Bildnachweis: © Sono Motors.
Mitte Januar haben die Erfinder und Tüftler des Solar-Elektrik-Autos Sion zum Tech-Day eingeladen in den Münchner Norden. GoingPublic war vor Ort, um zu schauen, was fährt, wie die kombinierte Technik genau funktioniert, und hat mit Ingenieuren und dem Management über die Zukunft des Münchner Start-ups gesprochen. Ihre Geschichte begann in einer Pullacher Garage vor zehn Jahren, im November 2021 folgte das IPO an der NASDAQ, doch derzeit darbt die Aktie gerade wie viele in der Branche vor sich hin. Parallel versucht das Management gerade, über ein Crowdfunding 100 Mio EUR zur „Rettung des Sion“ einzusammeln. Der Januar verlief zäh, die Frist wurde bis Ende Februar verlängert. Dann stehen grundsätzliche Entscheidungen an.
GoingPublic: Herr Christians, Sie betreiben gerade eine Kampagne zur Rettung Ihres Hauptprodukts, des Sion. Interessierte sollen dabei ihren künftigen Sion voll anzahlen, um ihn später, so er in Serie geht, rabattiert zu erhalten.
Jona Christians: Das ist richtig, wir möchten mit der Kampagne #savesion die Vorserienproduktion so mitfinanzieren. Stand heute haben wir über 42 Mio. EUR beisammen. Rund 100 Mio. EUR sollen es werden, und das wäre geschafft, wenn Kunden 3.500 Autos auf diesem Wege reservieren oder wir weitere Investitionen und sonstige finanzielle Unterstützung erhalten. Das Geld wird natürlich nur abgerufen, wenn die Kampagne erfolgreich abgeschlossen wird.
Sie hatten vor drei Jahren, bevor sie an der Börse waren, schon einmal auf diesem Weg rund 50 Mio. EUR eingesammelt – eine der größten Crowdfunding-Aktionen in Europa überhaupt. Damals ging es um nicht weniger als das Überleben von Sono Motors. Daher Hand aufs Herz: Geht es diesmal wirklich „nur“ um den Sion oder steht nicht der Fortbestand des Unternehmens insgesamt auf dem Spiel?
Christians: Nein, diesmal geht es ausschließlich um das Auto, den Sion. Insgesamt haben wir ausreichend liquide Mittel für eine Umstrukturierung, und mit der Solartechnologie, die wir für Nutzfahrzeuge anbieten, auch ein zweites solides Standbein.
Kiedel: An dieser Stelle darf ich ergänzen: Wir haben zum Start der Kampagne Anfang Dezember 2022 noch rund 55 Mio. EUR an liquiden Mitteln, mit denen wir uns gut weiterentwickeln können auf dem Feld der Solartechnologien. Diese Summe beinhaltet die Anfang Dezember bekannt gegebene Summe von 31,1 Mio. USD über eine Wandelanleihe mit Yorkville.
Wie riskant ist vor diesem Hintergrund die Teilnahme am Crowdfinancing? Besteht ein Verlustrisiko für die Kunden, nachdem sie eine Anzahlung geleistet haben?
Christians: Um das Risiko für die Kunden zu reduzieren, haben wir eine an Meilensteine gebundene Teilzahlungsoption eingeführt. So werden die Teilbeträge nur eingezogen, wenn die definierten Meilensteine erreicht und von einer dritten Instanz, dem Community-Beirat, bestätigt wurden. Damit geben wir unseren Kunden mehr Sicherheit. Nichtsdestoweniger bleibt ein gewisses Restrisiko bestehen.
Generell: Warum haben Sie nicht versucht, sich diese letzte Produktionsstufe vor der Serienproduktion über eine Kapitalerhöhung zu sichern?
Kiedel: Bei einem Börsenkurs von derzeit rund 1 EUR wäre eine weitere Kapitalmaßnahme eine teure Angelegenheit, die die Aktien aller Anleger stark verwässern würde.
… und sie anfällig machen würde für Übernahmen?
Kiedel: Noch hält das Management gut 40% der Aktien. Der Stimmrechtsanteil unserer Gründer Jona Christians und Laurin Hahn geht darüber hinaus, da sie Shares mit mehrfachen Stimmrechten halten.
In Summe ist das Management in den vergangenen Jahren einigen Fehleinschätzungen erlegen. So hatten Sie Ende 2019 kommuniziert, bis zum Produktionsstart des Sion noch 205 Mio. EUR zu benötigen. Seitdem haben Sie, weitgehend über die Börse, rund 270 Mio. Euro eingesammelt. Und jetzt heißt es, das Unternehmen benötigt noch einmal 130 Mio. EUR für den Start der Vorserienproduktion. Was sind die Gründe für diese Revisionen?
Kiedel: Insgesamt hatten wir bisher Entwicklungskosten von gut 300 Mio. EUR. Durch den Wechsel unseres Auftragsfertigers, Verschiebungen bis zum Produktionsstart, höheren Einkaufspreisen durch die Inflation, etwa von Werkzeugen, mussten wir unsere Kalkulationen anpassen – daher der höhere Kapitalbedarf. Nun benötigen wir 130 Mio. EUR noch bis zum Start der Vorserienproduktion – daher jetzt die Kampagne.
Bisher haben Sie über dieses Fundraising Finanzierungszusagen über 40 Mio. EUR eingesammelt in Form von 1.400 Sion-Vorbestellungen. Was passiert, wenn Sie Ihr 100-Mio.-EUR-Ziel bis zur gesetzten Frist verfehlen?
Christians: Dann stehen wir vor der Entscheidung, den Sion aufzugeben und mit unserem anderen Standbein, dem Solargeschäft, weiterzumachen. Wir rüsten ja bereits Busse, Lkw und weitere Nutzfahrzeuge mit unserer Solartechnologie aus, die wir auch patentiert haben. Von den insgesamt 34 bisher angemeldeten Patenten betreffen allein 28 unsere Solartechnologie.
Aber das ist nicht das, was Sie wirklich wollen?!
Christians: Das ist natürlich nicht unser Traum – aber es ist ebenso ein zukunftsfähiges Geschäftsmodell, weniger kapitalintensiv als der Bau von Autos, mit attraktiven Margen. Auch Busse in München fahren bereits ausgerüstet mit unseren Solarmodulen im Linienverkehr. Natürlich empfehlen wir unsere Solartechnologie aber noch besser durch eine gelungene Integration derselben in den Sion. Das war ja auch die Ursprungsidee, von der wir nach wie vor sehr überzeugt sind.
Kiedel: Und unsere starke Community will den Sion – wir haben insgesamt rund 44.000 Vorbestellungen Stand heute …
… Das ist tatsächlich nicht wenig für ein Auto, von dem es weltweit nach zehn Jahren Entwicklungszeit inkl. der Garagenphase gerade einmal 18 Prototypen gibt.
Christians: Nach unseren Lehrjahren in der Garage haben wir Sono Motors 2016 gegründet, also vor sieben Jahren. Jetzt stehen wir kurz vor der Vorserienproduktion. Etablierte Hersteller arbeiten rund sechs bis acht Jahre an einem neuen Modell, jedoch mit rund den doppelten Budgetausgaben. Und die Serien-Validierungs-Prototypen werden aktuell weltweit zu verschiedenen Testzwecken eingesetzt. Im Herbst haben wir unsere erste Roadshow mit dem Sion in den USA gemacht, konkret auch in Kalifornien – das Klima dort ist prädestiniert für ein Auto, welches für Großstadtpendler rund die Hälfte seiner möglichen Reichweite über die Sonne tankt.
Können Sie das präzisieren?
Christians: Gern. Die Reichweite des Sion, der mit Rücksicht auf das Gewicht mit einer kompakten Batterie ausgestattet ist, liegt ohne Solarmodul bei 305 Kilometern. Unter Nutzung der Panele, bei entsprechender Sonneneinstrahlung, lädt sich die Batterie kostenfrei auf – rund 112 Kilometer emissionsfreie Reichweite pro Woche können auf diese Weise generiert und gespeichert werden. In Südeuropa oder z.B. auch in Kalifornien reichen die durchschnittlichen Sonnenstunden pro Jahr für kostenfreies Solarladen von 9.000 Kilometern im Jahr. In München sind es immerhin 5.800 Kilometer zusätzlich im Durchschnitt, die durch Sonnenenergie kostenlos geladen werden, sofern das Auto entsprechend geparkt oder in der Sonne gefahren wird. Das ist doch beachtlich, wenn man bedenkt, dass die meisten Menschen nicht viel mehr als 12.000 Kilometer pro Jahr mit ihrem Auto fahren.
Was passiert eigentlich, wenn die Solarpanels beschädigt werden, etwa auf dem Dach, ein Hagelschaden …?
Christians: Die einzelnen Solarmodule sind mit Steckverbindungen angebracht und entsprechend ersetzbar. Aufgrund des Polymers bietet das flexible Material im Übrigen erst einmal einen besseren Schutz vor Hagelkörnern als Blechkarosserien.
Der Wagen ist schwarz und recht eckig, ein richtiger Familienvan, wie ihn andere bekannte Autohersteller auch anbieten. Ist noch vorgesehen, am Design des Wagens zu arbeiten?
Kiedel: Das Design bleibt bis auf wenige Details so, wie es ist. Wir haben unserer Community die Wahl zwischen Schwarz und Weiß gegeben und sie hat sich für Schwarz entschieden. Und die Solarmodule benötigen große gerade Oberflächen für eine möglichst große Leistung. Es geht uns um ein preiswertes, maximal alltagstaugliches und effizientes Auto für Familien – das ist auch das Argument für genau die vorliegende Form, Größe und Höhe.
Das klingt ein wenig nach Henry Ford; Hauptsache, es ist schwarz und fährt. Aber das Auge kauft schon auch mit, und mit 30.000 EUR kann man beim Sion nicht gerade von einem günstigen Fahrzeug sprechen …
Kiedel: Wir sagen, es ist ein preiswertes Auto. Und wenn Sie den Sion mit anderen Autos derselben Größenklasse vergleichen, gehört er eben nicht zur teuren Hälfte von E-Autos am Markt.
Wäre der Sion ohne die Solarpanels denn noch viel preiswerter und ließe sich dann vielleicht besser am Markt platzieren?
Christians: Die Solarmodule machen in der Produktion und damit auch im Endverbraucherpreis nur einen kleinen vierstelligen Betrag aus. Zudem wäre es ohne Solartechnologie nicht mehr derselbe Ansatz. Es geht genau darum, sich über die Solartechnik einen großen Teil der Energiekosten zu sparen, weil sie einem die Sonne schenkt.
Ein Traum, der leider auch an den Marktrealitäten scheitern kann. Herr Christians, Sie haben vor fast zehn Jahren Ihr Informatik- und Experimentalphysikstudium abgebrochen, um in der Garage Ihres Vaters in Pullach nur noch an dem Prototypen Ihrer Idee zu arbeiten. Wie gehen Sie persönlich mit dieser nun doch schon länger schwierigen und unsicheren Zukunft des Unternehmens um?
Christians: An manchem Morgen fällt es einem schon etwas schwer, zu 100% positiv zu bleiben. Schließlich könnten wir etwa 300 Menschen, vor allem Ingenieuren, in unserem Unternehmen keinen Arbeitsplatz mehr bieten, wenn der Sion nicht mehr das letzte Stück zur Marktreife schafft. Aber es wird sich ein Weg finden – davon bin ich überzeugt. Unsere Community, die auch heute hier auf dem Tech Day dabei ist, ist stark, und das motiviert uns jeden Tag. Und wie gesagt: Die Menschen wollen den Sion, diese rollende Powerbank, einen Teil des Jahres wesentlich betankt durch die Sonne – ein Energieträger, der keine Rechnung stellt. Kann es etwas Besseres geben?
Meine Bewunderung für den langen Atem. Sie sind trotz aller Widrigkeiten sehr überzeugt von dem Projekt.
Christians: Das ist so. Und auch nach zehn Jahren kann ich sagen: Es war bis hierhin jede Sekunde wert. Wir wollen einen wichtigen Beitrag leisten zur Mobilität der Zukunft, und wir glauben, dass der Sion ein sehr wichtiges Puzzlestück ist für den so wichtigen Mobilitätswandel.
Kiedel: Beide Gründer, Jona und auch Laurin, sind sehr „purpose-driven“, wie man sagt, sie verfolgen ihr Ziel nun schon seit fast zehn Jahren, ungeachtet der Umstände, weil sie sehen, dass es richtig und wichtig ist. Deshalb habe ich mich entschieden, sie nach vielen Jahren u.a. bei BMW und mytaxi bei ihrem Vorhaben zu unterstützen. Es geht nicht um ein Auto: Es geht darum, die E-Mobilität insgesamt durch Solarmodule zu ergänzen. Unsere Mission ist es, alle Autos mit Solar zu bestücken. Der Sion ist der Prototyp dafür.
Herr Christians, Herr Kiedel, vielen Dank für das offene Gespräch und viel Glück und Elan weiterhin für die Weiterentwicklung Ihres Solar Electric Vehicle (SEV).
Autor/Autorin
Simone Boehringer
Simone Boehringer ist die Redaktionsleiterin "Kapitalmarktmedien" der GoingPublic Media AG.