„Großaktionäre nehmen Firmen nicht von der Börse, weil sie unattraktiv sind, sondern weil sie künftige Erträge nicht mehr mit anderen Aktionären teilen wollen“ (WiWo v. 14.08.2003)
Vorteile eines Delistings
Auch abseits der Interessen des Großaktionärs kann der Gang von der Börse für eine Gesellschaft eine Reihe von Vorteilen bieten. Dazu zählen neben den Kostenersparnissen durch den Wegfall der Publizitätsfolgepflichten und des Notierungsentgelts auch Einsparungen durch weniger aufwendige Hauptversammlungen sowie der Entfall komplexer Rechtsvorschriften (insbesondere WpHG und WpÜG). Des Weiteren bietet ein Delisting einen hohen Schutz gegenüber feindlichen Übernahmen, verschafft dem Unternehmer eine höhere Flexibilität und vereinfacht die Durchsetzung von Restrukturierungsmaßnahmen. Gleichzeitig kann man sich dem Einfluss „klagefreudiger“ Kleinaktionäre und einer möglichen Fehlbewertung durch einen nicht adäquaten Börsenkurs entziehen. Die Nachteile einer Beendigung der Börsennotierung, wie z.B. eine eingeschränkte Fungibilität der Aktien, der Wegfall des Marktpreises und der Möglichkeit, die Börse als Finanzierungsquelle zu nutzen, sind jedoch oftmals bei Emittenten von illiquiden Aktien ohnehin schon zu vernachlässigen.
Rechtliche Rahmenbedingungen
Der Gang von der Börse ist langwierig und mit hohen Kosten verbunden. Die bisher gültigen rechtlichen Rahmenbedingungen für ein Delisting, d.h. den Widerruf der Zulassung von Aktien zum Handel im regulierten Markt auf Antrag des Emittenten, hat der BGH mit der „Macrotron“-Entscheidung im Jahre 2002 spezifiziert (Urt. v. 25.11.2002 – II ZR 133/01). Danach
- fällt die Entscheidung über ein Delisting nicht in die Kompetenz des Vorstands, sondern bedarf eines entsprechenden Beschlusses der Hauptversammlung, für den eine einfache Mehrheit genügt.
- Vor dem Hintergrund der besonderen Bedeutung der Verkehrsfähigkeit notierter Aktien sah der BGH einen adäquaten Schutz der Minderheitsaktionäre nur dann als gewährleistet an, wenn „ihnen mit dem Beschlussantrag ein Pflichtangebot über den Kauf ihrer Aktien durch die Gesellschaft oder durch den Großaktionär vorgelegt wird“, das ihnen eine volle Entschädigung in Höhe des Verkehrswertes der Aktien vermittelt, und
- das im Rahmen eines Spruchverfahrens zu überprüfen war.
In der Folge hierzu haben einige Obergerichte klargestellt, dass die Anforderungen der Macrotron-Entscheidung nicht gelten, wenn ein Unternehmen aus dem regulierten Markt in ein Premiumsegment des Freiverkehrs (m:access oder Entry Standard) wechselt.
Diese Situation hat sich mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Juli 2012 (1 BvR 3142/07 und 1 BvR 1569/08) grundlegend verändert. Das BVerfG hat die Anträge der Antragsteller als unbegründet abgewiesen, in denen es um den grundsätzlichen Schutz von Aktionären bei einem Delisting geht, nämlich um die Frage, ob der BGH mit seiner „Macrotron“-Entscheidung noch die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung wahrt (was das Gericht grundsätzlich bejaht hat) und ob und wieweit die Zulassung zum Börsenhandel im regulierten Markt den verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentumsgrundrechts genießt (was der Senat verneint hat).
BVerfG widerspricht BGH
Mit der Entscheidung, dass die infolge ihrer Börsennotiz gesteigerte Verkehrsfähigkeit einer Aktie – entgegen der Ansicht des BGH – nicht unter den verfassungsrechtlichen Schutz des Eigentums fällt, hat der Senat einem wesentlichen Aspekt der Macrotron-Entscheidung des BGH die Grundlage entzogen. Die Anforderungen im Falle eines Rückzugs vom regulierten Markt sind damit ungeklärt. Folglich hat das OLG Frankfurt a.M. unter Verweis auf die Entscheidung des BVerfG bereits in einem Hinweisbeschluss (Beschl. v. 6.9.12, 21 W 62/12, 21 W 17/12) die Frage nach der Statthaftigkeit eines Spruchverfahrens bei Delistingfällen aufgeworfen.
Vor allem aber ist nunmehr (wieder) offen, ob die Entscheidung über die Durchführung eines regulären Delistings tatsächlich in die Kompetenz der Hauptversammlung fällt oder ob hier eine Entscheidung des Vorstands (ggfs. mit Zustimmung des Aufsichtsrats) genügt. Noch wichtiger ist die Frage nach der künftigen Erforderlichkeit eines Abfindungsangebots. Dabei war und ist ungeklärt, ob im Falle der tatsächlichen Erforderlichkeit eines Abfindungsangebots ein solches lediglich Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit eines Delistingbeschlusses ist oder ob im Falle eines Delistings – deutlich weitergehend – ein Anspruch von Minderheitsaktionären auf Zahlung einer angemessenen Barabfindung gegen die Gesellschaft oder einen (Haupt-)Aktionär besteht. Nur wenn diese Frage ebenfalls zu bejahen wäre, kann ein Gericht ein abgegebenes Delisting-Abfindungsangebot im Rahmen eines Spruchverfahrens nach Feststellung fehlender Angemessenheit erhöhen.
Letzteres war bereits vor der Entscheidung des BVerfG zweifelhaft, insbesondere soweit es nicht um einen Anspruch gegen die Gesellschaft, sondern um einen gegen einen anderen (Haupt-)Aktionär ging.
Ausblick
Das BVerfG hat die Zivilgerichte ausdrücklich dazu aufgerufen, im Falle eines vergleichbaren künftigen Rechtsstreits ihre Beurteilung in Anbetracht des fehlenden Eingriffs in die verfassungsrechtlich geschützte Eigentumsposition des Minderheitsaktionärs zu überdenken. Vor diesem Hintergrund stehen Unternehmen, die ein Delisting planen, nun vor der Frage, ob sie ihrem Vorgehen die Macrotron-Entscheidung zugrunde legen und für die Vorlage eines Abfindungsangebots sorgen oder aber auf ein solches zu verzichten und „es darauf ankommen“ zu lassen. Die dabei zu berücksichtigenden Faktoren sind in erster Linie Geld und Zeit: Letztendlich werden Delisting-Abfindungsangebote immer im Rahmen von Spruchverfahren (wo man sich über die Höhe der Abfindung streitet) angegriffen. Abfindungsangebote bieten dem Unternehmen und seinen Hauptaktionären den Vorteil, dass das Delisting-Verfahren durchgeführt werden kann. Demgegenüber stünde bei Verzicht auf ein Abfindungsangebot das Risiko, dass Gerichte bei einer Anfechtungsklage wegen Fehlens eines Abfindungsangebots die Durchführung des Delistings untersagen.