An den Marktsegmenten der europäischen Börsen für kleinere Unternehmen wurden im Jahr 2019 insgesamt 108 sogenannte Small Caps gelistet. Im entsprechenden Segment Scale der Deutschen Börse war hingegen kein Zugang zu verzeichnen. Von Jens Hecht, Kirchhoff Consult*
Gemessen an der Umsatzentwicklung der Unternehmen handelt es sich um kleinere, aber wachstumsstarke Unternehmen. Das stellt eine enorme Bereicherung des europäischen Kapitalmarktes dar. In der Auswertung wurden die Wachstumssegmente AIM der London Stock Exchange (8 IPOs) sowie Borsa Italiana AIM-MAC (29 IPOs), Euronext Access und Growth Brüssel, Dublin, Lissabon, Paris (30 IPOs), NASDAQ First North Growth Market (42 IPOs) und Frankfurt Scale (0 IPOs) berücksichtigt.
Wachstumsstarke Small Caps in Europa
Die 108 europäischen Small Cap IPOs erzielten im Jahr 2019 einen durchschnittlichen Umsatz in Höhe von rund 47 Mio. EUR (Median: 10 Mio. EUR). Die untersuchten Unternehmen stammen dabei aus unterschiedlichen Branchen wie beispielsweise Erneuerbare Energien, Immobilien, Beteiligungsgesellschaften, Technologie, Finanzdienstleistungen, Pharmazie sowie Medizin- und Industrietechnik.
Den höchsten Umsatz im Jahr 2019 erzielte ein Gesundheitsdienstleister aus Dublin, die Uniphar Plc mit immerhin 1,7 Mrd. EUR. Das Unternehmen wurde parallel an der AIM in London und an der Euronext Growth notiert. Im Schnitt lag das Umsatzwachstum aller Small Cap Listings im Geschäftsjahr 2019 bei rund 72% (Median: 11%). Über zwei Fünftel der Unternehmen schreiben noch Verluste.
Der Small Cap Emittent mit dem stärksten Wachstum ist Signature Fastigheter, eine schwedische Immobiliengesellschaft, die Wohn- und Gewerbeimmobilien entwickelt und verwaltet: Hier hat sich der Umsatz mehr als verzwanzigfacht. Darauf folgt die Innovative-RFK, eine Private-Equity-Gesellschaft mit Sitz in Mailand, die sich auf Kapitalbeteiligungen an innovativen kleinen und mittleren Unternehmen spezialisiert hat, die in den Bereichen digitales Marketing und medizinische Geräte tätig sind, mit einem Umsatzanstieg von um das Neunfache. Das drittstärkste Umsatzwachstum verzeichnete die Bublar Group mit einer Umsatzsteigerung von 467%. Die Bublar Group ist ein schwedisches Technologieunternehmen, das Extended-Reality-Lösungen in den Bereichen E-Commerce, Unterhaltung, Schulung und Fertigung anbietet.
Auch wenn es im deutschen Scale 2019 keine IPOs gab, so findet man an der Frankfurter Börse durchaus wachstumsstarke neue Small Cap Listings im Freiverkehr, so beispielsweise die MBH Corporation Plc. Gemessen am Umsatzanstieg 2019, dem ersten Jahr an der Börse, gehört das Unternehmen zu den Top 10 der am stärksten gewachsenen Small Cap Neuzugänge in Europa. MBH erreichte 2019 ein Umsatzwachstum von 306% auf rund 56 Mio. EUR und erwirtschaftete dabei einen Nettogewinn nach Steuern in Höhe von 4 Mio. EUR, was einen Anstieg von 190% im Vergleich zum Geschäftsjahr 2018 bedeutet. MBH ist eine diversifizierte Beteiligungsgesellschaft mit Sitz in London, die kleine und mittlere Unternehmen aus verschiedenen Regionen und Branchen erwirbt, die gut etabliert und profitabel sind.
Top 10 der wachstumsstärksten Small Cap IPOs in Europa
Unternehmen | Börsensegment | Berichtswährung | Umsatz 2019 in Mio. |
Veränderung
|
SIGNATUR FASTIGHETER | First North Growth | SEK | 34,9 | 2544% |
INNOVATIVE RFK | Euronext Access | EUR | 0,2 | 900% |
BUBLAR GROUP | First North Growth | SEK | 17,0 | 467% |
SEAFIRE | First North Growth | SEK | 164,0 | 218% |
ZIGNSEC | First North Growth | SEK | 6,9 | 216% |
INCOAX NETWORKS | First North Growth | SEK | 3,0 | 200% |
FERROAMP | First North Growth | SEK | 46,0 | 188% |
MEDIA MAKER | Euronext Growth | EUR | 30,6 | 155% |
IERVOLINO ENTERTAINMENT | AIM Italia – MAC | EUR | 80,0 | 131% |
HOFFMANN GREEN CEMENT TECHNOLOGIES | Euronext Growth | EUR | 0,6 | 113% |
Wachstumssegmente für IPOs von Wachstumsunternehmen
Ein Börsengang schafft finanziellen Spielraum für Wachstum und Innovation und öffnet Unternehmen den Weg zu nationalen und internationalen Investoren. Mit der Einführung von neuen Börsensegmenten versuchen die europäischen Börsen schon seit vielen Jahren, kleine und mittlere Unternehmen für einen Börsengang zu gewinnen.
Mit der Etablierung des Scale-Segments im Jahr 2017 hat die Deutsche Börse ein neues Segment für Wachstumsunternehmen als auch für den klassischen Mittelstand geschaffen. Scale wurde als Ersatz für den früheren Entry Standard gegründet und erleichtert mit seinen auf kleine und mittlere Unternehmen („KMUs“) zugeschnittenen Einbeziehungsvoraussetzungen und -folgepflichten die Kapitalbeschaffung, er bietet eine effiziente Möglichkeit der Eigenkapitalfinanzierung über einen gesetzlich registrierten KMU-Wachstumsmarkt nach EU-einheitlichen Standards.
In anderen europäischen Ländern gibt es solche Wachstumsbörsen schon länger und diese werden von KMUs beim Gang an die Börse weitaus häufiger genutzt als das deutsche Pendant. Der Alternative Investments Market der London Stock Exchange „AIM“ wurde bereits 1995 gegründet und das Marktsegment „AIM Italia – MAC“ im Jahr 2009. Das Wachstumssegment Growth der Euronext (Brüssel, Dublin, Lissabon, Paris) gibt es seit dem Jahr 2005.
FAZIT
Die Analyse der europäischen Small Cap IPOs zeigt das große Wachstumspotential von Nebenwerten. Die meisten neuen Emittenten konnten im ersten Börsenjahr ihre Umsätze deutlich steigern. Dass viele dieser jungen Wachstumsunternehmen noch Verluste schreiben, hat die Investoren nicht abgeschreckt. Sie sind sich der Risiken von Small Caps bewusst – aber genauso der Chancen.
Die zahlreichen Small Cap IPOs in Europa stimmen zuversichtlich in Hinblick auf die Vielfalt an den Kapitalmärkten und die Finanzierungsoptionen für kleine und mittlere Unternehmen. Im Segment Scale der Deutschen Börse waren dagegen 2019 keine Börsengänge zu verzeichnen. Das zeigt, dass Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern immer noch Nachteile hat, die sich insgesamt negativ auf die Anzahl der Börsengänge auswirken. Um dies zu ändern, benötigen wir steuerliche Anreize und eine neue Aktienkultur. Denn der Trend setzt sich fort: So gab es im ersten Halbjahr 2020 zwar einen Börsengang im Scale, aber trotz COVID-19 beispielsweise 20 Listings am NASDAQ First North Growth Market.
*) Jens Hecht, CFA, ist Managing Partner der Kirchhoff Consult AG und berät mittelständische Unternehmen bei der Vorbereitung und Durchführung von Börsengängen sowie in den Bereichen Investor Relations und Finanzberichterstattung.
Autor/Autorin
Jens Hecht
Jens Hecht, CFA, ist Managing Partner von Kirchhoff Consult und berät seit über 25 Jahren mittelständische Unternehmen bei der Vorbereitung und Durchführung von Börsengängen sowie in den Bereichen Investor Relations, ESG und Finanzberichterstattung.