Bildnachweis: White & Case.

Die Zahl börsennotierter Unternehmen, die eine Sanierung nach StaRUG beantragt haben, nähert sich ihrer Zweistelligkeit. Das Resümee fällt indes ernüchternd aus: Während einige Aspiranten wie HELMA Eigenheimbau es gar nicht erst über die Ziellinie schafften und bereits im Vorfeld Insolvenz anmelden mussten, endeten die „erfolgreichen“ StaRUG-Fälle aus Aktionärssicht ernüchternd – bis auf zwei Ausnahmen stand am Ende der Totalverlust zu Buche. Das wirft die Frage auf, ob das StaRUG für die börsennotierte Welt überhaupt geeignet ist? Der dauerhafte Zugang zu Eigenkapital ist schließlich der entscheidende Vorteil einer Börsennotiz – in guten wie in schlechten Zeiten. Würde man gelisteten Unternehmen bei vorübergehender wirtschaftlicher Schwäche künftig überhaupt noch Eigenkapital zuführen, wenn in kurzer Frist schon StaRUG und damit die vollständige
Enteignung drohen kann?

Das 2021 aufgrund Umsetzung einer EU-Richtlinie ins Leben gerufene Unternehmensstabilisierungs- und -restrukturierungsgesetz (StaRUG) zieht seine Existenzberechtigung aus einer einfachen Überlegung: Bevor ein Unternehmen in die Insolvenz rutscht und damit Kapital unwiederbringlich vernichtet wird, bedarf es eines
Sanierungsinstruments, das aufgrund von Standardisierung schnell, kompakt und vor allem frühzeitig eingreift und so das Unternehmen in seiner Gesamtheit rettet. Genau diese Zielsetzung verfolgte die Implementierung des StaRUG, das bereits bei drohender Zahlungsfähigkeit angewandt werden kann und nicht erst, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Mithilfe des Kernelements – des sogenannten Restrukturierungsplans, in dem alle Maßnahmen dezidiert dargelegt werden – kann eine finanzwirtschaftliche Restrukturierung erfolgen, wobei dem Unternehmen ein mächtiges Instrumentarium zur Seite gestellt wird. So können unter anderem Rechte von Planbetroffenen, die in spezifische Gruppen eingeteilt werden, auch gegen deren Willen auf Basis von Mehrheitsentscheidungen ausgehebelt werden. Dabei liegt die zu erreichende Schwelle von 75% in jeder Gruppe vergleichsweise niedrig, sodass Akkordstörern und notorischen Nörglern mit wenig Aufwand der Wind aus den Segeln genommen werden kann – ein Umstand, der die entscheidende Größe für ein erfolgreiches StaRUG-Verfahren massiv fördert: den Zeitfaktor.

Werteretter StaRUG?

Dies attestiert auch Prof. Dr. Georg Streit, Partner und Leiter der Praxisgruppe für Restrukturierung und Insolvenzrecht bei der Wirtschaftskanzlei Heuking, der die börsennotierte Softline AG bei ihrer erfolgreichen Sanierung mittels StaRUG beraten hat. Als beim IT-Beratungsunternehmen eine drohende Zahlungsunfähigkeit festgestellt wurde, reichte man umgehend eine Restrukturierungsanzeige beim Amtsgericht Dresden ein. Im Restrukturierungsplan wurden kostensenkende Maßnahmen wie die Beendigung der Börsennotiz oder der Formwechsel von einer Aktiengesellschaft in eine GmbH festgehalten sowie die Übernahme aller Anteile durch den Hauptaktionär. Im Gegensatz zum StaRUG- erfahren der LEONI AG, bei dem die Privatanleger leer ausgingen, erhielten die Softline-Aktionäre eine Abfindung in Höhe von 1,00 EUR pro Aktie, was in etwa dem Börsenkurs entsprach, bei dem das Unternehmen vor Ankündigung der Maßnahme notierte. „Die Abfindung war weder ‚good will‘ noch in ihrer Höhe willkürlich gewählt, sondern Ergebnis einer validen Unternehmensbewertung, die zum Zeitpunkt ihrer Durchführung einen Equity Value von besagten 1,00 EUR pro Aktie ergab. Hätte man nicht entschlossen und schnell mit StaRUG interveniert, wäre das Eigenkapital komplett aufgezehrt worden und es wäre im Rahmen einer Insolvenz nichts mehr für die Aktionäre übrig geblieben. Die Anwendung des StaRUG hat also Werte erhalten und ist mitnichten, wie man oft zu hören bekommt, ein Wertevernichter oder ein Instrument zur Enteignung von Aktionären“, so Streit im Gespräch mit GoingPublic.

Prof. Dr. Georg Streit, HEUKING
Prof. Dr. Georg Streit,
HEUKING

Auch bei dem kritisch beäugten LEONIStaRUG empfiehlt Sanierungsexperte Streit eine andere Sichtweise. So sei der Verlust der Aktien keine faktische Enteignung der Privatinvestoren mittels des StaRUG, sondern vielmehr dem Umstand geschuldet, dass die Rettungsmaßnahmen erst erfolgten, als das Eigenkapital „aus dem Geld war“ und damit die Aktien keinen wirtschaftlichen Wert mehr hatten. „Hätte man bereits einige Jahre früher zum StaRUG gegriffen, hätte die Differenz aus Enterprise Value und Schuldenvolumina noch einen positiven Eigenkapitalanteil ergeben, der an die Eigentümer zurückgezahlt hätte
werden können.“ Nach seiner Einschätzung haben die Beteiligten im Anschluss an das Inkrafttreten des StaRUG vergleichsweise rasch gehandelt, Leoni sei einer der ersten großen Anwendungsfälle des neuen Gesetzes. Insofern konnte das StaRUG im Falle von LEONI den Totalverlust der Privatanleger zwar nicht vermeiden, es war aber auch nicht ursächlich dafür. Nach einer gesamtwirtschaftlichen Rechnung sei StaRUG im Übrigen aber auch bei LEONI durchaus erfolgreich, so Streit weiter. So habe man es geschafft, die Insolvenz zu vermeiden und damit zumindest das Fremdkapital zu retten – ebenso wie Arbeitsplätze und das Unternehmen per se.

Dementsprechend positiv fällt Streits Gesamturteil aus: „Das StaRUG ist ein gutes Gesetz und hat sich bereits zum jetzigen Zeitpunkt positiv auf den Werterhalt ausgewirkt.“ In vielen Fällen wäre ohne StaRUG eine Insolvenz schlichtweg nicht mehr abzuwenden gewesen; zudem wäre der reguläre aktienrechtliche Weg über eine Hauptversammlung mit zu erwartenden Anfechtungsklagen aus zeitkritischen Überlegungen keine wirkliche Option gewesen. Ferner machte Streit auf eine präventive Komponente beim StaRUG aufmerksam. „Selbst wenn Unternehmen, die sich in einer Finanzkrise befinden, davon ausgehen, dass sie es aus eigenen Kräften hinbekommen, sollten sie parallel dazu ein StaRUG-Verfahren durchspielen und unter Umständen vorsorglich eine Restrukturierungsanzeige beim zuständigen Restrukturierungsgericht einreichen. Ein Wink mit dem RES-Aktenzeichen kann die Einigung kompromissunwilliger Gläubiger deutlich beschleunigen, sodass StaRUG gar nicht erst angewandt werden muss.“

Zwischenfazit eins: Das StaRUG ist ein gutes Gesetz, das Unternehmen vor der Insolvenz retten kann. Wichtig sei es, so Streit, auf eine genaue Anwendung des StaRUG zu achten: „Die Eintrittskarte für das StaRUG, die sauber gelöst werden muss, ist die drohende Zahlungsunfähigkeit. Dabei darf diese keineswegs herbeigerechnet werden, sondern muss im Rahmen einer professionellen Unternehmensbewertung durch qualifizierte Prüfer belegbar sein. Zudem muss eine Vergleichsrechnung vorgelegt und geprüft werden, die bestätigt, dass es kein nächstbestes Alternativszenario gibt, mit dem die StaRUGBetroffenen bessergestellt wären.“ Zudem sei darauf zu achten, dass das StaRUG nicht für „gesellschaftsrechtliche Streitigkeiten“ missbraucht werde, sondern tatsächlich der finanzwirtschaftlichen Restrukturierung diene – und spätestens mit diesem Punkt wird es kontrovers: Denn Missbrauch könne man leider nie komplett ausschließen, daher ist Wachsamkeit der Restrukturierungsgerichte und der Restrukturierungsbeauftragten stets erforderlich.

„Von LEONI bis VARTA – EIN Muster?“

Dem Nürnberger Autozulieferer LEONI ist es zu verdanken, dass das StaRUG nach
zweijähriger Belanglosigkeit aus seinem Mauerblümchendasein erwacht ist und seitdem für Schlagzeilen sorgt – wenn auch für negative. Nach einer Kapitalherabsetzung auf null mit anschließender Kapitalerhöhung unter Bezugsrechtsausschluss für (fast) alle Altaktionäre konnte zwar der Fortbestand des Unternehmens gesichert werden, dies aber nur zu einem hohen Preis. Bis auf den Groß- und Mehrheitsaktionär Stefan Pierer, der über seine L2-Beteiligungs GmbH als einziger Altaktionär zeichnen konnte, kam die Maßnahme einer vollständigen Enteignung mit Totalverlust gleich. Diese offensichtliche Ungleichbehandlung sorgte bei Aktionärsschützern für weitreichende Empörung, die in einer Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht kulminierte, dort aber ohne Begründung abgelehnt wurde. Kritiker sehen in der Causa LEONI ein klares Indiz, dass das StaRUG in vielen Fällen missbräuchlich zur Bereinigung des Gesellschafterkreises angewandt werden könnte und nicht nur zur Restrukturierung von Verbindlichkeiten.

Ein Verdacht, der sich mit Blick auf ähnlich gelagerte StaRUG-Fälle wie GERRY WEBER,
Spark Networks oder jüngst VARTA – wobei dieses Verfahren noch nicht abgeschlossen ist – erhärtet. Während Kleinaktionäre entschädigungslos vor die Tür gesetzt werden, bleiben Großaktionäre wie Robus, Whitebox und J.P. Morgan (GERRY WEBER), die MGG Investment Group (Spark Networks) oder Dr. Michael Tojner (VARTA) weiterhin an Bord und können durchregieren. Wie groß die Diskrepanz bei der Bewertung eines Unternehmens übrigens ausfallen kann, belegt das Beispiel Spark Networks. Der US-Hedgefonds MGG Investment Group übernahm den deutschen Anbieter für Onlinedatingportale wie eDarling, EliteSingles oder Jdate für überschaubare 165.000
EUR. Möglich wurde dies, da die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Ernst & Young attestierte, dass im Falle einer Insolvenz die Aktionäre „unter keiner denkbaren Annahme eine Zahlung aus der Insolvenzmasse erhalten würden“. Ein externes Gutachten, das im Auftrag der Anleger vom Beratungsunternehmen ValueTrust erstellt wurde, kommt allerdings zu einem gänzlich anderen Ergebnis. Ihr zufolge liegt der aktuelle Wert von Spark Networks im „unteren dreistelligen Millionenbereich“ – verständlich, dass ausgebootete Kleinaktionäre die Börsenwelt nicht mehr verstehen.

Kapitalmarktkiller StaRUG?

Neben erfolgreich wahrgenommenen StaRUGSanierungen wie im Fall der Softline AG
oder der eterna Mode Holding GmbH gibt es Praxisbeispiele einiger börsennotierter Unternehmen, bei der die Bewertung bedeutend schwieriger ausfällt. Im Fall der bereits genannten LEONI AG wird dies besonders augenscheinlich. Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der DSW – Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz, vertritt eine diametral entgegengesetzte Meinung: „Das StaRUG ist eine einzige Katastrophe, weil es das Vertrauen, besonders bei kleineren und mittelgroßen Unternehmen, wenn sie mal in schwieriges Fahrwasser geraten, extrem untergräbt. Zudem werden Eigentumsrechte vollkommen ausgehebelt, wobei die Entscheidung dazu nicht bei denen liegt, die das Risiko tragen, sondern vielmehr bei Vorstand und Aufsichtsrat, die nichts anderes als angestellt
oder bestellt sind.“

Marc Tüngler
Marc Tüngler, DSW

Im Falle des StaRUG-Verfahrens bei LEONI wurde im März 2023 eine Kapitalherabsetzung auf null durchgeführt, die zu einem Wegfall der Börsennotiz führte und alle bestehenden Aktionäre enteignete. Mit einer Ausnahme: Denn gleichzeitig mit der Kapitalherabsetzung fand eine Kapitalerhöhung um 50 Mio. EUR statt, bei der aufgrund eines Bezugsrechtsausschlusses nur LEONI-Alt- und Großaktionär Stefan Pierer zeichnen durfte.
Dass Pierer zudem im Aufsichtsrat von LEONI sitzt, macht den Casus nicht leichter verdaulich: „Wir sehen hier eine unerträgliche Informationsasymmetrie zwischen Kleinanlegern, die auch auf der Informationsseite komplett außen vor gelassen wurden, und dem Großaktionär Pierer, der zudem noch im Aufsichtsrat sitzt und an dem StaRUGKonzept mitgeschmiedet hat. Insofern ist auch die Insiderproblematik nicht von der
Hand zu weisen“, so Tüngler weiter. Dass im Juli 2024 mit dem Batterieunternehmen VARTA ein noch offenes, aber sehr ähnlich gelagertes StaRUG-Verfahren auf den Weg gebracht wurde, lässt bei Aktionärsschützern erst recht die Alarmglocken schrillen. Nach Kapitalschnitt auf null und anschließender Kapitalerhöhung wäre VARTA-Großaktionär und
Aufsichtsratsvorsitzender Dr. Michael Tojner der einzige Altaktionär, der Aktien zeichnen
und beziehen könnte.

Keinesfalls dürfe LEONI als Blaupause dienen. „Um es klar zu formulieren – das Problem ist nicht das StaRUG selbst! Die Idee, mithilfe des StaRUG Unternehmen zu retten und zu rekapitalisieren, ist gut. Aber in seiner Anwendung ist dem Missbrauch Tür und Tor geöffnet. Wenn es um die Zukunft eines Unternehmens geht, müssen alle am Tisch sitzen, nicht nur ausgesuchte Großaktionäre“, bringt Tüngler die allgemeine Kritik auf den Punkt. Und weiter: „Macht diese Vorgehensweise Schule, haben wir es beim StaRUG mit einem Kapitalmarktkiller zu tun, der tiefe Spuren in der deutschen Aktienkultur hinterlassen wird.“ Aufgrund dieser hohen Tragweite hat GoingPublic auch das Deutsche Aktieninstitut (DAI) um eine Einschätzung zum StaRUG gebeten. Leider erhielten wir als Antwort nur, dass man „derzeit beim Thema StaRUG für ein Statement oder Kurzinterview nicht zur Verfügung“ stehe. Eventuell wird in Frankfurt die Dringlichkeit dieser Thematik anders wahrgenommen.

Zwischenfazit zwei: Trotz guter Intention birgt das StaRUG in seiner jetzigen Konzeption zu großen Spielraum für Missbrauch. Allein der Begriff der drohenden Zahlungsunfähigkeit – Grundvoraussetzung für das StaRUG – bietet eine große Interpretationsbreite hinsichtlich Auslegung und Bewertung. Zudem muss diese, im Gegensatz zu Insolvenzgründen, den Aktionären nicht publik gemacht werden, was die Dimension der bereits genannten Informationsasymmetrie nochmalig erhöht. Kommen gesellschaftsrechtliche Interessenkonflikte zum Tragen, besteht zusätzlich die Gefahr, dass das StaRUG genutzt wird, um unliebsame Eigentümer nicht ins Planverfahren einzubeziehen, vergleichsweise leicht zu überstimmen oder per „Cross-Class-Cramdown“ komplett zu übergehen. Letzteres beschreibt die Möglichkeit, dass fehlende Zustimmung einer opponierenden Gruppe gerichtlich ersetzt werden kann. Infolgedessen fordern Aktionärsschützer dringend Nachbesserungen vonseiten des Gesetzgebers.

„Das StaRUG ist ein verfassungsrechtlicher Super-GAU“

Interview mit Markus Kienle, Vorstandsmitglied, SdK

GoingPublic: Mit dem StaRUG retten, was noch zu retten ist oder in die Insolvenz
gehen und alles verlieren – da gibt es doch eigentlich nicht viel zu überlegen?
Kienle: Dieses Totschlagargument, dessen sich die gesamte Sanierungsszene bedient,
ist einfach falsch! Warum wird immer nur die Insolvenz als Gegenpart zum StaRUG verkauft? Warum werden nicht Alternativkonzepte evaluiert, bei denen beispielsweise die Gesellschaft fortgeführt wird und an der sich alle Altaktionäre beteiligen können – und eben nicht nur ein einzelner Groß- und Mehrheitsaktionär? Es kann doch nicht angehen, dass bei Abwägung zwischen Eigentumsschutz und anderen Interessen Ersterer komplett ausgehebelt wird, wenn reflexartig die Insolvenzkarte gespielt wird. Mit dem StaRUG ein vorinsolvenzliches Sanierungsverfahren zu instrumentalisieren und zu etablieren ist eine
Sache; damit offensichtlichen Missbrauch zu betreiben eine ganz andere.

An welche Missbrauchsmöglichkeiten denken Sie dabei konkret?
Das geht schon los bei der StaRUGGrundvoraussetzung – der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Zu deren Feststellung ist eine Zahlungsfähigkeitsprognose von 24 Monaten zu bilden. Ein Zeitraum, der unter anderem über Plannahmen, Einschätzungen und Erwartungen des Managements stark manipulationsanfällig ist. Ein Umstand, der extern – und damit sind auch die Kleinaktionäre gemeint – kaum nachprüfbar ist. Zur Ermittlung der drohenden Zahlungsunfähigkeit wird dann eine Planung erstellt und zwar von Leuten, welche die Krise vor einigen Jahren nicht gesehen haben und die keine vernünftige Planung aufstellen konnten. Kurz vor StaRUG aber hat sie die Erkenntnis der Weisheit ereilt, um eine belastbare Planung auszustellen, die zur Enteignung der Altaktionäre führt. Das ist grotesk! Vielmehr muss doch eines klar sein: Wer die Planung
macht, bestimmt das Ergebnis. Wer hingegen opponiert, hat schlechte Karten, denn
es herrscht eklatante Informationsasymmetrie: Wenn man nachweisen will, dass die Planung nicht korrekt ist oder dass die Planung bewusst zum Nachteil erstellt worden ist, dann bräuchte man die Rohdaten. Die bekommt man aber nicht und zudem wäre eine Prüfung innerhalb der Fristen, die StaRUG vorsieht, schlicht nicht machbar. Damit ist das StaRUG im Grunde genommen doch das Paradeinstrument für Unternehmen – egal ob notwendig oder nicht – sich zu entschulden und die Eigentümerstruktur nach Gutdünken zu ändern.

Um dem entgegenzuwirken, gibt es ja noch die Restrukturierungsgerichte, welche …
… dem nichts entgegenzusetzen haben! Wenn man sich von humanistischen Illusionen verabschiedet, wird man feststellen, dass die Restrukturierungsgerichte hier nicht als klassische, rechtsprechende Gewalt tätig sind, sondern im Grunde genommen als Justizverwaltungsbehörde agieren. Gerade die Planung ist immer kritisch, weil Gerichte sich da nicht herantrauen. Das Unternehmen wird besser planen können als das Gericht, so die Maxime, zumal noch Gutachten von professioneller Seite vorliegen. Ich brauche nicht extra ausführen, dass auch hier ein monetärer Interessenkonflikt besteht.

Aber zumindest, um Akkordstörer loszuwerden, welche die Existenz des Unternehmens gefährden, ist das StaRUG doch eine gute Lösung?
Der Bundesgerichtshof hat vor vielen Jahren einmal geurteilt: Ein nicht sanierungswilliger Gesellschafter muss im Extremfall auch ausscheiden. Was wir aber jetzt haben ist: Sanieren durch Ausscheiden! Ohne dass ich als Eigentümer gefragt werde – und das betrifft nicht nur Akkordstörer. Das heißt, ich habe gar nicht mehr die Möglichkeit, meine formale Position mit Werten zu füllen, indem ich z.B. sage, ich übe mein Bezugsrecht aus. Der Aktionär wird instrumentalisiert und zum Objekt eines Verfahrens gemacht – das muss einem auch klar werden! Das sollte größte verfassungsrechtliche Bedenken hervorrufen, denn niemand darf zum Objekt staatlichen Handelns gemacht werden. Das wäre nicht nur ein Verstoß gegen Art. 14, sondern das ist sogar ein Verstoß gegen die Menschenwürde, Art. 1 Abs. 1 GG. Wir gehen mit unseren Verfassungsrechten äußerst großzügig um und machen uns wohl nicht einmal mehr die Mühe, abzuwägen. Muss es
wirklich eine Sanierung um jeden Preis geben? Ist eine abgepresste Sanierung mit der sogenannten gruppenübergreifenden Mehrheitsentscheidung überhaupt noch mit unserem Rechtsstaat vereinbar und darf ein Gläubiger überhaupt – nur, weil er auf einen Teil verzichtet – fordern, dass die Altaktionäre kein Bezugsrecht erhalten? Unter dem Strich bleibt die Erkenntnis, dass das StaRUG schlicht und ergreifend ein verfassungsrechtlicher Super-GAU ist – zumindest so, wie es aktuell gelebt wird.

Das Interview führte Marc Moschettini.

Herr MARKUS KIENLE

ZUM INTERVIEWPARTNER
Markus Kienle ist seit 1999 in der SdK und seit April 2011 Mitglied des Vorstands, in dem er unter anderem die Leitung des Proxy Voting Committee übernimmt und in dem Bereich Corporate Governance verantwortlich zeichnet.

StaRUG-Verfahren am KapitalmarktStaRUG-Verfahren werden an Fahrt aufnehmen

Einvernehmlich gehen Befürworter und Gegner des neuen Sanierungsinstruments davon
aus, dass Restrukturierungen nach dem StaRUG-Verfahren zunehmen werden. „Viele Unternehmen haben in den letzten Jahren – Stichwort Corona, Energie oder Ukraine – hohe Schulden aufgebaut. Wegen der Zinswende und der jetzt auslaufenden Finanzierungen aus der Niedrigzinsphase – ob Anleihen, Schuldscheine oder klassische Kredite – werden wir das StaRUG brauchen, wenn sich nicht alle einig sind“, zeigt sich Streit überzeugt. Die höheren Kosten der Anschlussfinanzierung würden zudem Druck auf die Zahlungsziele ausüben. „Auch in diesen Fällen kann StaRUG die Konsensfindung fördern“, so der Sanierungsexperte. Auf das Thema Zwischenfinanzierung angesprochen, sieht DSW-Hauptgeschäftsführer Tüngler allerdings eine ganz andere Problematik am Horizont. „Stellen Sie sich folgende Ausgangssituation vor: ein börsennotiertes Unternehmen; ein Großaktionär, der liquide ist oder einen liquiden Partner hat; ein an sich gutes Produkt und ein prall gefülltes Auftragsbuch; aber Kunden, die gerade Zahlungsschwierigkeiten haben. Eigentlich scheint die Zukunft gesichert, aber es fehlt die Zwischenfinanzierung – und schon befindet man sich unversehens mit einem Bein im möglichen StaRUG-Verfahren.“ Dass das StaRUG in der Praxis massiv Überhand nehmen könnte, ist gleichwohl nicht zu befürchten. Denn das StaRUG ist ein komplexes Verfahren, das daher erhebliche Beraterkosten auslösen kann und damit regelmäßig erst ab einer bestimmten Größe in Frage kommt. Der schematisch dargestellte Verfahrensablauf verdeutlicht dies.

StaRUG Übersicht Verfahrensablauf

Gerichten kommt wachsende Bedeutung zu

Die sachliche Zuständigkeit für ein Restrukturierungsverfahren nach dem StaRUG liegt
bei neuen Abteilungen der Amtsgerichte am Sitz eines Oberlandesgerichts – den sogenannten Restrukturierungsgerichten. Bundesweit gibt es derer 24, welche der
wachsenden Zahl der StaRUG-Verfahren – auch personell – Herr werden müssen. Kein
leichtes Unterfangen. Denn Gerichte, Restrukturierungsbeauftragter und Richter stehen – auch fachlich – in einer hohen Verantwortung. Alles muss aufgrund der Dringlichkeit einer Sanierung schnell gehen und trotzdem muss sorgfältig geprüft werden. In Verfahren kleiner und mittlerer Größe passt es. Wenn im Fall von großen, börsennotierten Unternehmen bis zu 80 Berater und mehr auf nur einen Restrukturierungsrichter treffen, der alle Anträge und Eingaben sichten und prüfen muss, ist die Überforderung aber womöglich schnell gegeben. Daher ist es wichtig, Restrukturierungsgerichte besser auszustatten. Experte Streit regt an, die Restrukturierungsgerichte vom Amtsgericht weg und hin zu spezialisierten Kammern beim Landgericht mit dann immerhin drei Richtern anzusiedeln.

Auch Tüngler sieht die Gerichte in der Verantwortung: „Restrukturierungsgerichte und das Landgericht als Beschwerdeinstanz müssen ihre Hausaufgaben machen – wenn es Anzeichen für die Begünstigung einiger weniger auf Kosten der anderen gibt, muss interveniert werden. Insofern fordern wir, dass Richter ganz genau hinsehen und ihren Aufgaben nachkommen.“ Dass die DSW nicht gewillt ist, das StaRUG kampflos hinzunehmen, belegen extern in Auftrag gegebene Gutachten, Klagen und Schadensersatzforderungen. „Das Verhältnis von StaRUG, Aktiengesetz und Art. 14 GG (Eigentumsrecht) muss zwingend geklärt werden. Es kann nicht angehen, dass aktienrechtliche Pflichten und Grundsätze durch das StaRUG ausgehebelt und obsolet werden.“

„Wirtschaftskrimi Endor: Vermeidbare Insolvenz?“

Im Zuge der Unternehmenskrise beim Landshuter Gaming-Zubehör-Hersteller Endor (ISIN: DE0005491666) nahm mit der Abberufung des Vorstandsvorsitzenden Thomas Jackermeier, gleichzeitig Gründer und Großaktionär der Gesellschaft, am 28. März 2024 eine skurrile Kapitalmarktgeschichte ihren Lauf. Eine Investorengruppe um ihn wollte
das eingeleitete Sanierungsverfahren nach dem StaRUG (angekündigt am 3. Juni), verbunden mit einer Übernahme durch den US-Investor Corsair und einem Delisting, abwenden, und hatte ein eigenes Refinanzierungskonzept für die Gesellschaft vorgelegt. Das Amtsgericht Landshut stand Jackermeier am 16. Juli das Recht zu, selbst zu einer außerordentlichen HV einzuladen. Die sollte am 3. September stattfinden. Doch es kam anders: Am 30. Juli stellte die Endor AG Insolvenzantrag. Am 16. August teilte das Unternehmen schließlich mit, dass man zusammen mit der M&A Beratung Goetzpartners einen Käufer suche. Erste Gespräche mit Interessenten seien „vielversprechend“ gelaufen. Am 27. August kippte der 31. Zivilsenat des Oberlandesgerichtes München Jackermeiers Ermächtigung zur HV-Einberufung. Der vorerst letzte Akt datiert dann vom 13. September – in der jüngsten Ad-Hoc-Mitteilung heißt es: „Im Rahmen eines Asset Deals hat CORSAIR (Nasdaq: CRSR) den Geschäftsbetrieb der Endor AG erworben.“

Das Pikante daran ist: Bis heute herrscht nach Meinung vieler Kapitalmarktakteure, auch der Aktionärsschützer um die SdK, Unklarheit über die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft. Ein Jahresabschluss für das abgelaufene Geschäftsjahr 2023 wurde bis heute nicht veröffentlicht. Lässt man die drückende Schuldenlast, entstanden vor allem durch den Bau der eigenen Firmenimmobilie, einmal außen vor, wirkten die 2024 offiziell
gemeldeten Zahlen, zum Beispiel für das vierte Quartal 2023 und das erste Quartal 2024, nach Meinung so mancher Endor-Aktionäre eher rekord- als insolvenzverdächtig. Im Fall Endor, die 2021 noch einen Börsenwert von über 300 Mio. EUR aufwiesen, steht die Frage im Raum, ob von Interessengruppen rund um Vorstand und Aufsichtsrat nach Ausscheiden des Gründers und Hauptaktionärs gezielt die Übernahme durch den strategischen Investor CORSAIR betrieben wurde.

 

„Werterhalter“ versus „Kapitalmarktkiller“

Die Standpunkte „Werterhalter StaRUG“ und „Kapitalmarktkiller StaRUG“ haben jeweils ihre Existenzberechtigung. Besonders aus mikroökonomischer Sicht liegen die Vorteile, die das StaRUG bei der Abwendung einer Insolvenz leisten kann, klar auf der Hand. Letztendlich wurde das Gesetz ja geschaffen, weil so mancher Anteilseigner in der Praxis der zurückliegenden Jahre und Jahrzehnte eine mögliche Sanierung zur rechten Zeit verhindert
hat. Dennoch gibt es einfach gravierende Unterschiede zwischen börsennotierter und nicht-notierter Unternehmenswelt, die hier zu betrachten sind. Wenn selbst Sanierungsexperten auf Nachfrage nach den unmittelbaren Konsequenzen von StaRUG auf den Kapitalmarkt dazu raten, besser in Blue Chips zu investieren und tendenziell Aktien aus der zweiten Reihe zu meiden, lässt sich das Ausmaß an Konsequenzen erahnen.

Fazit

Wie will man das große Argument für eine Börsennotiz – die dauerhafte Möglichkeit des Zugangs zu Eigenkapital – in einem solchen Umfeld aufrechterhalten? Welcher Aktionär – egal ob privat oder institutionell – würde Small- und Mid Caps in schwierigen Zeiten noch Eigenkapital über die Börse zur Verfügung stellen, wenn StaRUG das Vertrauen in Unternehmen und die eigenen Eigentumsrechte gleich wieder konterkarieren könnte? Ob zu Recht oder ungerechtfertigt, das sei hier völlig dahingestellt. Jahrzehntelang gereiftes Vertrauen würde ausradiert werden. Der gern gesehene Anker(groß)aktionär, Garant für Sicherheit und Kontinuität, mutiert zum potenziellen Enteigner; das Damoklesschwert einer drohenden Zahlungsunfähigkeit geistert beständig in den Köpfen der Aktionäre und hindert sie an Investitionen. Kapitalerhöhungen in Turnaround-Situationen würden nicht mehr funktionieren. Besonders kritisch ist die Situation im Hinblick auf die junge, neue Aktionärsgeneration, die in einem Klima des Vertrauens auf das System herangewachsen ist und die nun erkennen muss, dass eine Enteignung vielleicht möglich ist, ohne dass sie überhaupt gefragt wurde. Und auch der privaten Altersvorsorge auf Aktienbasis, welche die
Bundesregierung nun endlich propagiert, dürfte dem StaRUG in der aktuellen Auslegung einen echten Bärendienst erweisen.

Wir von GoingPublic sind der Meinung, dass Aktionären im Falle der Kapitalzufuhr bei StaRUG-Anwendung mindestens ein Bezugsrecht einzuräumen ist, und das schnellstens gesetzlich verankert werden muss. Ansonsten ist StaRUG einfach kein geeignetes Instrument für den Kapitalmarkt und die Aktienkultur gerät tatsächlich weiter in Gefahr.

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Autor/Autorin

Marc Moschettini
Marc Moschettini

Marc Moschettini ist Mitglied des GoingPublic-Autoren-Teams. Er studierte BWL an der LMU München/ ESC Lyon und ist seit über 15 Jahren als freier Wirtschafts- und Finanzjournalist tätig. In den Bereichen Aktien, Fonds und Derivate publiziert er im deutschsprachigen Raum u.a. für Fachmagazine, Onlineplattformen und Newsletter.