Für Neuemittenten gilt der alte Grundsatz: An der Börse werden Erwartungen – also die Zukunft – verkauft! Worauf kann sich der Anleger bei seiner Anlageentscheidung stützen?  Zunächst steht jedem Interessenten – sofern ein öffentliches Angebot stattfindet – ein Wertpapierprospekt zur Verfügung. Daraus kann er quantitative Angaben zum Emittenten in Form von Jahresabschlüssen, die üblicherweise drei Jahre in die Vergangenheit gehen, sowie qualitative Beschreibungen über Chancen und Risiken des Geschäftsmodells und der Strategie entnehmen. Handelt es sich um einen „privilegierten“, institutionellen Anleger, der Zugang zum Management („Roadshows“) und vielleicht sogar zu Analystenstudien hat, erhält er zusätzliche wertvolle Entscheidungshilfen.

Prof. Dr. Wolfgang Blättchen
Prof. Dr. Wolfgang Blättchen

Grundsätzlich gilt: Je älter das Unternehmen, desto einfacher lässt sich die Erwartung für die Zukunft einschätzen, da im einfachsten Fall bekannte Vergangenheitswerte innerhalb eines Erwartungskorridors fortgeschrieben werden. Bei jungen Emittenten macht die Fortschreibung vergangener Erfahrungswerte nur begrenzt Sinn, da die Breite des Erwartungskorridors aufgrund der Unsicherheit zu groß ist und viele Szenarien – optimistische wie pessimistische – zulässt. In diesen Fällen muss der Anleger vor allem auf die Qualität des Managements setzen, um deren Aussagen über künftige Entwicklung als richtig oder falsch zu beurteilen. Neben dem Aspekt der Branche spielt die Größe des Emittenten eine wichtige Rolle, wobei am Kapitalmarkt damit immer die Marktkapitalisierung gemeint ist. Zwar gibt es einen Zusammenhang zwischen Höhe der Marktkapitalisierung und Umsatzgröße, doch ist diese Korrelation – in der Praxis bekannt als „Umsatzmultiple“ – branchenabhängig und damit wieder sehr unspezifisch. So ist es nicht selten, dass ein junges Biotech-Unternehmen mit wenig oder gar keinen Umsatzerlösen eine höhere Bewertung aufweist als ein alt eingesessenes Maschinenbauunternehmen. Je „größer“ ein Börsenkandidat ist, desto intensiver werden sich die involvierten Investmentbanken und ihre Analysten mit dem Unternehmen auseinandersetzen, um ihre Investorenklientel nicht zu enttäuschen.

Gibt es daher auch einen messbaren Unterschied zwischen kleinen und großen Emittenten in Bezug auf deren Erfüllungsgrad ihrer zum Zeitpunkt des IPOs kommunizierten Erwartungen? Hierzu haben wir die Performance der im Zeitraum zwischen 2010 und Juni 2017 stattgefundenen IPOs an den deutschen Börsen untersucht. Die erhaltende Grundgesamtheit von 50 Emittenten wurde in zwei Gruppen mit weniger und mehr als 500 Mio. EUR Marktkapitalisierung beim Börsengang aufgeteilt und auf ihre relative Performance einen Monat, sechs Monate und zwölf Monate nach dem IPO untersucht. Das Ergebnis ist eindeutig: Die Gruppe der Emissionen mit weniger als 500 Mio. EUR Börsenwert weist in den Perioden sechs und zwölf Monate eine deutlich negative Performance auf. Das IPO-Pricing war „ex post“ gesehen zu optimistisch. Ganz anders bei der Gruppe der „großen“ Emittenten (>500 Mio. EUR Börsenwert), die in den gleichen Perioden eine positive Performance erzielten: Hier ist ein langfristiges „Underpricing“ zu beobachten.

Aus Emittentensicht lässt sich aus diesem Ergebnis nur eine Konsequenz ableiten: Langes Warten lohnt sich für junge Wachstumsunternehmen eigentlich eher nicht. Der Markt ist bereit, optimistische Szenarien zu bezahlen. Es ist unter diesem Gesichtspunkt eher falsch, den Gang an die Börse zu weit in die Zukunft hinauszuschieben.

Der Beitrag ist eine Vorab-Veröffentlichung aus dem GoingPublic Magazin 8-2018, das in den nächsten Tagen erscheinen wird.

 

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