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BioNTech wurde 2008 quasi „auf der grünen Wiese“ gegründet und mit einem Anfangsinvestment von rund 150 Mio. EUR ausgestattet. Nach weiteren zwei Finanzierungsrunden in 2018 und 2019 und einem erfolgreichen IPO an der Nasdaq im Oktober 2019 hat das Unternehmen aktuell eine Marktkapitalisierung von rund 8 Mrd. EUR (Stand 12. März). Laut Sierk Pötting hat „der Börsengang in den USA BioNTech auf das internationale Parkett gehoben“. Rund 1.300 Mitarbeiter waren Ende 2019 für BioNTech tätig.
Von Mathias Renz
Plattform Life Sciences: Sie haben sich zum Ziel gesetzt, die Krebsmedizin zu individualisieren. Wie weit sind Sie auf diesem Weg?
Pötting: Mittlerweile haben wir 10 von unseren 20 Produktkandidaten in klinischen Studien. Das nächste Ziel ist es, den ersten Produktkandidaten noch in diesem Jahr in Phase III zu bringen. Wir sind auf einem guten Weg.
Plattform Life Sciences: Erinnern Sie sich noch an die ersten Schritte in 2008? Können Sie uns kurz skizzieren, wie die Idee zu BioNTech entstand und was die ersten Schritte waren?
Motschmann: Das Forscherehepaar Ugur Sahin und Özlem Türeci haben wir schon im Jahr 2006 im Rahmen der Finanzierung von Ganymed kennen kennengelernt. Nachdem das Family Office Strüngmann und wir von den MIG-Fonds uns an Ganymed beteiligt hatten, waren wir mit Ugur Sahin immer wieder im Gespräch über weitere Geschäfts- und Produktideen. Der Startschuss zur Gründung der BioNTech AG war eine Präsentation des heutigen CEO Ugur Sahin im Family Office Strüngmann zu innovativen Technologie- und Plattformansätzen im Bereich der Onkologie im Jahr 2008. Daraus entstand die Idee für BioNTech. Thomas und Andreas Strüngmann statteten auf Basis eines Businessplans daraufhin im November 2008 gemeinsam mit den MIG Fonds im Verhältnis von etwa 90:10 das Unternehmen mit einer Anfangsfinanzierung von 150 Mio. EUR aus. Grundvoraussetzung war die Einbringung unter anderem von Technologien und Patenten in Absprache mit den universitären Partnern.
Plattform Life Sciences: Wie war Ihr Weg ins Unternehmen, Herr Dr. Pötting?
Pötting: Ugur Sahin habe ich 2007 noch vor der Gründung kennengelernt und er fragte mich, ob ich CFO seiner geplanten Company werden möchte. Doch auch wenn mein Herz eigentlich für solch ein Projekt schlug, wollte ich zu diesem Zeitpunkt noch meine persönliche Toolbox erweitern. Ich bin Physiker, war bei McKinsey und mein letztes Projekt dort war der Hexal-Sandoz-Merger im Jahr 2005. Anschließend bin ich zu Sandoz-Novartis gewechselt und war in Holzkirchen und in den USA tätig. 2013 wurde ich vom BioNTech-Aufsichtsratsvorsitzenden Helmut Jeggle noch einmal angesprochen. Der Zeitpunkt war der richtig und ich habe sofort zugesagt. Damals hatte BioNTech etwa 320 Mitarbeiter.
Plattform Life Sciences: Was können Unternehmer aus der Erfolgsgeschichte BioNTech lernen?
Motschmann: Die Erfolgsgeschichte von BioNTech fußt auch auf einer Mischung aus organischem Wachstum und Buy and Build. Wir haben die Chance genutzt, Unternehmensteile, die wir hätten aufbauen müssen, die aber verfügbar waren, zum richtigen Zeitpunkt dazuzukaufen. Im Jahr 2009 haben wir z. B. die Eufets GmbH aus Idar-Oberstein übernommen, die uns eine Inhouse-Fertigung ermöglicht hat. Darüber hinaus haben wir JPT – Jerini Peptide Technologies aus Berlin gekauft, was sehr wichtig für den Bereich Diagnostics war. Man muss Einheiten, wenn sie für einen akzeptablen oder sogar attraktiven Preis verfügbar sind, nicht zwangsweise selbst aufbauen. Allerdings bedarf es hierzu natürlich einer gewissen Finanzstärke, über die nicht viele junge Unternehmen verfügen.
Pötting: Es gab den visionären Gründer, der einen unglaublich langen strategischen Plan im Kopf hatte. Durch seine Erfahrung mit Ganymed wusste er, dass es zur Umsetzung seines neuen Vorhabens einen sehr langfristig orientierten Investor benötigt. Diese Basis hat er mit dem Family Office Strüngmann und den MIG Fonds geschaffen. Er war sich seines Planes sicher und hat zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Schritte und Akquisitionen angeschoben.
Motschmann: Wer sich auch sehr frühzeitig bei der Strategie, mit großem Knowhow und Netzwerk eingebracht hat, war Helmut Jeggle aus dem Family Office Strüngmann. Er fungiert seit dem ersten Tag als Aufsichtsratsvorsitzender und ist auch ein Investor der ersten Stunde. Er hat strategisch signifikant mitgewirkt und stand dem Team immer als Sparringspartner zur Seite. Das Unternehmen hatte einen klaren Finanzplan entwickelt. Denn 150 Mio. EUR sind, auch wenn es eine große Summe ist, irgendwann endlich. Eine wichtige Entscheidung war es, sich zum richtigen Zeitpunkt die richtigen Partner zu suchen.
Plattform Life Sciences: Wie schwierig gestaltete sich die Partnersuche als noch relativ unbekanntes Unternehmen?
Pötting: Die Phase der Partnersuche startete ca. 2014, als die Plattformen einen gewissen Reifegrad erreicht hatten. Zuvor waren wir in einer Art Tarnkappenphase. Es gab keine Webseite, es gab lediglich ein paar Pressemitteilungen z. B. aufgrund der Akquisitionen. Noch im Jahr 2014 haben wir den ersten Collaboration Deal – ein TCR Discovery Programm mit Eli Lilly abgeschlossen. Das war der Durchbruch. Kurz darauf haben wir eine Kollaboration mit Genmab auf bispezifische Antikörper abgeschlossen, noch im gleichen Jahr mit Sanofi auf Messenger RNA. Der größte Plattform-Deal war jener mit Genentech im Jahr 2016 über knapp 300 Mio. EUR. Bis auf Eli Lilly waren all diese Kooperationen Cost Sharing / Profit Sharing-Deals, also keine Lizenzvereinbarungen, sondern fast alles 50:50 Deals. Wir wollten unbedingt als gleichberechtigter Partner dabeibleiben, denn wir haben an die Technologie geglaubt und daran hat sich nichts geändert. Unsere Partner aus dem Bereich Pharma helfen uns bei der klinischen Entwicklung – es sind echte Partnerschaften. Es gibt allerdings auch noch viele Produktkandidaten, die wir eigenständig entwickeln.
Plattform Life Sciences: Wie offen waren die Türen der Investoren im Jahr 2016. Es ging ja teilweise um Tickets in dreistelliger Millionenhöhe?
Pötting: Das Sprungbrett war der Genentech-Partnering-Deal, der uns in die richtige Liga gebracht und in den USA sichtbar gemacht hat. Anschließend waren wir gefragt und es galt, potenzielle Investoren in vielen Gesprächen zu überzeugen, also Investor Education und Investor Relations zu betreiben. Wichtig war den Neuinvestoren das klare weitere Bekenntnis der Familie Strüngmann zum Unternehmen. Für uns war auf der Gegenseite wichtig, dass die Investoren langfristig daran interessiert sind, die Produkte zur Marktreife führen zu wollen, dass sie vom Mindset zu uns passen, produktiv und konstruktiv mitarbeiten.
Motschmann: Die Alternative, später noch an den Kapitalmarkt zu gehen, sollte nach wie vor erhalten bleiben. In der Phase der Investorenansprache und -betreuung hat sich das Vorstandsmitglied Sean Marett, der eigentlich das Business Development verantwortete, sehr stark eingebracht. Alle – damals noch drei – Vorstandsmitglieder haben wirklich einen tollen Job gemacht.
Plattform Life Sciences: Was sind die Lessons learned für Sie als Anfangsinvestor und Aufsichtsratsmitglied seit der ersten Stunde?
Motschmann: Spaßig formuliert würde ich sagen: Mache brillante Investments mit genialen Typen. Doch ganz so einfach ist es nicht. Biotechnologie benötigt viel Zeit und viel Kapital. Deshalb ist der Traum eines Visionärs wie Ugur Sahin nur umsetzbar mit der Handlungsfreiheit eines visionären Investors. Das geht nur zusammen im Team, keiner kann das alleine schaffen. Wenn man hier als kleinerer Investor, wie wir mit den MIG-Fonds, Teil des Ganzen wird, so hat man Möglichkeiten die Erfolgsgeschichte mitzugestalten. Aber wir können das Unternehmen nicht wie ein großes Family Office durchfinanzieren, weil wir weder das Kapital dazu haben, noch es unsere Statuten erlauben in beispielsweise notierte Unternehmen zu investieren. Und weil wir ein Venture Capital-Investor sind, der in frühere weniger kapitalintensive Phasen investiert. Ganymed haben wir, Athos und MIG, einst komplett verkauft, weil der Kapitalbedarf in den späten klinischen Entwicklungsstufen einfach exorbitant geworden wäre.
Plattform Life Sciences: Erfolg entsteht nicht nur auf dem Reißbrett, sondern ist das Ergebnis harter Arbeit und der richtigen fallbezogenen Entscheidungen. In welchen Punkten waren sich Unternehmenslenker und Investorenkonsortium immer einig. Worüber gab es die größten Diskussionen?
Pötting: Die entscheidendsten Diskussionen wurden im Aufsichtsrat geführt, das ist das strategische Gremium. Bis vor drei Jahren waren wir ein dreiköpfiger Vorstand und ein dreiköpfiger Aufsichtsrat. Hier haben wir Wachstum, Investorenbasis, Strategie beleuchtet und wenn es sein musste, schnell umgesetzt. Als es zum Beispiel darum ging, eine Produktionsfirma zu kaufen, fiel die Entscheidung innerhalb kürzester Zeit. Wir haben gekauft, restrukturiert, integriert und konnten dadurch den ersten eigenen Patienten in unserer ersten klinischen Studie geschätzt ein bis zwei Jahre früher behandeln, als wenn wir auf einen externen Dienstleister hätten zugreifen müssen.
Motschmann: Für Biotech-Firmen gibt es keine Blaupause, die zu treffenden Entscheidungen sind sehr individuell. Jeder im Aufsichtsrat, also Christoph Huber, Helmut Jeggle und ich selbst, kann in unterschiedlichen Bereichen etwas beitragen. Seit drei Jahren ergänzt Dr. Ulrich Wandschneider das Gremium.
Pötting: Viele Fragen tauchen das erste Mal auf, bei uns z. B. das Thema der Abfüllung von Impfstoffen. Natürlich sprechen wir mit allen großen Abfüllern, aber wenn es um Mengen von 20 Millilitern geht, fallen 90 % der Anbieter weg. Das sind scheinbar triviale und bereits gelöste Fragen, mit denen sie sich aber wieder beschäftigen müssen, wenn sie ganz neue Therapieansätze auf den Markt bringen.
Plattform Life Sciences: Was waren im Rückblick die wichtigsten Meilensteine für das Unternehmen?
Motschmann: Zum einen sicherlich die Seed-Finanzierung in Höhe von 150 Mio. EUR, um dadurch die Sicherheit und Ruhe zu haben, ein Unternehmen unter dem Radar entwickeln zu können und erst aufzutauchen, wenn man satisfaktionsfähig ist. Zum anderen die frühe vertikale Ausrichtung, die wissenschaftliche Validierung durch Partnerschaften und die erste Nature-Veröffentlichung war ebenfalls ein Meilenstein. Darauf aufbauend BioNTechs sieben Kollaborationsvereinbarungen mit Big Pharma sowie die Series A-Runde und der Börsengang. Und in jeder klinischen Studie ist auch immer der erste Patient ein echter Meilenstein.
Plattform Life Sciences: Der Börsengang in den USA erfolgte im Herbst 2019. Wie zufrieden sind Sie mit der Kursentwicklung seither?
Pötting: Das IPO war eine logische Folge unseres Kapitalbedarfs. 11 Studien, 10 Produkte in der Klinik, da ist der Kapitalbedarf immens. Und der Börsengang in den USA hat BioNTech auf das internationale Parkett gehoben und unsere Bekanntheit deutlich gesteigert.
Motschmann: Der Kurs wird vom Markt gemacht, den müssen Analysten beurteilen. Wir sind mit der inhaltlichen Entwicklung der Company zufrieden. Aber sicherlich ist es eine besondere Geschichte, ein Unternehmen 11 Jahre nach der Gründung auf diesem Bewertungsniveau am Markt notiert zu sehen. Vor allem auch für den Standort Deutschland, denn neben unserem Hauptquartier in Mainz sind die Niederlassungen nach wie vor in München, Idar-Oberstein und Berlin und neuerdings auch in Halle. Darüber hinaus gibt es ein kleines Büro in San Diego.
Plattform Life Sciences: Wie haben die Anleger der MIG Fonds an der Erfolgstory BioNTech bislang profitiert?
Motschmann: Durch eine deutliche Wertanmutung und Wertsteigerung unseres Investments! Für uns ist die Entwicklung der BioNTech eine tolle Erfolgsstory. Es gibt kaum Vergleichbares bei der Finanzierung europäischer Biotechs. Meine Aufgabe als Aufsichtsrat ist es, den Aktionären zu dienen und dem Unternehmen bei der Entwicklung. Die Entscheidungen, wann die Anleger aus den MIG-Fonds profitieren, treffen andere innerhalb der MIG AG zu späteren Zeitpunkten. Ich vermute, dass sich Anleger aus den MIG-Fonds aufgrund der Begeisterung für das Unternehmen und seine Vision auch noch über die Börse am Unternehmen beteiligt haben.
Plattform Life Sciences: Der Kurs hat sich seit dem IPO mehr als verdoppelt. Welches weitere Potenzial besteht für die Anleger?
Motschmann: Hier müssen wir ganz klar auf Analysten verweisen. Kurse können und dürfen wir nicht kommentieren. Aber ich kann ihnen sagen, dass wir an das Unternehmen und an das riesige Potenzial des Unternehmens glauben. Ich bin überzeugt, dass BioNTech das Potenzial hat, ein führendes Unternehmen im Bereich der Onkologie zu werden.
Zu den Personen:
Dr. Sierk Pötting ist seit 2014 Chief Financial Officer (CFO) der BioNTech SE.
Michael Motschmann ist seit 2008 Mitglied des Aufsichtsrats der BioNTech SE und Vorstand der MIG Verwaltungs AG, die mit den MIG Fonds 7,8 und 9 seit 2008 an BioNTech beteiligt ist.