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Spätestens mit ChatGPT, Gemini, Bing Chat & Co. ist künstliche Intelligenz (KI) demokratisiert und Realität im Ökosystem Börse. Auf intelligenten Algorithmen basierende Systeme und Large Language Models gewinnen am Kapitalmarkt immer mehr an Bedeutung. In der Finanzkommunikation eröffnet der Einsatz KI-unterstützter Anwendungen erhebliche Potenziale, die zu Effizienzgewinnen führen und zur Wertschaffung beitragen können.

Quelle: EY

Die KI steht im Begriff, die Arbeitsweise in der IR- und Finanzberichterstattungs­funktion branchenübergreifend und nachhaltig zu verändern. Eine aktuelle Studie (DIRK und EY: „Künstliche Intelligenz in der Finanzkommunikation und -disclosure“, 2024) beschäftigt sich mit Fragen wie: Welche neuen Potenziale und Herausforderungen eröffnen sich für die IR-Funktion, wie verändert der Einsatz von KI die IR-Aufgaben und -Ziele sowie die interne Organisation und welche Auswirkungen ergeben sich auf das Ökosystem Börse, den Markt und die Stakeholder durch die Verwendung von KI?

KI unterstützt als digitaler Co-Pilot die IR-Officer im beruflichen Alltag

Schon heute wird KI in die tägliche IR-Arbeit eingebunden und unterstützt die IR-Officer in ihrem beruflichen Alltag. So setzen bereits zwei Drittel der Unternehmen KI-unterstützte Anwendungen in der IR ein. Dabei gibt die Mehrheit der Befragten an, KI-Anwendungen vor allem für Übersetzungen, z.B. in der ­Finanz- und Ad-hoc-Berichterstattung, aber auch für Sprach- und Textanalysen, etwa bei der Erstellung von Reden und Lageberichtskomponenten, zu nutzen. Den größten Mehrwert durch die Verwendung einer KI sehen die IR-Befragten in der Zeitersparnis, gefolgt von der Steigerung der Effizienz und Schnelligkeit in der IR. Je kleiner die Unternehmen, desto eher spielt auch die Kostenersparnis bei der Verwendung von KI eine Rolle.

Gerade Generative KI ermöglicht dabei eine Vielzahl von Anwendungsmöglichkeiten in der IR. So sehen die IR-Befragten die ­größten Chancen für KI-unterstützte Anwendungen insbesondere im Bereich der Text­erstellung, der Übersetzung/Spracherkennung und im Research bei der Beschaffung von Informationen. Nach Ansicht der IR-Officer wird sich auch der manuelle Aufwand durch KI reduzieren.

Mehrwert von KI für die interne und externe Kommunikation

Neben der Kommunikation und der Pflege der Beziehungen zu Investoren ist die Organisation der IR-Funktion und internen Infrastruktur und Koordination der Prozesse mit anderen Abteilungen zur Einhaltung der Kapitalmarktregularien und der fortlaufenden Kapitalmarktpflichten im Kapitalmarktjahr oft eine wesentliche Aufgabe der IR. Dabei erwarten die IR-Officer, dass mit Verwendung einer KI als Copilot die abteilungsübergreifende Kommunikation wieder mehr in den Vordergrund rückt. Recherchearbeit kann durch KI ausgeführt werden, was Zeit für mehr Interaktion von Mensch zu Mensch schaffen kann. Auch bei der Interaktion mit externen Stakeholdern wird ein Anstieg erwartet. Die Mehrheit der IR-Befragten verspricht sich mehr Zeit für die Besprechung wichtiger Themen mit der C-Suite. Knapp die Hälfte sieht eine Tendenz zu einem geringeren Outsourcing der IR-Aufgaben, denn viele KI-Anwendungen können den IR-Officers inzwischen ein Gros der Arbeit abnehmen. Traditionelle IR-Dienstleistungen könnten verändert oder vollständig verdrängt und neue Formate sowie Standards eingeführt werden. Den IR-Officers zufolge sind am ehesten IR-Agenturen bei der Gestaltung von Finanzberichten durch den vermehrten Einsatz von KI betroffen.

Investoren können von Entlastung im Information Overload profitieren

Quelle: EY

Im Kapitalmarkt werden täglich unzählige Mengen von Daten generiert, die den Marktteilnehmern zur Verfügung gestellt werden – von Geschäftsberichten über Pressemitteilungen bis hin zu Social-Media-Posts. Diese rasant wachsenden Datenmengen gilt es für Investoren in verwertbare Informationen umzuwandeln. Schließlich können aus diesen Informationen wertvolle Erkenntnisse zur Optimierung von Investitionsentscheidungen gewonnen werden. Dabei gibt die Mehrheit der befragten IR-Officer an – vor allem solche von großen und mittelgroßen Unternehmen –, dass Investoren durch den Einsatz KI-unterstützter Technologien von einem besseren Extrahieren relevanter Informationen profitieren können. Die Nutzung von KI kann für Investoren außerdem zu einer Entlastung des Analyseteams führen. Vor ­allem IR-Officer großer Unternehmen sehen für Investoren die Möglichkeit, durch KI von einer besseren Finanzberichtstransparenz zu profitieren. Insbesondere für Nicht-Index-Unternehmen stellt die durch KI gegebene potenziell größere Researchreichweite einen weiteren Vorteil für Investoren dar.

Prüfung der KI-Ergebnisse mit IR-Kompetenz essenziell

Neben all der Euphorie über Chancen, Effizienz­gewinne und Vorteile der noch recht jungen Technologie in der Finanzkommunikation birgt der Einsatz auch nicht zu unterschätzende Gefahren und Herausforderungen. Die größten Bedenken sehen die IR-­Befragten in der Vertraulichkeit und der Sensibilität der Informationen. So besteht die Befürchtung, dass vor allem Unternehmensdaten, die Nutzer bei der Verwendung einer KI offenlegen, von dieser zur Generierung von Ergebnissen für Dritte verwendet werden. Als weitere Risiken werden Sicherheitsbedenken und Datenschutz sowie die schwere Überprüfbarkeit der Ergebnisse angeführt. Weitere Risiken sind für die IR-Officer die ­potenzielle Haftung für genutzte Ergebnisse der KI und das Risiko des Füllens von nicht vorhandenen Informationen durch die KI.

Nachholbedarf besteht bei unternehmensinternen KI-Richtlinien, die dabei helfen können, die Rahmenbedingungen für den KI-Einsatz und die rechtlichen sowie ethischen Grenzen von KI-Systemen aufzuzeigen. In mehr als der Hälfte der Unternehmen existiert bislang keine Richtlinie für den Einsatz KI-unterstützter Technologien.

Quelle: EY

Fazit

Die aktuelle Studie zeigt, dass Wertschöpfung durch KI keine Vision mehr ist. Die Integration von KI in die IR bietet große Chancen und ­Potenziale, die Finanzkommunikation und die Kommunikationslandschaft nachhaltig zu verändern. KI kann dabei insbesondere als Co-Pilot die IR-Officer in ihrem beruf­lichen Alltag unterstützen; ihr Einsatz ermög­licht es den IR-Teams, bei der Erfüllung ihrer Kernaufgaben effektiver und effizienter vorzugehen und die IR-Arbeit weiter zu professionalisieren und zu automatisieren. Bei der richtigen Aussteuerung der KI und der sorgfältigen Prüfung der jeweiligen KI-Ergebnisse zum Nutzen für die Corporate Governance und im Kapitalmarkt ist eines essenziell: die Fachkompetenz der IR-Funktion.

Autor/Autorin

Dr. Martin Steinbach
Partner, Head of IPO and Listing Services in Deutschland at Ernst & Young (EY) | Website

Dr. Martin Steinbach ist Partner und IPO-Leader bei EY. Er verantwortet seit April 2011 den Bereich IPO und Listing Services in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Christina Ohde

Christina Ohde ist Managerin im Team IPO und Listing Services bei EY.