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Die Ampelkoalition hat einen Gesetzesentwurf für ein deutsches Whistleblower-Gesetz vorgelegt, der aber noch kontrovers diskutiert wird.
Immer noch sind in Deutschland Personen, die Missstände in Unternehmen oder Behörden melden, häufig Repressalien wie Mobbing, Abmahnungen, Disziplinarverfahren oder Kündigungen ausgesetzt. Das sollte eigentlich längst nicht mehr der Fall sein, denn bereits Ende vergangenen Jahres hätte die EU-Direktive 2019/1937 zum Schutz von Hinweisgebern und Hinweisgeberinnen in nationales Recht umgesetzt sein müssen. Unternehmen und öffentliche Einrichtungen sollten sich, unabhängig von der endgültigen rechtlichen Ausgestaltung, bei der Erfüllung der Anforderungen an der Best Practice orientieren – sonst laufen sie Gefahr, dass wichtige Hinweise sie nicht erreichen.
Die Ampelkoalition will nun endlich für Rechtssicherheit sorgen und Klarheit schaffen, wann und durch welche Vorgaben Whistleblower bei der Meldung von Missständen geschützt sind. An diesem Vorhaben war die Vorgängerregierung noch gescheitert; zu groß waren die Differenzen in der Großen Koalition. Aber auch der Entwurf für das „Gesetz für einen besseren Schutz hinweisgebender Personen“, den Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) im April vorgelegt hat, sorgte für Kritik von verschiedenen Seiten. Insgesamt erreichten das Ministerium mehr als 40 Stellungnahmen von Verbänden und anderen Interessenvertretern.
Allerdings sind durchaus auch positive Aspekte hervorzuheben, denn beim Anwendungsbereich geht der vorgelegte Entwurf sogar über die Anforderungen der EU-Richtlinie hinaus und beschränkt sich nicht nur auf das Unionsrecht. Unter bestimmten Voraussetzungen werden auch Meldungen von Verstößen gegen nationales Recht erfasst. Das betrifft einerseits Straftaten und andererseits Bußgeldtatbestände, soweit die verletzte Vorschrift dem Schutz von Leben, Leib oder Gesundheit oder dem Schutz der Rechte von Beschäftigten oder ihrer Vertretungsorgane dient. Unter den „sonstigen Verstößen“, die das Gesetz in Zukunft abdecken soll, werden u.a. Geldwäsche und Steuerbetrug, aber auch Verstöße gegen Vorgaben zum Umweltschutz oder zur Lebensmittelsicherheit genannt.
Kritik von Transparency International Deutschland
Eine große Schwachstelle des Entwurfs, die beispielsweise auch von der Antikorruptionsorganisation Transparency International Deutschland klar benannt wird, ist die fehlende Pflicht, anonyme Meldewege zuzulassen bzw. anonymen Meldungen nachzugehen. Hier ist zu befürchten, dass ohne den Schutz der Identität der meldenden Personen zahlreiche wertvolle Hinweise die Unternehmen nicht oder nur mit erheblicher Verzögerung erreichen.
Der „Whistleblowing Report 2021“, eine internationale Studie, die die Fachhochschule Graubünden in Kooperation mit der EQS Group erstellt hat, zeigt eindrucksvoll die Bedeutung von anonymen Hinweisen: Im Jahr 2020 wurde bei den Unternehmen, die anonymes Melden erlauben, jeder zweite Hinweis ohne Angaben zur Person eingereicht. Ohne diese anonymen Meldungen würden sich die Unternehmen damit einem deutlich höheren Risiko aussetzen: Denn laut der Studie konnten fast 40% der befragten Gesellschaften über 80% des finanziellen Gesamtschadens durch ihre Meldestellen aufdecken. In Deutschland war im Jahr 2020 immerhin jedes dritte Unternehmen von illegalem und unethischem Verhalten betroffen. Den dadurch entstandenen Schaden bezifferte gut ein Viertel der Befragten mit jeweils mehr als 100.000 EUR. Die drohenden finanziellen Auswirkungen von Missständen sind damit deutlich abschreckender als die Bußgelder von bis zu 20.000 EUR, die im Gesetzesentwurf vorgesehen sind, wenn die Vorgaben nicht erfüllt werden. Hinzu können Imageschäden kommen, die häufig noch schwerer wiegen. Deshalb sollten die Verantwortlichen auf dieses effiziente Frühwarnsystem nicht leichtfertig verzichten.
Studie: Nur jede zehnte Meldung missbräuchlich
Die fehlende Pflicht, anonymes Melden zu ermöglichen und den entsprechenden Hinweisen nachzugehen, wird in dem Entwurf damit begründet, zunächst Erfahrungen in Bezug auf Whistleblowing sammeln zu wollen. Diese Argumentation ist allerdings wenig überzeugend, denn digitale Systeme, die eine verschlüsselte und anonyme Kommunikation mit den Hinweisgebenden ermöglichen, sind bereits seit mehr als 20 Jahren umfassend im Einsatz. Viele Behörden und Unternehmen profitierten dabei von den automatisierten Prozessen.
Auch die Sorge, dass hinweisgebende Personen einen anonymen Meldekanal missbräuchlich nutzen könnten, wird im Whistleblowing Report 2021 nachdrücklich ausgeräumt. Nur jede zehnte Meldung hatte falsche oder verleumderische Inhalte – 44,2% der Meldungen waren hingegen relevant und gehaltvoll, wiesen also tatsächlich auf einen compliancerelevanten Missstand oder ein Fehlverhalten hin. Gleichzeitig wurde deutlich, dass der Anteil missbräuchlicher Meldungen bei Unternehmen, die anonymes Melden zulassen, nicht höher liegt als bei denjenigen, die keine Meldungen ohne personenbezogene Angaben entgegennehmen.
Digitale Systeme sind Best Practice
Wenn das deutsche Whistleblower-Gesetz, wie derzeit geplant, im Herbst 2022 verabschiedet wird, müssen Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden, öffentliche Einrichtungen und Gemeinden ab 10.000 Einwohnern einen sicheren internen Meldekanal vorweisen können. Bei der Einrichtung sollten jedoch nicht nur die Mindeststandards erfüllt werden, um drohende Strafen zu vermeiden. Aus Selbstschutz, aber auch im Sinne einer ethischen und starken Compliance-Kultur innerhalb der Organisation sollte auf Best Practice gesetzt werden.
Digitale Hinweisgebersysteme haben sich in dieser Hinsicht in der Praxis etabliert, da nur diese alle Anforderungen an eine sichere, anonyme und DSGVO-konforme Kommunikation erfüllen. Ein effizientes Meldesystem, das die Hinweisgebenden und deren Identität umfassend schützt, trägt auch maßgeblich dazu bei, Risiken zu identifizieren – denn so wird auch die Hemmschwelle bei Mitarbeitenden oder externen Stakeholdern, die vor allem vor der ersten Meldung sehr hoch ist, deutlich herabgesetzt. Klar ist nämlich auch: Nur wenn die meldenden Personen keine Repressalien befürchten müssen, leisten sie auch tatsächlich „einen wichtigen Beitrag zur Aufdeckung und Ahndung von Missständen“, wie es im Gesetzesentwurf ausdrücklich betont wird.
Autor/Autorin
Moritz Homann
Moritz Homann verantwortet als Managing Director Corporate Compliance bei der EQS Group den Produktbereich Corporate Compliance. In dieser Funktion berät er Unternehmen unter anderem bei der Einführung und Optimierung von Hinweisgebersystemen.