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Trotz Beendigung der Ampelkoalition hat die Bundesregierung den Entwurf des Zukunftsfinanzierungsgesetzes II (Regierungsentwurf eines Zweiten Gesetzes zur Finanzierung von zukunftssichernden Investitionen, ZuFinG II, vom 27. November 2024) beschlossen, der vor allem mit dem Vorschlag zum Delisting aufgrund von Insolvenz Aufmerksamkeit erregt. Sollte er Gesetz werden, wäre künftig durch bloße Eröffnung eines Insolvenzverfahrens ein Delisting ohne das bislang erforderliche Delisting-Erwerbsangebot möglich.
Gigaset AG, The Social Chain AG oder PAION AG – die Zahl der Insolvenzanträge auch börsennotierter Gesellschaften steigt. Und wie seinerzeit bei ARCANDOR AG oder Philipp Holzmann AG stellt sich die Frage, warum Emittenten auch noch Jahre nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens weiter an der Börse zu finden sind.
Insolvenz und Börsenzulassung
Die Insolvenz hat keine Auswirkungen auf die Börsennotierung und die Zulassungsfolgepflichten gelten weiter. Auch insolvente Emittenten bleiben an insiderrechtliche Regelungen der Marktmissbrauchsverordnung (Stichwort: Ad-hoc-Mitteilungen) gebunden und sind weiterhin zu umfassender Finanzberichterstattung verpflichtet.
Die Erfüllung dieser Pflichten ist mit Aufwand und Kosten verbunden, die zulasten der Insolvenzmasse gehen (so ausdrücklich § 24 WpHG). Sofern nicht die Notierung aufgrund guter Sanierungsaussichten bestehen bleiben oder die Gesellschaft nach Abschluss des Insolvenzverfahrens als Börsenmantel fortgeführt werden soll, liegt eine möglichst rasche Beendigung der Börsennotiz regelmäßig im Interesse der Gläubiger. Auch die Aktionäre einer insolventen Gesellschaft dürften bei Kurswerten nahe null regelmäßig das Interesse an einer Börsennotierung ihrer Gesellschaft verlieren.
Bisher ist ein Delisting bei Insolvenz nicht ohne Weiteres möglich: Denn nach der gerichtlich bestätigten Verwaltungspraxis der Frankfurter Wertpapierbörse (FWB) setzt auch der Widerruf der Börsenzulassung auf Antrag eines insolventen Emittenten ein Delisting-Erwerbsangebot nach den Vorschriften des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes voraus, das auf den Erwerb aller Aktien der Gesellschaft gerichtet und auch in Insolvenzkonstellationen mit erheblichen Kosten verbunden ist. Ein Investor wird sich hierfür nur in den seltensten Fällen finden. Ein Angebot durch die Gesellschaft scheitert regelmäßig daran, dass die Finanzierung nicht aus der Insolvenzmasse erfolgen und im Übrigen die Gesellschaft maximal Aktien im Umfang von 10% ihres Grundkapitals selbst erwerben darf.
Rolle des Börsenhandels
Also könnte man meinen, dass bei einer Insolvenz der im Börsengesetz vorgesehene Widerruf von Amts wegen eingreifen müsste. Voraussetzung hierfür ist, dass ein ordnungsgemäßer Börsenhandel auf Dauer nicht mehr gewährleistet ist und die Börsengeschäftsführung die Notierung im regulierten Markt eingestellt hat oder dass der Emittent seine Zulassungsfolgepflichten auch nach angemessener Frist nicht erfüllt. Vereinzelt erfolgt ein Widerruf von Amts wegen in Insolvenzsachverhalten, wie die Fälle der Praktiker AG oder der Wirecard AG zeigen. Hierbei handelt es sich aber um Ausnahmen: Denn nach ständiger Verwaltungspraxis der FWB erfolgt eine Handelseinstellung nicht bereits bei Eröffnung, sondern erst bei Abschluss des Insolvenzverfahrens bzw. nach Mitteilung über die Vermögenslosigkeit der Gesellschaft. Entfällt die Börsennotiz nicht vorher infolge eines sogenannten kalten Delistings aufgrund von Sanierungsmaßnahmen (z.B. Kapitalherabsetzung auf null), bleiben insolvente Emittenten oft für die Dauer des Insolvenzverfahrens an der Börse verhaftet.
Insolvente Emittenten sind kein rein theoretisches Phänomen
Angesichts dieser Hürden verwundert es nicht, dass derzeit knapp ein Dutzend Gesellschaften an der Frankfurter Börse gelistet sind, die sich in einem Insolvenzverfahren befinden (eine Übersicht findet sich unter www.boerse-frankfurt.de/
aktien/insolvenzverfahren). Ein Blick auf die Internetseiten dieser Emittenten verdeutlicht den Widerspruch zwischen Anspruch und Wirklichkeit der fortdauernden Börsennotierung: Eine Reihe an Gesellschaften erfüllt die Zulassungsfolgepflichten nicht vollständig. Insbesondere Finanzberichte werden häufig nicht innerhalb der gesetzlichen Fristen veröffentlicht.
Insolvenzeröffnung als Delisting-Alternative?
Das ZuFinG II adressiert diese von vielen als unbefriedigend empfundene Situation und schlägt die Einführung eines neuen
§ 39 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 BörsG-E vor, wonach bei Eröffnung eines Insolvenzverfahrens die Börsenzulassung auf Antrag zu widerrufen ist, ohne dass es eines Delisting-Erwerbsangebots bedarf. Der Börsengeschäftsführung käme nach der neuen Regelung kein Ermessen zu.
Nach dem Regierungsentwurf sei ein Abfindungsangebot nicht geboten, da Aktionäre ansonsten gegenüber Fremdkapitalgläubigern bevorzugt würden. Zudem erleichtere das Delisting die Sanierung der Gesellschaft, da die mit der Notierung verbundenen Kosten reduziert werden könnten.
Gesetzentwurf wirft Fragen auf
Angesichts der unbefriedigenden Situation insolventer „Börsenleichen“ ist die Initiative des Gesetzgebers zur Einführung einer Delisting-Möglichkeit für den Fall der Insolvenz zu begrüßen. Die Pflicht zur Abgabe eines Delisting-Erwerbsangebots zur Beendigung der Börsennotierung insolventer Gesellschaften führt in der Praxis zu unüberwindbaren Hürden. Auch aus Anlegerschutzgesichtspunkten ist in diesen Fällen ein Delisting-Erwerbsangebot regelmäßig wohl nicht geboten und die laufenden Kosten der Börsennotierung sind nicht im Interesse der Gläubiger.
Dennoch darf man fragen, ob dieser Vorschlag nicht zu pauschal ist, da er weder zwischen den einzelnen Insolvenzeröffnungsgründen differenziert noch eine Unterscheidung zwischen dem klassischen Insolvenzverfahren und einer Insolvenz in Eigenverwaltung vornimmt.
Dass solche Unterscheidungen relevant sein können, zeigt die Debatte um das StaRUG. Hier gibt es mit VARTA AG und LEONI AG prominente Fälle, bei denen Minderheitsaktionäre den Vorwurf der Enteignung erheben, weil sie ohne Chance auf eine Beteiligung an der Sanierung aus der Gesellschaft gedrängt würden (siehe Titelgeschichte von GoingPublic 3/2024, https://bit.ly/gp-titel324). Voraussetzung für die Eröffnung eines StaRUG-Verfahrens ist das Vorliegen des Insolvenzeröffnungsgrundes der drohenden Zahlungsunfähigkeit. Aktionärsschützer werfen den Initiatoren der StaRUG-Verfahren von VARTA und LEONI vor, diesen Insolvenzeröffnungsgrund zu leichtfertig anzunehmen.
Fazit
Es ist nicht unwahrscheinlich, dass Minderheitsaktionäre auch beim Delisting durch Insolvenzeröffnung den Beteiligten vorhalten werden, dass der Insolvenzgrund der drohenden Zahlungsunfähigkeit zu leichtfertig oder sogar aus strategischen Gründen angenommen wird. Insgesamt ändert dies jedoch nichts daran, dass die Intention des Gesetzgebers richtig ist, insolventen Unternehmen, die an der Börse keine Zukunft mehr haben, einen Abschied ohne Delisting-Erwerbsangebot zu ermöglichen.