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Formalismus greift krakenartig um sich und trifft alle Lebensbereiche. Wer in einer Klinik eine CT-Untersuchung benötigt, unterzeichnet Papiere mit einer Litanei möglicher Komplikationen bis hin zum Herzstillstand.

Lähmende Bürokratie

Wer Wertpapiere erwirbt, wird mit Risikoaufklärungen in Telefonbuchstärke traktiert. Der Grundgedanke vieler bürokratischer Auflagen ist in der Regel begrüßenswert – Verbraucherschutz ist die Devise. In den genannten Beispielen sollen Patienten und Anleger geschützt werden. Die Wirkung ist oft gegenteilig. Krankenhäuser und Finanzinstitute zeichnen sich frei. Werden Risiken bei Patienten oder Anlegern schlagend, können die jeweiligen Rechtsabteilungen auf das „Kleingedruckte“ verweisen: Demnach seien Patienten oder Anleger doch vollumfänglich auf sämtliche Risiken hingewiesen worden.

Bürokratie lähmt

Je spezieller die Wirtschaftstätigkeit, umso dichter wird das Regelungsgeflecht. Unternehmer sind mit einer Vielzahl ­verschiedenster Aufsichtsbehörden konfrontiert und müssen „Beauftragte“ für banale Aufgaben oder exotische Themen abstellen. Das Spektrum reicht von A wie Abfallbeauftragte über B wie Behindertenbeauftragte bis hin zu U wie Umweltmanagementbeauftragten. Die Ziele sind zwar jeweils wohlklingend: In der Summe legen sich aufsichtsrechtliche Prüfungen sowie das Beauftragten(un)wesen aber wie Mehltau über die Unternehmen.

AGs überreguliert

Bei börsennotierten Gesellschaften kommen zusätzliche aktienrechtliche Pflichten hinzu. Bürokratische Auflagen wirken dabei auch rund um Hauptversammlungen – und dies zum Nachteil der Aktionäre. Zahlreiche formelle Regularien geben vor, die Anleger zu schützen. So weit die Theorie. In der ­Praxis aber schadet die auf­geblähte Anlegerschutzbürokratie den Schutzbefohlenen. So benötigen die Vergütungsberichte den Segen der Wirtschaftsprüfer. Und die immer weiter aufgeblasenen Nachhaltigkeitsberichte müssen gleichfalls von den Prüfern ausgehakt werden.

Neben den mit der Prüfung verbundenen Kosten schlägt auch der Zeitaufwand ins Kontor – schließlich muss die HV spätestens acht Monate nach dem Geschäftsjahresende einberufen werden, also im Regelfall bis Ende August. Die Uhr tickt. Und das Zeitbudget zwischen der Erstellung der Berichte bis zu deren Prüfung wird immer knapper. Inzwischen haben Wirtschaftsprüfer große Mühe, für all die erforderlichen Prüfungen das benötigte Fachpersonal zu rekrutieren.

IPOs meiden Deutschland

Die überbordenden Berichtspflichten machen die Rechtsform der Aktiengesellschaft unattraktiv. Dies dürfte unter ­anderem ein Grund dafür sein, dass hierzulande immer weniger Unternehmen den Gang aufs Parkett wagen. Die Kapital­mobilität nimmt ab. Der bürokratische Ballast macht wirtschaftliche Tätigkeit immer beschwerlicher. Die nachlassende Dynamik Europas dürfte zu weiten Teilen auf die planwirtschaftsähnlichen Vorgaben der EU-Kommission zurückzuführen sein. Zudem werden hierzulande die Vorgaben gerne übererfüllt. Deutsche Regelsetzer gerieren sich als Musterschüler und folgen EU-Regeln päpstlicher als der Papst. Das Ergebnis: Unternehmerische Aktivitäten werden hierzulande besonders intensiv stranguliert und Deutschland fällt nicht nur im globalen Wettbewerb, sondern auch gegenüber anderen EU-Mitgliedern zurück.

Fazit

Die zunehmende Verrechtlichung sämt­licher Lebensbereiche lähmen Land und Wirtschaft. Besonders im Brennpunkt stehen Aktiengesellschaften. Hier wäre regulatorische Abrüstung das Gebot der Stunde. Ein Anfang wäre gemacht, die ­bereits sehr umfangreichen Pflichten zur Nachhaltigkeitsberichterstattung nicht auch noch von Wirtschaftsprüfern aus­haken zu lassen.

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Autor/Autorin

Thomas Wagner

Thomas Wagner ist Vorstandsmitglied bei der Better Orange IR & HV AG.