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Kaum ein Beratungsunternehmen beobachtet das globale IPO-Geschehen so intensiv wie EY. Dr. Martin Steinbach, Partner und IPO-Leader bei EY, fasst die jüngsten Aktivitäten in diesem Segment zusammen und gibt einen Ausblick auf Tendenzen und Trends im internationalen Geschäft mit Börsengängen.

GoingPublic: Herr Steinbach, alles in allem hat sich das globale IPO-Segment im ersten Halbjahr 2024 eher verhalten entwickelt. Könnten Sie die wichtigsten Zahlen bitte kurz zusammenfassen.

Steinbach: In der Tat hätte es global betrachtet besser laufen können. Weltweit haben im ersten Halbjahr 551 Unternehmen den Sprung aufs Parkett gewagt – zwölf Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Auch das Emissionsvolumen ging von rund 60 Milliarden US-Dollar auf 52,2 Milliarden US-Dollar (-16%) signifikant zurück.

Dabei lassen sich allerdings deutliche regionale Unterschiede bei der Entwicklung feststellen?

Die „IPO-Maschine Asien“ ist erheblich ins Stottern geraten. So ging der Marktanteil der Region Asien-Pazifik am globalen IPO-Geschäft im ersten Halbjahr 2024 von 60 auf 39% zurück. Dabei wird das Bild vor allem durch die Entwicklung in China getrübt (-64% bei der Anzahl; -81% beim Emissionsvolumen). Gleichzeitig kam es zu einem Shift zu Gunsten Europas und den USA. In Europa ist die Zahl der Börsengänge um zehn Prozent auf 69 angestiegen, beim Emissionsvolumen kam es sogar zu einem Plus von 196%. Das Volumen am US-Markt konnte im ersten Halbjahr 2024 um 75% auf 17,8 Mrd. US-Dollar zulegen. Mit 249 Mrd. US-Dollar gewinnt die EMEIA-Region (Europe, Middle East, India & Africa) in der globalen IPO-Statistik erstmals die Goldmedaille in der Mannschaftswertung. Auch in Bezug auf die Einzelwertungen sieht es hier sehr gut aus. Bei sechs der zehn größten IPOs stammen die Emittenten aus Europa (5) bzw. aus dem Mittleren Osten (1). Europa ist in puncto IPOs derzeit sehr visibel. Das ist ein gutes Zeichen für den regionalen Markt, in dem wir tätig sind.

Worauf lässt sich die divergierende Entwicklung zwischen Asien und dem Rest der Welt im Wesentlichen zurückführen?

In den zurückliegenden Jahrzehnten konnten Asien und hier insbesondere China mit hohen Wachstumsraten glänzen. Dieses Wachstum musste zu einem großen Teil mit privatem Kapital finanziert werden. Schon allein die schiere Masse an chinesischen Unternehmen hat Asien dann zur IPO-Maschine der vergangenen Dekade gemacht. Das ändert sich nun.

Werden die Verschiebungen weiter anhalten?

Wir gehen davon aus, dass sich diese Entwicklung fortsetzen wird. Die asiatischen Wachstumsraten sind zwar immer noch hoch, sie gehen aber zurück. In anderen Teilen der Welt sollte das Wachstum zukünftig dagegen eher wieder zunehmen. Ein zweiter Punkt ist die unterschiedliche Geldpolitik. Auch wenn EZB und Fed ihre Zinsen nicht ganz so schnell senken wie ursprünglich erwartet, reden wir mittel- bis langfristig doch über weitere Zinssenkungen. Rückläufige Zinsen führen in der Regel aber zu Unternehmenswertsteigerungen und die beflügeln wiederum das IPO-Geschäft.

Ex-Asien zeigt die Entwicklung dann auch recht eindeutig nach oben. Die sich in den beiden vorangegangenen Quartal abzeichnende Belebung hat sich zuletzt fortgesetzt. Nur ein kurzes Strohfeuer oder zumindest in Europa und den USA eine signifikante Trendwende?

Mittelfristig sind die Aussichten positiv. Die erwartete Zinsentwicklung hatte ich bereits angesprochen. Nicht vernachlässigt werden dürfen zudem die Präsidentschaftswahlen, vor allem in den USA, aber auch in verschiedenen anderen Ländern. Über 50% der Weltbevölkerung ist dieses Jahr zur Wahl aufgerufen, darunter in vielen geopolitisch bedeutsamen Regionen. Die hierdurch hervorgerufenen nicht klar einschätzbaren potenziellen Veränderungen schaffen ein hohes Maß an Unsicherheit und dürften in den vergangenen Quartalen dämpfend gewirkt haben. Dieser Faktor entfällt im kommenden Jahr. So führen politische Veränderungen, wirtschaftliche Initiativen und eine stabile Marktstimmung nach den Wahlen im Großen und Ganzen zu einem günstigeren IPO-Umfeld. Von EY durchgeführte statistische Auswertungen haben für den US-Markt in Nach-Wahljahren um durchschnittlich 24% gesteigerte IPO-Aktivitäten ermittelt. Verglichen mit Wahljahren liegt der entsprechende Wert sogar bei +39%.

Welche Branchen standen bei den IPO-Aktivitäten zuletzt besonders im Fokus?

Gemessen am weltweiten Emissionsvolumen haben sich Technologie-Unternehmen mit 10,8 Mrd. US-Dollar im ersten Halbjahr am aktivsten gezeigt. Allerdings zählen Tech-Werte praktisch immer zu den Top-3-Sektoren. Sie bieten oft hohe Kursfantasie und sind deshalb oft gefragter als klassische Dividendentitel, bei denen zur Ertragsrealisierung auf die Auszahlung der Dividende gewartet werden muss. Was jeweils die weiteren präferierten Sektoren sind, hängt stark mit dem sektorspezifischen konjunkturellen Umfeld sowie der Zinsentwicklung und dem Zinsniveau zusammen. Im ersten Halbjahr 2024 lagen hier Health und Life Science (8,9 Mrd. USD) sowie Industrials (7,9 Mrd. USD) auf den Plätzen zwei und drei.

Was waren die größten IPOs des vergangenen Quartals?

Der größte Börsengang des bisherigen Jahres fand im zweiten Quartal in Spanien statt: Das Familienunternehmen Puig Brands SA aus der Konsumgüterbranche erzielte bei seinem IPO ein Emissionsvolumen von mehr als 2,9 Mrd. US-Dollar. Das Going Public von Puig Brands steht damit gleichzeitig für eins der bedeutendsten IPOs eines Familienunternehmens in den vergangenen Jahren. Der Konzern schlägt mit dem Börsengang ein neues Kapitel auf und bringt die Interessen der Erben in Einklang mit den Möglichkeiten, die der öffentliche Kapitalmarkt bietet.

Bezüglich der Familienunternehmen lässt sich eine eindeutige Tendenz erkennen?

Gerade in der MENA-Region gibt es immer mehr renommierte Familienunternehmen, die an die öffentlichen Kapitalmärkte drängen. Durch diesen Schritt lassen sich nicht nur das Geschäftswachstum und die Diversifizierung fördern, es vereinfacht auch die Nachfolgeplanung, verbessert die Governance und erhöht die Transparenz. So stehen Familienunternehmen oft vor der Herausforderung, ihr Geschäft ausbauen und gleichzeitig ihr Erbe bewahren zu müssen. Mit steigender Tendenz ist die Mehrzahl der weltweit größten Familienunternehmen inzwischen gelistet (siehe Grafik), wobei es diesbezüglich immer noch reichlich Potenzial gibt.

Quelle: EY

Bitte geben Sie uns zusammenfassend noch eine kurze Einschätzung hinsichtlich der derzeit wichtigsten Faktoren für die mittelfristige Entwicklung des globalen IPO-Geschäfts.

Zum Teil sind diese Faktoren im Laufe des Interviews schon angeklungen. Nach wie vor kommt der Inflation und daraus resultierend den Zinsen als treibender Faktor für die Unternehmensbewertung eine hohe Bedeutung zu. Diese Parameter können gemessen an den aktuellen Erwartungen sowohl in die eine als auch in die andere Richtung wirken. Als Zweites sind hier die geopolitischen Themen zu nennen. Sie müssen im Blick behalten werden und es ist darauf zu achten, inwiefern Investoren durch die ganzen Krisenherde von Neuengagements abgeschreckt werden. Der dritte Aspekt ist der Ausgang der Präsidentschaftswahlen in den USA sowie die damit verbundenen Implikationen für die verschiedenen Kapitalmärkte. Zu erwähnen ist zudem der konjunkturelle Ausblick für die verschiedenen Sektoren.

Vielen Dank für dieses Gespräch, Herr Dr. Steinbach.

Das Interview führte Dr. Martin Ahlers.


Zum Interviewpartner

Dr. Martin Steinbach ist Partner bei EY und Head of IPO and Listing Services in Deutschland. Außerdem ist er EY EMEIA (Europe, Middle East, India & Africa) IPO Leader. Steinbach konzentriert sich bei seiner Tätigkeit auf ganzheitliche IPO Readiness Beratung, Boardroom Advisory und Investor Relations Implementierung. Steinbachs Erfahrung vereint unterschiedliche Disziplinen und Perspektiven: die eines Investors, Emittenten, Beraters ebenso wie die einer Bank eines Eigenkapital aufnehmenden Unternehmens und einer Börse.

Autor/Autorin

Dr. Martin Ahlers

Dr. Martin Ahlers ist Finanz- und Wirtschaftsjournalist und als freier Redakteur bereits seit 1999 für die Kapitalmarkt Plattform GoingPublic, darunter das gleichnamige Magazin, tätig.