Dr. Matthias Schüppen, Partner, GRAF KANITZ, SCHÜPPEN & PARTNER
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An einer Aktiengesellschaft ist U über eine von ihm als Geschäftsführer und alleiniger Gesellschafter beherrschte U-GmbH mit mehr als 25% beteiligt. Der Aufsichtsrat der Gesellschaft besteht aus drei Mitgliedern. Nachdem zwei der drei Aufsichtsratsmitglieder ihr Mandat niedergelegt hatten, beantragte die von U beherrschte Aktionärin gem. § 104 AktG die gerichtliche Bestellung von U und Frau W, der Steuerberaterin der U-GmbH, zu Aufsichtsratsmitgliedern. Das einzig verbliebene Aufsichtsratsmitglied trat dem entgegen und beantragte, stattdessen Frau T und Herrn B zu bestellen; U und W würden nicht über die nötige Unabhängigkeit verfügen. Das OLG hatte zu entscheiden, ob das Amtgericht das Kriterium der (Un-)Abhängigkeit zu Recht herangezogen und zutreffend interpretiert hatte; zudem war strittig, ob Frau T als Finanzexpertin gelten konnte.

Die Entscheidung des Gerichts

Nachdem die förmlichen Voraussetzungen für eine gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern gemäß § 104 Abs. 2 AktG vorlagen, habe das Amtsgericht nach Auffassung des OLG gemäß § 104 Abs. 2 Satz 1 AktG grundsätzlich ohne Bindung an den Antrag der Beteiligten nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Diese Entscheidung sei jedoch an den Interessen der Gesellschaften auszurichten. Indem das Amtsgericht davon ausgegangen war, dass die von der U-GmbH vorgeschlagenen Kandidaten nicht unabhängig seien, habe es sich nicht von sachwidrigen Erwägungen leiten lassen. Die U-GmbH sei nicht unabhängig, da die Beteiligung an der Gesellschaft mit einem Anteil von mehr als 25% als eine geschäftliche Beziehung zur Gesellschaft zu werten sei. Die Beteiligung an der Gesellschaft sei eine Form der wirtschaftlichen Beziehung, die in besonderem Maße ein eigenes wirtschaftliches Interesse zu begründen vermöge. Wenn man sich an § 138 InsO orientiere, sei U eine nahestehende Person, die von der Abhängigkeitsqualifikation ebenfalls erfasst werde. Frau W sei zwar selbst nicht als abhängig anzusehen, jedoch begründe die Interessenvertretung des Hauptaktionärs im Bereich der Steuerberatung eine besondere Nähe zu diesem, die es gerechtfertigt erscheinen lasse, die Tätigkeit des Aufsichtsrats nicht durch die Bestellung eines einem Großaktionär nahestehenden Mitglieds zu belasten.

Demgegenüber seien die vom Amtsgericht bestellten Personen unabhängig, so dass das Gericht sein Ermessen pflichtgemäß ausgeübt habe. Auch wenn die Bestellung unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder nicht grundsätzlich gefordert werde, gebe es gegen die Ermessensauslegung, dass es sinnvoll sei, neutrale Personen zu bestellen, keine Bedenken. Anderenfalls bestehe Anlass zur Sorge, dass eine Lagerbildung im Aufsichtsrat dessen Aufgabenwahrnehmung nachteilig beeinflusse.

Mit der Bestellung von Frau T sei auch dem Erfordernis des § 100 Abs. 5 AktG genügt, wonach mindestens ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrats über Sachverstand auf den Gebieten der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung verfügen muss. Dies ergebe sich bereits aus der beruflichen Qualifikation von Frau T als Diplom-Betriebswirtin. Darüber hinaus begründe auch die Tätigkeit als Senior Business Analyst, Business Controller und Marketing Controller eine entsprechende Qualifikation. § 100 Abs. 5 AktG lasse sich nicht entnehmen, dass das zu wählende Aufsichtsratsmitglied schwerpunktmäßig mit den Bereichen Rechnungslegung oder Abschlussprüfung befasst sein müsse.

Bewertung

Die Entscheidung bestätigt zunächst die geringen Anforderungen, die an den Finanzexperten im Sinne des § 100 Abs. 5 AktG gestellt werden. Letztlich verzichtet die Rechtsprechung auf spezifische Kenntnisse und lässt generelle Geschäftserfahrungen ausreichen. Das ist kritikwürdig, liegt aber auf der Linie des bisherigen Entscheidungsmaterials.

Ebenfalls kritikwürdig und kaum vertretbar sind die Ausführungen des Senats zum Begriff der Unabhängigkeit. Es ist offenkundig, dass der Kodex in seiner bis 2011 geltenden Fassung die Stellung als Gesellschafter nicht als eine „geschäftliche Beziehung“ zur Gesellschaft qualifizierte; bestätigt wird dies insbesondere durch die 2012 vorgenommene Änderung des Kodex, wonach die Stellung als beherrschender Gesellschafter „kodexautonom“ als unabhängigkeitsschädlich definiert wurde. Anders als das OLG Hamm hat das OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 22.11.2012 (I-6 U 18/12, HV-Magazin 2/2013, S. 29) zutreffend der gesetzlichen Regelung (insbesondere §§ 312, 314 AktG) entnommen, dass sich aus der Stellung als Groß- oder Mehrheitsaktionär keine Abhängigkeit ergibt. Auch das Argument des Senats, dass eine „Lagerbildung“ im Aufsichtsrat vermieden werden müsse, ist abwegig, nachdem Aufsichtsratsmitglieder bekanntlich mit einfacher Mehrheit gewählt werden.

Die Frage der (Un-)Abhängigkeit ist nicht nur für § 100 Abs. 5 AktG und verschiedene Kodexempfehlungen, sondern nach der vorliegenden Entscheidung des OLG Hamm auch für die gerichtliche Bestellung von Aufsichtsratsmitgliedern von Bedeutung. Es ist daher angesichts der divergierenden Ansichten der Oberlandesgerichte dringend zu wünschen, dass der BGH bald Gelegenheit erhält, ein klärendes Wort zu sprechen; aus Sicht des Verfassers wäre es zu begrüßen, wenn er dabei dem OLG Düsseldorf folgen würde.

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