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Die Aktien von Deliveroo sind zum gestrigen Börsendebüt des Essenslieferdienstes an der London Stock Exchange um 30% abgestürzt. Damit verlor das Unternehmen rund 2 Mrd. GBP an Wert.

Deliveroo hatte bereits im Vorfeld zu seinem IPO den Angebotspreis der Aktien am unteren Ende der Spanne fixiert, bei 3,90 GBP. Zu diesem Preis ergab sich eine Marktkapitalisierung von 7,59 Mrd. GBP – bereits 1,2 Mrd. GBP weniger als drin gewesen wären, wäre das IPO am oberen Ende der Spanne realisiert worden. Ausschlaggebend für die Vorsicht des Lieferdienstes waren laut übereinstimmenden Berichten Sorgen in Hinblick auf den Investorenappetit – die sich nun mehr als deutlich bestätigt haben. Es scheint, die Investoren goutieren kein Unternehmen, dessen Fahrer zum Börsendebüt wegen schlechter Arbeitsbedingungen zu Demonstrationen aufrufen. Die miese Performance von Deliveroo unterstreicht einmal mehr die steigende Relevanz von ESG-Kriterien.

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Carsten Mumm, Chefvolkswirt bei Donner & Reuschel ordnet das IPO ein:
Das schwache Börsendebüt des britischen Essenslieferdienstes ist zwar aus Sicht der Alteigentümer und der beteiligten Banken ärgerlich, kann aber mit Blick auf zwei wichtige übergeordnete Aspekte auch positiv interpretiert werden.

Einerseits wird deutlich, dass trotz Höchstständen bei vielen Aktienindizes derzeit keine, mit der Internetblase Ende der 90er-Jahre vergleichbare, überschäumende Euphorie an den internationalen Börsen vorherrscht. Es reicht offensichtlich nicht aus, ein digitalisiertes Plattformunternehmen zu sein, dessen Umsätze im Zuge der Coronakrise zweifellos explodiert sind.

Anleger schauen auch hinter die Kulissen und nicht wenige dürften bezweifeln, ob das trotz Corona-Boom noch immer defizitäre und chronisch margenschwache Geschäftsmodell künftig tatsächlich ausreichend gewinnträchtig sein kann.

Die noch tiefgreifendere Erkenntnis ist aber, dass die immer stärker in den Vordergrund rückenden ESG-Kriterien nicht nur eine bloße Theorie sind, sondern mittlerweile tatsächlich auch ganz praktische Auswirkungen entfalten. Dabei spielt nicht mehr ausschließlich der Faktor „Umwelt“ eine große Rolle. Auch die Aspekte „Soziales“ und „Governance“ sind zunehmend entscheidende Anlagekriterien. Es zeigt sich, dass Kapitalanleger und die Finanzbranche mehr sind als rücksichtslose Renditeoptimierer – anders als die Negativbeispiele Gamestop, Archegos oder im weiteren Sinne auch Greensill zuletzt vermuten ließen.

Vielmehr war vielen Analysten schon vor der Emission ein Dorn im Auge, dass ein gewichtiger Faktor des Geschäftsmodells auf niedrigen Kosten basiert, die wiederum nicht unwesentlich auf schlechte Arbeitsbedingungen und die geringe Bezahlung der Kurierfahrer zurückzuführen sind. Dass im Umfeld des Börsengangs dann auch noch einige Lieferanten öffentlichkeitswirksam genau aus diesem Grund demonstrierten, dürfte noch mehr potenziellen Neuaktionären den Appetit auf die Emission verdorben haben.

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Denn neben moralischen Hürden werden auch handfeste Risiken deutlich. Ein Reputationsschaden wie ihn das Unternehmen Deliveroo selbst durch die Berichterstattung erlitten hat, kann sich heutzutage kein großer Vermögensverwalter erlauben, dessen Geschäft auf dem Management extern einzuwerbender Gelder basiert. Ein einmal aufgebautes Negativ-Image ist nur schwer zu revidieren. Und damit wiegt die Einhaltung von ESG-Kriterien bzw. die entsprechende Ergänzung des Risikoprofils einer Anlage ebenso schwer wie die Aussicht auf eine attraktive Rendite.

Ein weiterer kritisch angesehener Aspekt war im Fall Deliveroo der Ansatz über die Ausgabe verschiedener Aktiengattungen mit unterschiedlichen Stimmrechten die Kontrolle des Unternehmensgründers aufrecht zu halten. Dafür mag es aus Sicht des Unternehmens gute und nachvollziehbare Gründe geben. In einem ohnehin nicht positiv besetzten Nachrichtenumfeld dürfte dies aber zusätzlich für Verstimmung gesorgt haben.

Es wird deutlich, welch entscheidende Rolle Kapitalanlegern bei der Transformation von Unternehmen und Volkswirtschaften hin zu einem in jeder Hinsicht nachhaltigen Ansatz zukommen. Sie bestimmen über den Zugang zu und die Kosten von einem der wichtigsten und angesichts zunehmend dematerialisierter Wertschöpfung immer bedeutender werdenden Produktionsfaktor, dem Kapital. Und sie nutzen ihren Einfluss, um wegweisende Veränderungen in die richtige Richtung zu bewegen.

Für die Londoner Börse ist der missglückte Start von Deliveroo ein Rückschlag. Man hatte sich erhofft, nach einem erfolgreichen Debüt des Lieferdienstes weitere große IPOs vor allem aus dem Tech-Bereich anlocken zu können. Deliveroo ist hinsichtlich der Market Cap das größte IPO in London seit einem Jahrzehnt.

Dominic Mondesir, Private Capital Analyst bei Pitchbook, hat einen anderen Start erwartet: „Es überrascht mich, dass der Kurs so stark eingebrochen ist, nachdem es im Vorfeld einen regelrechten Hype um das IPO gab.“ Auch er ist sich sicher: „Das führt dazu, dass Unternehmen, die einen Börsengang anstreben, sich auf noch intensivere Prüfung ihrer ESG-Kriterien und Corporate Gouvernance-Regeln einstellen müssen.“

Autor/Autorin

GoingPublic Redaktion / iab