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Praktisch seit April 2020 sind so gut wie alle Hauptversammlungen virtuell und werden nach dem „COVID-19-Gesetz“ ausgerichtet. Doch gerade die virtuelle Hauptversammlung bringt für Emittenten jede Menge Herausforderungen mit sich. Auch wenn die „Location“ sich gerade bei kleineren börsennotierten Aktiengesellschaften auf den hauseigenen Besprechungsraum reduziert, müssen genau hier nun Kameratechnik, Licht, Ton, Streaming und – nicht zu vergessen auch einige „Menschen“ – professionell zusammen kommen und sich organisieren. Das hat dazu geführt, dass auch die „externe virtuelle Hauptversammlung“ in der Saison 2021 einen deutlichen Aufschwung erlebt hat. Doch wo wurde „extern“ getagt?
Das HV Magazin hat sich im Rahmen einer Untersuchung Anfang Dezember 2021 mit allen Hauptversammlungen im Prime Standard, dem Börsensegment mit den höchsten Transparenz- und Publizitätsanforderungen, beschäftigt. Dabei wurde vor allem der Frage nach gegangen, wo die virtuelle Hauptversammlung 2021 denn tatsächlich stattgefunden hat – in den eigenen Räumlichkeiten oder andernorts? Von wo wurde „getagt“ und „gestreamt“…?
Gegliedert wurde hier zunächst in die vier Gruppen „DAX“ (40 Unternehmen), „MDAX“ 50), „SDAX“ (70) und „Prime Sonstige“ (143); insgesamt also 303 Unternehmen. Aus dieser Gruppe wurden nun noch einmal fünf Unternehmen heraus genommen, die ihre HV physisch abgehalten haben, sowie zehn Börsenneulinge des Jahres 2021, die ihre erste öffentliche Hauptversammlung erst für 2022 vor sich haben. Somit ergibt sich eine Grundgesamtheit von 288 Unternehmen (39 DAX, 49 MDAX, 67 SDAX, 133 Prime Sonstige).
Wie nicht anders zu erwarten, wählte die Mehrheit der Emittenten die „eigenen vier Wände“ als Ort – oder sagen wir besser „Sendestudio“ – für die Aktionärsversammlung anno 2021 (195 oder 67,7 %). Dass aber doch 93 oder 32,3 % der Hauptversammlungen in externen Räumlichkeiten stattfanden, darf als erste Überraschung dieser Untersuchung gelten. Im Rahmen des vorliegenden Beitrags widmen wir uns der Auswertung genau dieser „Virtuellen HV-Locations“ 2021.
Klare Gewinner: Grünebaum und HBW
Zwei Spezialisten stehen auf dem Treppchen ganz oben (siehe Abb. 1): Das Haus der bayerischen Wirtschaft (HBW) aus München mit 12 Hauptversammlungen und Grünebaum Event-Logistik aus Berlin mit acht virtuellen Hauptversammlungen. Grünebaum beherbergte mit Delivery Hero und Hello Fresh sogar zwei DAX-Unternehmen. Während das HBW bereits vor Pandemie-Zeiten im Ranking der deutschlandweiten (physischen) HV Locations immer recht weit oben stand, ist Grünebaum ein echter „Newcomer“, der es geschafft hat, sich seit 2020 als Spezialist für die virtuelle Hauptversammlung am Standort Berlin in Stellung zu bringen.
Blickt man über den Prime Standard hinaus, hat Grünebaum (ähnlich wie das HBW) nach eigenen Angaben sogar über 30 Unternehmen bei ihrer virtuellen HV begleitet. Man sieht sich dabei nicht auf die eigene Event Location mit dem treffenden Namen „einfallsreich“ beschränkt, sondern begleitet Unternehmen auch in deren eigenen Räumlichkeiten oder mietet in Berlin weitere Räume zu.
„Wir haben nun mehr als 60 Emittenten begleiten dürfen und für uns war es ein stetiger Lern- und Entwicklungsprozess“, beschreibt Gründerin Katja Grünebaum ihr Erfolgsrezept. „Am Ende braucht es von beiden Seiten ein gewisses Quäntchen an Verständnis und Vertrauen für einander, sowie ein großes Maß an Kommunikation, um allen Bedürfnissen der Parteien gerecht zu werden. Wir setzen dabei auch auf einen allgemeinen Fragenkatalog, unsere „Fragenstraße“, Site Inspections sowie virtuelle „Hausführungen“, um den Organisatoren bereits vorher alle Möglichkeiten und Begebenheiten aufzuzeigen.“
TOP 8 DER EXTERNEN HV-LOCATIONS 2021 (PRIME STANDARD)
Platz 2021 | Name | Kategorie | Anzahl HVs |
1 | Haus der bayerischen Wirtschaft, München | Konferenzzentrum | 12 |
2 | Grünebaum Event Logistik, Berlin | Event-Logistik | 8 |
3 | CCD Congress Center Düsseldorf | Congress Center | 5 |
4 | m:con Congress Center Rosengarten | Congress Center | 2 |
5 | Vogel Convention Center Würzburg | Event-Location | 2 |
5 | Gesellschaftshaus Palmengarten, Frankfurt | Sonstige Location | 2 |
5 | Deutsche Nationalbibliothek, Frankfurt | Sonstige Location | 2 |
5 | Notariat Ballindamm | Sonstige Location | 2 |
Quelle: Eigene Erhebungen |
Congress Center behaupten sich
Messen und (ihre) Congress Center sollten auf den ersten Blick die großen Verlierer im HV-Eventgeschäft sein, denn ihre Stärke – die großen Räumlichkeiten für viele Teilnehmer – war zu Corona-Zeiten nicht mehr gefragt. Doch offensichtlich haben sie sich ebenfalls erstaunlich gewandelt. Wo früher der Versammlungsort im Vordergrund stand, ist es heute oft die Symbiose aus Raum, Technik und Service, die zu neuen Positionierungen im Wettbewerb führt.
Im Bereich der Congress Center weist die HV Magazin Statistik fünfmal das CCD Congress Center Düsseldorf als externe HV-Location aus, viermal das m:con Congress Center Rosengarten sowie acht weitere aus dem Bereich Messe/Kongress (siehe Abb. 2). Das macht stattliche 18,3 % vom Kuchen „externe virtuelle HV-Organisation“.
„Frankfurter Klassiker“ weiter gefragt
Die Erhebung zeigt weiter, dass auch klassische HV-Locations wie in Frankfurt der „Palmengarten“ (zwei virtuelle Aktionärstreffen), die Deutsche Nationalbibliothek (zwei) oder die Alte Oper (zwei) weiter gefragt sind.
Die Jahrhunderthalle begleitete mit der Deutschen Börse sowohl 2020 als auch 2021 immerhin einen DAX-Wert beim virtuellen Aktionärstreffen, auch wenn Geschäftsführer Moritz Jaeschke realistisch konstatiert: „Ein Veranstaltungshaus wie wir lebt natürlich von physischen Zusammentreffen, nicht von digitalen Events.“ Auch wenn der Kunde Deutsche Börse eine schöne Referenz darstellt, so Jaeschke weiter: „Wir sind glücklich darüber, dass die Deutsche Börse für ihre digitale Aktionärsversammlung 2020 und auch 2021 unsere Räumlichkeiten genutzt hat. Trotzdem waren die vergangenen 20 Monate schwierig und die HV-Saison 2022 wird sicherlich auch sehr herausfordernd. Wir haben aber versucht aus der Krise auch Chancen zu kreieren und haben kreative Ansätze gefunden, positiv mit der Situation umzugehen. Wir haben die Zeit zudem genutzt, unser Haus strukturell voranzubringen und uns mit Digitalisierungsmaßnahmen und haustechnischen Modernisierungen für die hoffentlich positivere Zukunft gerüstet.“
10 GEBUCHTE CONGRESS CENTER UND MESSEHALLEN (HV SAISON 2021, PRIME STANDARD)
Platz 2021 | Name | Anzahl HVs |
1 | CCD Congress Center Düsseldorf | 5 |
2 | m:con Congress Center Rosengarten | 4 |
3 | ICS Internationales Congress Center, Stuttgart | 1 |
3 | Nürnberg Messe | 1 |
3 | Messe und Congress Centrum Halle Münsterland | 1 |
3 | Kongresszentrum Westfalenhallen, Dortmund | 1 |
3 | Congress-Centrum Koelnmesse | 1 |
3 | World Conference Center, Bonn | 1 |
3 | Messe Berlin CityCube | 1 |
3 | Kongresshaus Baden-Baden | 1 |
Quelle: Eigene Erhebungen |
Spezialisten auf dem Vormarsch
Bemerkenswerte 14 Unternehmen (15,1 %) haben sich als Austragungsort für Anbieter von neuartigen Tech-/Hybrid-Locations und Studios entschieden, die die pandemiebedingten Bedürfnisse in besonderem Maße erfüllen. Darunter sind z.B. das forty four in Düsseldorf (Gesco AG), das Hybridstudio Hamburg (Hamburger Hafen und Logistik AG), Peppermint Event Hannover (Delticom AG) oder die SQUAD Studios Aachen, die der MDAX- und TecDAX Wert Aixtron nutzte.
„Um den Aufwand eines aufwendigen Aufbaus der technischen und organisatorischen Infrastruktur in den eigenen Räumen zu verringern, suchten wir eine geeignete Möglichkeit, um externe Räumlichkeiten in Verbindung mit einer vorhandenen Technikinfrastruktur zu nutzen“, so Guido Pickert, Leiter Investor Relations bei Aixtron.
Auch in Würzburg formiert sich seit kurzem mit „Vogel Event Solutions“ und ihrem „Vogel Convention Center“ ein Spezialist, der mit Koenig & Bauer sowie VA-Q-Tec bereits zwei Prime-Standard-Unternehmen bei sich beherbergte.
Last but not least: Hotels und Kanzleien/Notariate
Nicht vergessen werden dürfen als virtuelle HV-Orte die beiden letzten größeren Gruppen: 12 virtuelle Aktionärstreffen (rund 13 %) wurden in Hotels abgehalten, aber in keinem einzigen Haus zwei. Lediglich die Ketten „Steigenberger“ (Frankfurt Airport sowie Bad Homburg) und Le Méridien (Frankfurt und Hamburg) konnten je zwei Hauptversammlungen bei sich beherbergen. Eine gänzlich neue Gruppe von Veranstaltungsorten – gerade für Publikumsaktiengesellschaften – kam mit den Anwaltskanzleien (sechs) und Notariaten (drei), in Summe neun (entsprechend fast 10 % des Prime Standard), hinzu. Im Notariat Ballindamm in Hamburg fanden mit Hawesko und Basler sogar zwei Unternehmen ihre „HV-Heimat 2021“.
Hybride HV – die große Chance für Location & Technik-Anbieter?
What’s next? Das fragen sich neben Emittenten und Full-Service-Agenturen auch die Anbieter von Veranstaltungsräumen und Technik. Die physische HV wird in kleinerer und besonderer Gestalt zurückkommen, digitale Elemente aus 2020/2021 werden bleiben.
Diese Ansicht teilt auch Jens Sudars, Geschäftsführer der B&S multimedia Solution GmbH: „Die Generation der HV-Teilnehmer, die wegen des Buffets kommt, stirbt aus meiner Sicht aus. Kurze Wege und Effizienz sind für junge Aktionäre viel wichtiger. Da bietet sich die virtuelle Hauptversammlung einfach an.“ Und ins Jahr 2023 geblickt? „Die Zukunft wird hybrid sein, das bietet sich einfach an“, so Sudars weiter.
Auch Stephan Däschler, Managing Director bei der EQS Group, sieht die HV-Landschaft auf dem Weg in die hybride Zukunft, in der die digitalen Elemente nicht mehr wegzudenken sein werden: „Aktionärsfragen und -nachfragen auch während der virtuellen Hauptversammlung oder die digitale Stimmrechtsausübung werden irgendwann Normalität. Jeder Emittent braucht deshalb hier über kurz oder lang die passenden Tools.“
Was zählt für die virtuelle Hauptversammlung?
Dabei sehen Lösungsanbieter für Location und Technik wie Katja Grünebaum nicht die Renaissance der großen Bühnen, sondern pragmatische gute Lösungen im Vordergrund: „Es gilt immer noch: ‚Mehr Pflicht als Kür‘. Machen wir uns also nichts vor, es geht nicht um die große Show. Obwohl der ein oder andere da wohl nicht abgeneigt wäre… Es geht um einfache, intuitive Handhabe der Technik, um ein angenehmes neutrales Ambiente und jemanden, der die „Regie“ übernimmt. Für uns in unserer Location geht es daher weniger darum, technische Neuerungen zu etablieren, als einen reibungslosen, unkomplizierten und vor allem eher „kontaktlosen“ Ablauf zu schaffen.
Und was passiert bei den großen Gesellschaften, die früher teils bis zu 10.000 Besucher auf ihren Hauptversammlungen begrüßen durften? Welche Lösungen bieten sich hier an? Einen Fingerzeig liefert hier vielleicht der Münchner Olympiapark, lange Jahre HV-Herberge für Allianz, BMW oder Siemens. „Wenn die Zukunft die hybride Hauptversammlung ist mit weit weniger Besuchern vor Ort und einer Mehrzahl virtueller Teilnehmer, entstehen hier viele neue Optionen“, so Nils Hoch, Leiter Veranstaltungen des Olympiapark München. „Man könnte sich zum Beispiel die kleine Olympiahalle mit niedrigen vierstelligen Besucherzahlen und einem professionellen Abstands- und Hygienekonzept gepaart mit der Technik für die weltweit mögliche Online-Teilnahme vorstellen.“
STATISTISCHE NUTZUNG TAGUNGSORTE FÜR DIE VIRTUELLE HV 2021 (PRIME STANDARD)
Fazit
Die virtuelle Hauptversammlung bindet „inhouse“ erhebliche Ressourcen. Nicht zuletzt deshalb, so zeigt die Untersuchung des HV Magazins durch sämtliche HV-Einladungen im Prime Standard hindurch, nahmen im Jahr 2021 bereits ein Drittel aller Emittenten die Möglichkeit wahr, für ihr digitales Aktionärstreffen einen Versammlungsort und/mit technische(r) Infrastruktur zu buchen.
Dabei nimmt die Beliebtheit der „externen HV-Organisation“ mit sinkender Unternehmensgröße zu. Während in DAX und MDAX nur 26 % bzw. 22 % extern ihr digitales Aktionärstreffen durchführten, waren es im SDAX bereits 27 % und im Bereich der „Prime Standard Sonstige Unternehmen“ zugeordneten Gruppe sogar 41 %. An den Standorten München (HBW) und Berlin (Grünebaum) haben sich zwei Player etabliert, die bereits den Weg in die Zukunft weisen. Aber auch die altgedienten und bewährten HV-Locations zeichnen sich durch das notwendige Innovationsdenken und Wandlungsfähigkeit aus.
Durch Corona wurden und werden die Karten im HV-Locations-Markt neu gemischt. Hybriden Formaten wird die Zukunft gehören, die Symbiose aus Location und Technik wird für viele börsennotierte Aktiengesellschaften ihre Outsourcing-Partner der Zukunft hervorbringen.
Autor/Autorin
Markus Rieger ist Gründer und Vorstand der GoingPublic Media AG. Als „Brückenbauer“ zwischen Unternehmen und Investoren ist er gelegentlich auch als Autor von Analysen und Beiträgen tätig.