrigließ. Die Vergütungsberichte wurden noch genauer als in der Vergangenheit der Kontrolle auf Lesbarkeit und Vollständigkeit unterzogen. Schließlich standen bei zahlreichen Unternehmen die Vergütungssysteme zur Billigung an.

MARKUS KIENLE
Vorstandsmitglied und stellvertretender Vorstandsvorsitzender, SdK

Bei den Vergütungssystemen sind die Erwartungen an die Reduktion der Komplexität deutlich gestiegen und an die Einwertung der Erreichung von ESG-Kriterien, die die Wesentlichkeitsschwelle deutlich übersteigen, nochmals deutlicher als Forderung erhoben worden.(…) Schlussfolgerungen: Die Gesellschaften müssen die weiterhin auch in der HV-Saison 2024 aufgetretenen technischen Mängel beseitigen (…). Die Gesellschaften sollten weiterhin auf eine Bündelung der Fragen zu einer Antwort verzichten, weil damit Genauigkeit und Informationsgehalt verloren gehen und dies zu Nachfragen führt. Generell sollten die Gesellschaften (…) auf das virtuelle Format verzichten und auf ein hybrides HV-Format umstellen. Die hierfür einmal im Jahr anfalllenden Kosten dürfen und können angesichts des sonstigen normalen Kostenvolumens keinen Hinderungsgrund darstellen. Kleine Aktiengesellschaften mögen es bei einer Präsenz-HV bewenden lassen. Den Vergütungsberichten sollte eine Checkliste vorangestellt werden, aus der zu entnehmen ist, zu welchen Bestandteilen nach § 162 AktG die Gesellschaft Angaben gemacht hat und wo diese innerhalb des Vergütungsberichts zu finden sind. Es ist davon Abstand zu nehmen, wichtige Angaben in die Fußnoten zu verweisen.(…) In Bezug auf die Vergütungssysteme begrüßt die SdK die Diskussion hin zu einem höheren variablen Anteil bei einem Zielerreichungsgrad von 100%. (…) Auf branchenspezifische Besonderheiten wie insbesondere bei Banken ist hierbei Rücksicht zu nehmen. Ebenso wichtig erscheint es uns, dass die Anforderung, ab wann variable Vergütungen bezahlt werden, anspruchsvoll genug gewählt werden.(…)“

6. Dr. Ralph Schilha, Noerr: Diskussion um HV-Format wird sich zuspitzen

DR. RALPH SCHILHA Rechtsanwalt, Wirtschaftsjurist, Partner, Doerr Partnerschaftgesellschaft mbB © Schilha

„(…) Die Wahl des virtuellen Formats sah sich auch in diesem Jahr einer Pauschalkritik der Aktionäre und Aktionärsvereinigungen ausgesetzt. Trotz der vom Gesetzgeber betonten Gleichwertigkeit zur Präsenz-HV bemängelten Aktionäre vielfach, dass nicht nur der Austausch mit dem Vorstand nicht die gleiche Qualität wie in einer Präsenzveranstaltung habe, sondern ihnen insbesondere auch kein unmittelbarer Austausch untereinander möglich sei. Denkbar wäre daher etwa, dass diese Kritik künftig durch die Bereitstellung einer zusätzlichen Chatfunktion für die Aktionäre in den HV-Portalen aufgegriffen wird. Die fortdauernde Diskussion um das angemessene Versammlungsformat wird sich in der kommenden HV- Saison jedenfalls weiter zuspitzen: Denn für das rein virtuelle Format verfügen viele Unternehmen nur über eine Satzungsermächtigung von zwei Jahren, die 2025 ausläuft. Daher ist zu erwarten, dass eine Verlängerung der notwendigen Satzungsermächtigung für das virtuelle Format für einige Unternehmen im nächsten Jahr kein Selbstläufer wird. Vor allem Aktionärsvereinigungen sprechen sich ohnehin für ein hybrides Modell als HV-Format der Zukunft aus(…). Die Hybrid-HV, die nach geltendem Aktienrecht bereits seit Langem möglich ist, wurde in der Praxis bislang mit Verweis auf damit verbundene Zusatzkosten, die erhöhte Komplexität und damit einhergehende Risiken für die rechtssichere Durchführung kaum gewählt. Denkbar ist, dass sich Unternehmen mit dieser Alternative in Zukunft verstärkt auseinandersetzen (müssen), wenn sie im kommenden Jahr von der HV keine neue Satzungsermächtigung für das rein virtuelle Format erhalten sollten und auf digitale Elemente in ihrer HV trotzdem nicht mehr verzichten wollen.(…) Von besonderer Bedeutung in dieser HV-Saison waren zudem der erweiterte gesetzliche Rahmen, den das Zukunftsfinanzierungsgesetz(…) für Kapitalerhöhungen aus genehmigtem Kapital und bedingtem Kapital geschaffen hatte. Für Barkapitalerhöhungen aus genehmigtem Kapital wurde die Grenze für den vereinfachten Ausschluss des Bezugsrechts der Aktionäre von bisher 10% des Grundkapitals auf 20% angehoben.(…) Zudem wurde die spezielle Grenze für die Gewährung von Bezugsrechten an Arbeitnehmer und Mitglieder der Geschäftsführung aus bedingtem Kapital von 10% auf 20% erhöht(…). Da jedoch mit ISS ein bedeutender Stimmrechtsberater weiterhin einen Bezugsrechtsausschluss nur in Höhe von maximal 10% des Grundkapitals akzeptiert, war diese Anpassung des genehmigten bzw. bedingten Kapitals letztlich nur für einzelne Unter- nehmen opportun(…). „Im Übrigen ist zu beobachten, dass sich der zunehmende Trend zu Shareholder Activism auch in der Hauptversammlung fortsetzt.“ Die Kampagnen(…) werden von den aktivistischen Aktionären oft mit einer Vielzahl von Verfahrens- und Sonderprüfungsanträgen in der HV ausgetragen und mit anschließenden Anfechtungsklagen flankiert. Entsprechend wichtig ist es, solche kritischen HVs frühzeitig zu antizipieren und mit Blick auf die gesteigerten Anforderungen an die Versammlungsleitung und den erhöhten Aufwand im Back Office während der Hauptversammlung sorgfältig vorzubereiten.“

7. thyssenkrupp: Interesse an Präsenz-HV hat stark nachgelassen

„Die Hauptversammlung der thyssenkrupp AG hat 2024 zum ersten Mal seit der HV im Jahr 2020 wieder im Präsenzformat stattgefunden. Daraus ergaben sich grundsätzlich Herausforderungen in der Beauftragung der notwendigen Dienstleister bzw. des entsprechenden Fachpersonals und resultierend daraus erhebliche Kostensteigerungen. Die größte Herausforderung stellte allerdings die realistische Abschätzung der Teilnehmerzahl dar – insbesondere vor dem Hintergrund, dass die HV der thyssenkrupp AG bereits seit vielen Jahren vor Corona vollständig und ohne Beschränkung für die interessierte Öffentlichkeit im Internet übertragen werden. Die Erfahrung – gemessen an der Anzahl der teilnehmenden Aktionäre – hat leider gezeigt, dass das Interesse der Aktionäre an einer Präsenz-HV stark nachgelassen hat und sehr deutlich unter unseren Erwartungen lag. Dieser Umstand ist in Verbindung mit den Kosten im aktuellen wirtschaftlichen Umfeld für zukünftige Veranstaltungen konzeptionell zu berücksichtigen.“

8. Elke Strothmann, AAA HV Management: Anspruchsvolle Reporting-Standards

ELKE STROTHMANN Geschäftsführende Gesellschafterin, AAA HV Management GmbH © Strothmann

„Hauptversammlungen sind in diesem Jahr inhaltlich wie logistisch stark von Veränderungsdruck geprägt(…). Der allgegenwärtige Wandel dahinter ist für die Unternehmen nach unserem Eindruck mindestens ebenso disruptiv wie innovativ, etwa bei den anspruchsvollen neuen Reportingstandards zu ESG oder der richtigen Integration von KI in Geschäftsabläufe. Umso wichtiger ist daher für die HV, dass organisatorisch und logistisch alles optimal läuft. Und auch hier knirscht es aktuell teilweise spürbar.(…) Stichwort HV-Ressourcen: „Wir erkennen, dass sich die Demografie bemerkbar macht und zunehmend qualifiziertes, also HV-geschultes und -erfahrenes Personal fehlt.“ Das erstreckt sich von Stenografen, Technikern über IR-Profis bis hin zu Anwälten – alle ganz wichtig für planmäßige Abläufe und gute Kommunikation rund um die HV. Das Fehlen der notwendigen Praxiserfahrung und Souveränität bringt leicht Umständlichkeit und unter Anspannung auf der HV auch Hektik und Fehleranfälligkeit. Deshalb planen wir mit unseren Kunden ihre HV möglichst immer frühzeitiger. Und wir nehmen auch ungewöhnliche Termine wie den Montag zunehmend als HV-Tag ins Visier, allein für mehr Sicherheit in der Ressourcenplanung externer Dienstleister. Stichwort Ablaufeffizienz: Auch in diesem Jahr waren Aktionärstreffen belastet durch formale Vorgaben, befürchtete Beschlussmängelrisiken und ausufernde Generaldebatten. Nicht alles daran müssen Unternehmen aber schicksalsergeben hinnehmen. Natürlich ist ausführliche Aktionärskommunikation wichtig und richtig – aber mit einer Mischung aus Geschick und Konsequenz in der Versammlungsleitung sollte sich einiges an Zeit und Nerven sparen lassen. Ich erinnere an die Praxisimpulse zum HV-Ablauf, die noch vor der diesjährigen Saison im März von der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex veröffentlicht wurden. Es wäre für alle Beteiligten segensreich, wenn diese einfachen Empfehlungen stärker beachtet und in den HVs umgesetzt würden. Nur zwei Beispiele von vielen: eine gezielte Straffung des Leitfadens für den Versammlungsleiter und der Einsatz von Redezeitbeschränkungen. Stichwort Kosten/Nutzen: Im Jahr 2024 wurde erneut viel über das Für und Wider der virtuellen und der Präsenz-HV diskutiert. Meist geht es dabei um die Frage der Bedeutung eines direkten Aktionärsaustauschs einerseits sowie um ESG- und Kostenvorteile andererseits. Die öffentliche Diskussion in der Presse bezieht sich zum überwiegenden Teil auf DAX-Werte bis zum oberen MDAX. Die darunter liegenden Unternehmensgrößen wünschen klar einen direkten Austausch mit den Aktionären in Präsenz. Hier ist im Gespräch mit der Verwaltung eine klärende kontrastierende Darstellung zur Presse wesentlich. Aus unserer Sicht ist daher das Präsenzformat für HVs trotz Digitalisierung quicklebendig und alles andere als unzeitgemäß.“

9. Joachim Lorenzen, UBJ: Bei gesellschaftlichen Themen anspruchsvoll

JOACHIM LORENZEN
Geschäftsführer, UBJ. GmbH

„Im Jahr zwei nach Corona hat sich auch bei den Präsenz-HVs wieder eine gewisse Routine hinsichtlich der Organisation, des Ablaufs und auch der Teilnehmerzahlen eingestellt. Zudem haben sich die technischen Gegebenheiten bei virtuellen HVs etabliert und sind mittlerweile gut eingespielt. Auffällig waren Danksagungen seitens der Aktionärsvereinigungen und Aktionäre, soweit die Hauptversammlung als Präsenzveranstaltung abgehalten wurde. Auch wenn Themen wie Nachhaltigkeit und KI stets zu den Fragen gehörten, so standen doch eher die gesellschaftsspezifischen Themen (hier insbesondere zum Vergütungssystem und Vergütungsbericht) im Vordergrund. Für Irritationen sorgten mitunter Abstimmungen der Stimmrechtsberater, die eher pauschal gemäß ihren Richtlinien und wenig auf den Einzelfall erfolgt sind. In der Vorbereitung der HV-Einladung führte die vordergründig einfache Gesetzesänderung bezüglich des Nachweisstichtags bei nichtbörsennotierten Gesellschaften bei fehlender Satzungsregelung zu mehr Aufwand, als sich der Gesetzgeber das vielleicht gedacht hatte. Hier hätte eine Streichung des Worts „börsennotiert“ Abhilfe schaffen können. Da der Gesetzgeber diese Änderung als „Fassungsänderung“ ansieht, konnten einige Gesellschaften – so erforderlich – mit entsprechender Satzungsermächtigung des Aufsichtsrats die Satzung auch ohne HV-Beschluss anpassen. Fazit: Die HV-Saison war eher unaufgeregt, wenn auch bei gesellschaftsspezifischen Themen durchaus anspruchsvoll.“

10. Ingo Speich, Deka: Virtuelles Format konnte nicht überzeugen

INGO SPEICH
Leiter Corporate Governance und Nachhaltigkeit, DekaBank

„Die HV-Saison 2024 war geprägt durch die gestiegenen geopolitischen und konjunkturellen Risiken und deren Auswirkungen auf die Unternehmen. Auch das Thema Digitalisierung – Stichwort künstliche Intelligenz – gefolgt von Aspekten der Nachhaltigkeit wurden häufig diskutiert. (…) Wir fordern hier, dass Unternehmen ihre Nachhaltigkeitsstrategie auf den HVs zur Abstimmung stellen (Say on Climate). Einige Gesellschaften haben neue Vergütungsprogramme vorgelegt, auch vor dem Hintergrund der auslaufenden Vierjahresregelung nach ARUG II. Ein Großteil der Unternehmen wird daher im nächsten Jahr neue Vergütungsprogramme in die HV einbringen müssen. Die Wahlen von Aufsichtsräten wurden dieses Jahr investorenseitig sehr heterogen diskutiert. Die Anforderungen von Investoren werden hier weiter steigen, auch im Hinblick auf die Proxy Voting Policies 2025. Das virtuelle HV-Format konnte abermals nicht überzeugen. Bei jeder dritten virtuellen HV traten technische Probleme beim Redebeitrag auf. Das Argument, durch virtuelle HVs würde die Beteiligung internationaler Investoren und die Teilnehmerzahlen steigen, hat sich nicht bewahrheitet. Eine technisch reibungslose virtuelle HV wäre für das nächste Jahr schon ein großer Fortschritt. Unser Wunschformat ist und bleibt die hybride HV.“

Fazit

Auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht – die HV-Saison 2024 ist geprägt von einer großen Bandbreite an Themen. Diese betreffen die anhaltende Diskussion um das richtige HV-Format (und den zunehmenden Ruf nach hybriden Veranstaltungen), die Reaktion auf diejenigen, die kritische Fragen stellen, Vergütungsthemen, die Integration technischer Entwicklungen sowie Fragen der Cybersicherheit und den wachsenden Mangel an Fachpersonal. Klar ist schon jetzt: Diese Aspekte werden auch das HV-Jahr 2025 beeinflussen.

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Autor/Autorin

Thorsten Schüller
Freier Wirtschafts- und Finanzjournalist

Freier Wirtschafts- und Finanzjournalist. Für GoingPublic Media betreut er das viermal jährlich erscheinende HV Magazin.