Bildnachweis: AVEMIO AG.
Das hatte sich CEO Ralf P. Pfeffer anders vorgestellt. Mit großen Ambitionen im Herbst 2023 an die Börse gestartet und sogleich in eine Branchenflaute geraten. Gepaart von wenig Investorenbereitschaft konnte die angekündigte Expansion nach Europa nicht termingerecht stattfinden. So ging es mit dem Umsatz auch nicht Richtung 110 Mio. EUR, sondern auf 99 Mio. EUR nach unten. Kein Beinbruch wie wir finden, denn die Ziele des umtriebigen Konzernchefs sind nicht aus der Welt und stehen nach umfangreicher Erfahrung eines holprigen Börsenstarts unverändert auf der Agenda. Die Zeichen stehen gut, denn die Avemio hat in 9 Monaten viel gelernt und bereits wichtige Schritte umgesetzt.
Das Jahr 2023 lief alles andere als gut
Als Ralf P. Pfeffer Ende Juni seine Geschäftszahlen für das Jahr 2023 veröffentlichte, musste er eingestehen, dass die ursprüngliche Prognose von 115 bis 120 Mio. EUR Umsatz und einem einstelligen EBIT in der Region 4 bis 6 Mio. EUR, dann doch nicht erreicht werden konnte. Schon im Januar gab das Management zur Kenntnis, dass die Umsätze sich schwächer entwickeln und dass im EBITDA nur knapp die Pluszone erreicht werden kann. Noch etwas schlechter lief es dann bis zum Jahresende. Insgesamt erreichte der Umsatz nur 99,2 nach 108,7 Mio. EUR und das EBITDA schaffte mit aller Kraft die Nulllinie nach 4,4 Mio. EUR in 2022. Ursächlich für die veränderte Umsatzentwicklung war insbesondere, dass die im Juni 2023 erworbenen Gesellschaften MoovIT GmbH und MoovIT Software Products GmbH entgegen der ursprünglichen Planung nicht rückwirkend zum 1. Januar 2023, sondern erst zum 1. September 2023 konsolidiert werden. Der darauf basierende Umsatzeffekt belief sich auf rund 3,6 Mio. EUR. Die negative Veränderung im EBITDA ist darüber hinaus durch unerwartet höhere Anlauf- und Entwicklungskosten von Start-ups und Inkubatoren im Konsolidierungskreis geprägt. Das Eigenkapital verbesserte sich zum 31. Dezember 2023 durch die Einbringung der Teltec AG um 13,4 auf rund 25,9 Mio. EUR. Damit erreichte die Eigenkapitalquote einen Wert von über 50 %.
Wilde Kurs-Spekulationen in 2023
Die Aktie der Avemio AG ist im April 2023 in den Primärmarkt Düsseldorf aufgenommen worden. Die ersten Wochen waren dabei geprägt von wilden Wachstumsspekulationen eines Börsenbriefs, der den Kurs von 40 auf über 80 EUR anstiegen ließ. CEO Ralf P. Pfeffer fühlte sich mit dieser Höherbewertung keinesfalls gut, denn kurz nach der Börseneinführung wollte das Unternehmen erst unter Beweis stellen, wie die europäische Konsolidierung in der Medien-Technologie von statten gehen kann. Bis Jahresende fiel die technische Sonderbewegung dann auch in sich zusammen und der Avemio-Kurs landete bei etwa 5 EUR. Mit 3,832 Mio. emittierter Stücke inklusive der jungen Aktien errechnete sich die Bewertung damit nur noch auf knapp 20 Mio. EUR. Für etwa 100 Mio. EUR Umsatz war die Aktie zu diesem Zeitpunkt sicherlich unterbewertet und auch die Research-Häuser revidierten ihre Schätzungen. Erst im Nachhinein stellte Avemio wohl fest, dass man es mit einem schwierigen Medienjahr zu tun hatte. Da gab es dann den einen oder anderen Anpassungsbedarf zu den vorherigen Prognosen. Insgesamt kein Beinbruch!
In der Realität angekommen
Die konjunkturelle Abkühlung führte insbesondere im zweiten Halbjahr 2023 zu einer deutlichen Abschwächung der Nachfrage. Hiervon betroffen waren große Projekte insbesondere zeigte sich die ausbleibende Investitionsbereitschaft in den Geschäftsmodellen im Bereich Social Media, die sich hauptsächlich aus Marketingbudgets finanzieren. CEO Pfeffer bezeichnete diese Situation mit „zugenähten Taschen“. Als Sahnehäubchen kam es dann wegen Preisanpassungen in der Branche auch noch zu einem Streik der Autoren- und der Schauspielergewerkschaft in den USA, der mit einiger Verzögerung auch erhebliche Auswirkungen auf die europäische Produktionslandschaft hatte. Die Einigung mit den Gewerkschaften dauerte allerdings bis zum Jahresende, nun laufen die Produktionen in Übersee wieder sukzessive an. In Europa wird sich dies mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung trotz flauer Konjunktur positiv bemerkbar machen.
Viel gelernt, jetzt geht es in die Umsetzung
Eine steilere Kapitalmarkt-Lernkurve hätte sich der noch börsenunerfahrene Pfeffer nicht vorstellen können. Trotzdem hat er seine Erwartungen für die nahe Zukunft nicht über den Haufen geworfen. Im Gegenteil: „Meine Erfahrungen aus mehr als 30 Jahren als Unternehmer haben mich gelehrt, wie auf negative Veränderungen bzw. externe Effekte zu reagieren ist. Die Phasen, in denen nicht alles glatt läuft, haben uns zu dem gemacht, was wir heute sind: Marktführer.“
Im August 2024 hat sich der Kurs wieder auf 9,70 EUR emporgeschwungen, die Zahlen für 2023 sind endlich raus und der erste Sturm auf die Aktie scheint sich gelegt zu haben. Akquisitionsmittel gab es in der Bilanz noch in Form von 5,5 Mio. EUR Cash sowie frei Kreditlinien von 2,3 Mio. EUR. Weiterhin besteht eine Zusage der Beteiligungs-Managementgesellschaft Hessen mbH (BMH) über eine stille Beteiligung in Höhe von 5 Mio. EUR, die das Eigenkapital weiter stärken und zur Unterstützung von Zukäufen dienen soll.
Mit interessanten Start-Ups in neue Geschäftsfelder investieren
Der Mut, frühzeitig in neue Technologien zu investieren, hat sich im abgelaufenen Geschäftsjahr noch nicht ausgezahlt. So sind die Anlaufverluste der gegründeten Start-ups größer ausgefallen als geplant. Dies ändert jedoch nichts an den spannenden Perspektiven in diesem innovativen Umfeld. Denn „mit mehreren Neugründungen stehen wir genau an dem Gleis, an dem die Zukunft einfahren wird“, so CEO Pfeffer. „Mit neuen technologischen Mitteln können wir die Marge dramatisch ausweiten, wir sprechen hier von einer Vervielfachung. Zu den deutlich höheren Margen aus dem Digitalgeschäft gesellen sich wiederkehrende Umsätze aus regelmäßigen Lizenz- und Serviceeinnahmen. Mit dem Hinzunehmen der MoovIT und unseres Cloud-Ansatzes namens Helmut können wir jetzt auch moderne Großprojekte annehmen. Und mit unserer neuen Beteiligung ObviousFuture betreten wir das Feld der Künstlichen Intelligenz in der Medien-Technologie.“ Das klingt alles sehr spannend, doch der Weg in eine nachhaltige Profitabilitätssteigerung führt noch an einigen Hindernissen vorbei.
Die nahe Zukunft bringt eine weitere Konsolidierung und mehr Dynamik
Denn Avemio rechnet für das laufende Jahr nicht nur mit einer deutlichen Beschleunigung der noch andauernden Konsolidierung des Handelsbereiches, sondern auch mit einem Nachholeffekt bei höherpreisigen Investitionsgütern. Die notwendige Reorganisation hat Geld gekostet und wird weiter betrieben. Sie schreitet voran und stellt den Konzern mittelfristig robuster auf. Damit werden tiefere Einschnitte wie im letzten Jahr wohl vermeidbar. CEO Pfeffer möchte das gigantische Potenzial des veritablen Geschäftsmodells bestmöglich heben, denn Avemio ist mit seiner Strategie in Europa einzigartig und kann in einem fragmentierten Markt noch ordentlich wachsen. Auf der engeren Target-Liste standen Ende 2023 noch 15 Unternehmen, zu denen bereits Kontakt aufgenommen wurde. In naher Zukunft ist daher mit weiteren Zukäufen zu rechnen.
Im zweiten Anlauf doch noch ins Ziel?
Avemio hat über seine Tochter Teltec AG im Juli 80 % für einen mittleren einstelligen Millionen Euro-Betrag des Stammkapitals der L.E.A. Investment GmbH, von der Orbiton Holding erworben. Mit dieser Transaktion besitzt die Teltec AG auch sämtliche Geschäftsanteile der Finanzierungstochter Infinment GmbH. Die L.E.A. Investment GmbH ist ein auf Corporate Finance spezialisiertes Beratungshaus mit Schwerpunkt auf umsetzungsorientierte Akquisitions- und Wachstumsfinanzierung. Viele werden Fragen was hier dahintersteckt? Die Antwort ist naheliegend, denn Avemio besitzt nun einen eigenen Finanzierungsspezialisten und eröffnet sich damit neue Spielräume in der Absatz- und Akquisitionsstrategie. Künftig sollen Avemio-Kunden das technische Equipment auch inhouse mieten können, das erhöht die Marge im sonst eher kleinteiligen Handelsgeschäft. Strategisch erhöht sich die Schlagzahl und fördert die ursprünglich angedachte Buy-and-Build-Strategie.
Mit der neuen IT- und KI-Kompetenz kann sich Avemio nun zu einem starken Medientechnologie-Konzern weiterentwickeln. Wenn es um professionelle oder semi-professionelle Fernsehtechnik geht, erscheint Teltec bei der Internetsuche in der Regel ganz oben auf der Liste. Das ist ein ganz wichtiger Aspekt mit Hinblick auf Beratung in den Bereichen Digitalisierung, künstliche Intelligenz und vor allem dem Metaverse. Der USP liegt bei Avemio ganz klar auf dem von Herstellern unabhängigen Produktportfolio und dem starken Beratungsansatz im Verkauf. Nun wird diese Welt digitalisiert und Avemio mischt mit seinen neuen Töchtern kräftig mit. Man möchte sich gar nicht ausdenken, wenn sie in 2025 auf den Empfehlungslisten für „Künstliche Intelligenz“ auftaucht. Eine spannende Story, die mit etwas Verzögerung vielleicht doch noch eine ordentliche Rendite liefert.
Autor/Autorin
André Will-Laudien
André Will-Laudien ist Mitglied der GoingPublic-Redaktion. Seit 1995 ist er in verschiedenen Stationen bei Banken als Vermögensverwalter, Kapitalmarkt- und Makroexperte sowie als fundamentaler Aktien-Analyst tätig. Seine Passion gilt den Energie-, Rohstoff- und Technologiemärkten sowie der taktischen und strategischen Asset Allokation von liquiden Anlageprodukten.