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Im August erschreckte eine Meldung des Österreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung (WIFO): Die österreichische Wirtschaft geht von einer Stagnations- in eine Schrumpfungsphase über. Besonders betroffen sind Dienstleistungsbereiche, Bauwesen und Industrie. Während Schwellenländer eine deutliche Expansion erleben, stagnieren die Industrieländer. Heimische Unternehmen versuchen jetzt, die geringere Nachfrage mit Innovationen und Kostensenkungen auszugleichen. 

Die Unternehmen in Österreich stellen sich in diesem Jahr auf eine durchwachsene Entwicklung ein. Führende Konjunkturforscher erwarten für 2023 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von nur 0,3% bis 0,5%. Das wäre zwar mehr als in Deutschland, wo es um 0,4% schrumpfen soll, aber weniger als der EU-Durchschnitt von 0,6%.

Hohe Inflation bremst Kaufkraft

Die österreichische Wirtschaft kämpft mit ähnlichen Problemen wie ihr deutsches Pendant: Vor Ausbruch des Ukrainekriegs bestand eine hohe Abhängigkeit von russischen Rohstoffen im Energiebereich. Die Preise für Erdgas und Erdöl sind explodiert und haben die bereits galoppierende Inflation weiter angeheizt. „Die hohen Inflationsraten und das gestiegene Zinsniveau verringern die Kaufkraft und führen zu Absatzrückgängen in unseren Endmärkten Wohnungsneubau, Renovierung und Infrastruktur“, erläutert Heimo Scheuch, Vorstandsvorsitzender von Wienerberger. „Wegen der hohen Hypothekarkredite war der Nachfragerückgang im Wohnungsneubau am prägnantesten, die gestiegenen Finanzierungskosten wirken sich zudem auf öffentliche Aufträge aus.“

„2024 wieder bessere Rahmenbedingungen“
Friedrich Mostböck, Head of Group Research, Erste Group Bank AG

GoingPublic: Welche Folgen hat die hohe Inflation für Wirtschaft und Kapitalmarkt?
Mostböck: Die Wirtschaftsdynamik hat sich international wie regional deutlich verlangsamt. Ab Herbst dürften anziehender Export, abnehmender Inflationsdruck und bessere Realeinkommen das Wirtschaftswachstum aber wieder begünstigen, weshalb wir für 2024 von besseren Rahmenbedingungen ausgehen. Börsennotierte Unternehmen werden längerfristig steigende Preise an Kunden weitergeben können.

Friedrich Mostböck

Wie stellt sich eine Bank auf die Zukunftsthemen ESG ein?
Diese Themen sind über die letzten Jahrzehnte Mainstream geworden und werden vor allem von institutionellen Investoren stark nachgefragt. Mehr als 40% aller Assets under Management unterliegen mittlerweile einer Verwaltung unter nachhaltigen Gesichtspunkten. Uns als Bank bedeutet das Thema ESG nicht nur bei Veranlagungsprodukten sehr viel, es werden vor allem auch ESG-konforme Unternehmensfinanzierungen für unsere Zukunft von enormer Bedeutung sein.

Investitionen werden verschoben

Unternehmen sind eigentlich gezwungen, ihre sprunghaft gestiegenen Produktionspreise an die Kunden weiterzugeben, um kostendeckend zu arbeiten. Doch die Käufer müssen ebenfalls an ihren Ausgaben sparen – ein Teufelskreis. Häufig werden deshalb neue Investitionen und die Entwicklung innovativer Produkte verschoben. „Die Bereitschaft für risikoreiche Investments hat deutlich abgenommen“, beklagt Pascal Schmidt, Chief Financial Officer von Marinomed Biotech. Gerade Investitionen in Biotechunternehmen erfordern einiges an Geduld und Vertrauen, sind jedoch ebenfalls von dieser Tendenz betroffen. „Höhere Personalkosten und Aufwendungen für Forschung und Entwicklung sind klar spürbar, aber Investitionen in unser Team und innovative Projekte machen uns gegenüber aktuellen und künftigen Herausforderungen resilienter“, beschreibt Schmidt die Marinomed-Strategie in der Krise.

„Finanzierung verteuert sich“
Felix Strohbichler, CFO, PALFINGER AG

GoingPublic: Welche Folgen haben die aktuellen wirtschaftlichen Probleme?Strohbichler: Durch eine hohe Inflation nimmt die Kaufkraft ab und die Nachfrage wird negativ beeinflusst. Hohe Inflation hat zudem Unsicherheit in der Wirtschaft zur Folge, da es Unternehmen schwerer fällt, langfristige Planungen durchzuführen. Da die Zentralbanken auf die hohe Inflation reagieren, indem sie die Zinssätze erhöhen, verteuert sich auch die Finanzierung. Dies bremst die Wirtschaftsaktivitäten, Investitionsentscheidungen werden verschoben bzw. nicht getroffen.

Felix Strohbichler

Wie verändern Nachhaltigkeit und ESG Ihre Produktionsprozesse?
Anleger achten aus dem Blickwinkel der Nachhaltigkeit immer mehr darauf, wie ein Unternehmen daraus Geschäft generieren und finanziellen Erfolg erzielen kann. Wir haben viel in Photovoltaik investiert, um den Anteil an Grünstrom zu erhöhen und die Energiekosten zu senken. Der weitaus größte Teil der CO2-Emissionen entsteht bei PALFINGER im Betrieb unserer Kran- und Hebelösungen auf Diesel-Lkws. Künftig wird ein großer Anteil davon auf elektrisch betriebenen und emissionsreduzierten Lkws montiert werden. Auch in der Finanzierung spielt ESG eine Rolle: Im April haben wir ein ESG-linked-Schuldscheindarlehen über 150 Mio. EUR platziert, bei dem wir die Verzinsung sowohl an unsere CO2-Reduktion als auch an die Unfallrate gekoppelt haben.

Zahlreiche Fragezeichen am Kapitalmarkt

Der Austrian Traded Index (ATX) ist ein Spiegelbild dieser Entwicklung: Seit einem halben Jahr pendelt er seitwärts zwischen 3.000 und 3.500 Punkten. „Das herausfordernde wirtschaftliche Umfeld bringt dem Kapitalmarkt Unsicherheit und Volatilität, Anleger könnten mehr in risikoärmere Anlageklassen investieren“, befürchtet Scheuch. Für Investoren ist deshalb die richtige Geldanlage ein essenzielles Thema. „Angesichts der Teuerung geht es vor allem darum, sich vor dem Realverlust der Spareinlagen zu schützen“, empfiehlt Michael Höllerer, Generaldirektor von Raiffeisen NÖ-Wien.

„Weitere kräftige Abschwächung möglich“
Michael Höllerer, Generaldirektor, Raiffeisen NÖ-Wien

Michael Höllerer © Eva Kelety

GoingPublic: Mit welcher wirtschaftlichen Entwicklung rechnen Sie in Österreich und Europa?
Höllerer: Die Stimmungsindikatoren lassen eine weitere kräftige Konjunkturabschwächung erwarten. Die Teuerung im Euroraum hat sich seit dem Allzeithoch von Oktober 2022 halbiert. In Österreich stieg die Inflationsrate im August wieder an, in der Eurozone hingegen stagnierte sie. Der Inflationsabstand erhöhte sich erneut auf über zwei Prozentpunkte. Der zehnte EZB-Zinsschritt am 14. September könnte der letzte dieses Zyklus gewesen sein, wegen abnehmenden Preisdrucks und abkühlender Konjunktur.

Mehr Dynamik im nächsten Jahr

„Erst zum Jahresende dürfte die Wirtschaft „auf einen moderaten Wachstumspfad zurückfinden“, so die führenden österreichischen Konjunkturforscher. Sie rechnen für 2024 mit einem Plus von 1,4%, was unter dem deutschen Wert von 1,8% bliebe. Pessimistischer ist die Einschätzung in den Unternehmen. „Für die verbleibenden Monate dieses Jahres sowie für 2024 gehen wir weiterhin von einem herausfordernden Marktumfeld mit hoher Inflation und steigenden Finanzierungskosten aus“, prognostiziert Scheuch. „Dies wird die Absätze in unseren Endmärkten dämpfen.“ Diesen Entwicklungen begegnet Wienerberger mit proaktivem Kostenmanagement. „Wir erwarten, dass die österreichische Wirtschaft im Jahr 2023 nur schwach um 0,2% zulegen wird, gehen aber von einer moderaten Beschleunigung auf 1,0% im Jahr 2024 aus“, ergänzt Friedrich Mostböck, Head of Group Research der Erste Group Bank.

„Maßnahmen zur Konjunkturbelebung finden“
Pascal Schmidt, Chief Financial Officer, Marinomed Biotech

Pascal Schmidt

GoingPublic: Wie stellen Sie sich auf Lieferkettenprobleme und Inflation ein?
Schmidt: Nach der Stagnation in diesem Jahr sind die Auswirkungen in den Lieferketten und durch Inflation noch nicht vollständig verarbeitet. Es wird in den einzelnen Branchen darauf ankommen, individuell funktionierende Maßnahmen für eine Konjunkturbelebung zu finden. Marinomed geht dies mit Innovation, weiteren Lizenzvereinbarungen, Erschließung neuer Regionen und neuen Anwendungsbereichen an. Damit sind wir optimal positioniert, um die Herausforderungen im Marktumfeld zu bewältigen.

ESG-Regeln werden ausgedehnt

Transparenz in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG) ist für rund 2.000 Unternehmen in Österreich ab 2025 bindend. Jeder einzelne Buchstabe von ESG gewinnt deshalb in den Unternehmen zunehmend an Bedeutung. Allerdings ist es bis zur Umstellung auf eine nachhaltige Warenproduktion noch ein weiter Weg, im Vordergrund stehen Berichterstattung und Anlegerinformation. „Wir haben für das Geschäftsjahr 2021 erstmals einen Nachhaltigkeitsbericht veröffentlicht, unsere IR-Abteilung weiter ausgebaut und zeigen auch als kleines Unternehmen Präsenz bei Investorenkonferenzen“, erläutert Marinomed-CFO Schmidt.

Anleger nachhaltig informieren

Dabei steht der intensive Dialog mit Kapitalmarktakteuren, Kreditgebern und Aktionären im Mittelpunkt. „Wir sind bestrebt, ein möglichst vollständiges und transparentes Bild des Unternehmens zu schaffen“, erläutert Schmidt. Ein solches Vorgehen wirkt sich zudem meist positiv auf den Aktienkurs aus. Keinesfalls bedeutet ESG, dass durch Umstellung oder Verzicht mit Wachstumsausfällen zu rechnen ist. „Die Entscheidung dafür bedeutet nicht, dass Erträge wegfallen“, weiß Höllerer. „Ganz im Gegenteil: Nachhaltige Investments können bei der Wertentwicklung mit traditionellen Veranlagungen mithalten.“

„Bessere Welt für kommende Generationen schaffen“
Heimo Scheuch, Vorstandsvorsitzender, Wienerberger AG

GoingPublic: Wie wichtig ist ESG für Anleger?
Scheuch: ESG ist für Wienerberger mehr als nur ein wachsender Trend oder verpflichtende Regulatorik. Mit unseren Produkten verbessern wir die Lebensqualität von Menschen und schaffen eine bessere Welt für kommende Generationen, indem wir nachhaltige und innovative Lösungen in den Bereichen Wohnungsneubau, Renovierung und Infrastruktur anbieten.

Heimo Scheuch

Was tut Ihr Konzern in diesem Bereich?
Seit 2020 gibt es ein umfassendes Nachhaltigkeitsprogramm, welches wir bis 2026 verlängert und um neue Ziele erweitert haben. Neben der Verringerung unseres CO2-Ausstoßes, der Förderung der Kreislaufwirtschaft sowie dem Erhalt der Artenvielfalt setzen wir beispielsweise auf einen verringerten Umgang mit Wasser sowie auf die Reduktion unserer Abfälle in den Betrieben. Als Unternehmen mit 100% Streubesitz führen wir stets einen offenen Dialog mit unseren Investoren und erfüllen höchste, internationale Governance-Standards.

Fazit

Österreichische Unternehmen kämpfen weiterhin mit den Folgen der Energiekrise. Sie haben sich in den vergangenen Jahren wichtige Absatzmärkte und Produktionsorte in Osteuropa aufgebaut – und damit auch in Russland. Seit Beginn des Ukrainekriegs sind diese Marktanteile und Lieferketten bedroht. Die nach wie vor hohe Inflation lässt die Produktionspreise weiter ansteigen. Im nächsten Jahr könnte die österreichische Wirtschaft aber wieder mehr Dynamik entwickeln. Neue Markt- und Wachstumschancen bieten die Themen ESG und Nachhaltigkeit. Vor allem Investoren interessieren sich immer mehr dafür, wie sich ihr eingesetztes Geld auf Gesellschaft, Umwelt und Wirtschaft auswirkt und wie nachhaltig Unternehmen mit den Ressourcen umgehen. Deshalb steht die Berichterstattung im Vordergrund.

Dieser Beitrag erschien in unserer Special Ausgabe Kapitalmarkt Österreich 2023.

Autor/Autorin

Thomas Müncher

Thomas Müncher ist Wirtschafts- und Finanzjournalist und freier Autor beim GoingPublic Magazin.