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Angesichts des steigenden Umweltbewusstseins strengen sich viele Unternehmen an, grün zu sein; etliche scheinen bemüht, sich Hals über Kopf grün zu malen. Nennen wir Letzteres Green Talk.
Der Sündenfall tritt im Unternehmen häufig dann auf, wenn die Marketing- und Werbeabteilungen Nachhaltigkeit für sich entdecken: von Luxusmodemarken, die umweltfreundliche Linien produzieren (1.000-EUR-Jeans aus recyceltem Material), bis hin zu großen Ölfirmen mit einem winzigen Solarpanel, die mit ihrem Engagement für einen grüneren Planeten prahlen. Green Talk ist in erster Linie eine Spielart von Senior-Managern, die Nachhaltigkeit nicht ernst nehmen und das Feld übermotivierten Marketeers überlassen. Es ist allerdings nicht ganz einfach festzustellen, wie viel von diesem Gerede nur heiße Luft ist.
Die Guten, die Schlechten und die Greenwasher
Das Zeitalter des Greenwashing ist angebrochen – ein Zeitalter, in dem manches Unternehmen mehr Zeit und Geld damit verbringt, durch Werbung und Marketing zu behaupten, grün zu sein, als tatsächlich Geschäftspraktiken einzuführen, die die Umwelt- und Sozialbelastung minimieren. Man könnte es auch mit dem amerikanischen Soziologen Harry G. Frankfurt schlicht als „Bullshit“ bezeichnen: eine Kategorie von Sprechakten, die dadurch gekennzeichnet ist, dass der Wahrheitsgehalt überhaupt keine Rolle spielt.
Nehmen wir z.B. einen Autokonzern, der keine Gelegenheit auslässt, sich als Pionier der grünen Mobilität darzustellen, bei seiner Investorenkonferenz aber verkündet, dass man sich aus der Produktion kleiner Pkws zurückziehen und stattdessen strategisch auf PS-starke und schwere SUVs setzen werde.
Oder den multinationalen Nahrungsmittelhersteller, der für jedes verkaufte Produkt einen Baum pflanzt, während er gleichzeitig andernorts Wälder abholzen lässt; weil ohne Palmöl nun einmal nichts geht, von der Nussnougatcreme bis zu den Salzstangen. Ob wirklich Bäume gepflanzt werden – who cares? Dann rollt schon die nächste Kampagne, mit der das Vitamin C in der überzuckerten Limonade als Beitrag zu einer gesunden Ernährung deklariert wird.
Oder den Fast-Food-Konzern, der seine Pappschachteln mit dem einzigartig einfältigen Claim „ich bin schön“ abbilden lässt. Schön daran ist gar nichts. Wie ein Kommentator auf LinkedIn schrieb, wäre es schön gewesen, wenn dieser globale Multi vorangegangen wäre und Mehrwegverpackungen eingeführt hätte, denn die notwendige kritische Masse an Verpackungen bringt der Konzern locker mit – und er hätte sogar noch kleinere Mitbewerber und Betreiber von Imbissen, denen eben jene kritische Masse fehlt, um Mehrwegsysteme ökonomisch zu betreiben, mitnehmen können. Eine vergebene Chance, denn daraus hätte eine neue Business Line entstehen können.
Das eigentliche Problem entsteht dann, wenn Unternehmen „Green Speak“ benutzen, um von ihren nicht so umweltfreundlichen Praktiken abzulenken oder tiefere Nachhaltigkeitsprobleme zu verschleiern.
Es ist nicht alles hohler Green Talk
Viele Unternehmen meinen es ernst mit der Transformation hin zu einem grünen oder nachhaltigen Geschäftsmodell. Diese Transformation ist alles andere als trivial, sie braucht Zeit (wie viel Zeit es braucht, davon haben viele NGOs aufgrund mangelnder Erfahrung mit der Führung von Unternehmen wenig Ahnung), kostet Geld und erfordert investive Mittel – und kostet möglicherweise auch Arbeitsplätze, bevor neue entstehen können. Diese Geschäftsmodelltransformation wird von vielen Unternehmen vorangetrieben, trotz gewaltiger Unsicherheiten, welche Technologien zukunftsfähig sind, wie sich Konsumentenverhalten verändert, in welchem Ausmaß essenzielle Ressourcen zukünftig noch verfügbar oder bezahlbar sein werden.
Mutmaßlich am 1. Januar 2024 tritt die Green Claims Directive der EU in Kraft, die von Unternehmen verlangt, dass sie ihre grünen Werbebotschaften und -statements mit Evidenzen hinterlegen. Vorausschauende Unternehmen haben die Direktive zwar nicht bejubelt, sie indes als eine überfällige Korrektur empfunden, die sie damit beantwortet haben, dass sie Claims wie „klimaneutral“ oder „schützt die Natur“ von Verpackungen und aus Produktbeschreibungen entfernt haben.
Das eigentliche Problem entsteht dann, wenn Unternehmen „Green Speak“ benutzen, um von ihren nicht so umweltfreundlichen Praktiken abzulenken oder tiefere Nachhaltigkeitsprobleme zu verschleiern. Dies führt nicht nur wohlmeinende Verbraucher in die Irre, sondern bremst auch echte Bemühungen zur Bekämpfung der Umweltzerstörung.
Wie raus aus der Greenwasher-Ecke?
Unternehmen sollten zunächst auf Marketinggimmicks verzichten. Bilder glücklicher Eisbären, die sich bei einem Hersteller von Klimaanlagen für deren Umweltfreundlichkeit bedanken, sind der berühmte getretene Quark, von dem Goethe spricht und der bekanntlich breit, nicht stark wird. Davon ab verbietet sich auf jeden Fall Fotomaterial, bei dem aus Geldstücken Bäume wachsen. Beachten sollten Unternehmen aber vor allem:
1. Transparenz: Seriöse Unternehmen liefern klare Daten und Quellen, um ihre Behauptungen zu untermauern, und achten auf detaillierte Nachhaltigkeitsberichte und Audits durch Dritte.
2. Beständigkeit: Wenn ein Unternehmen plötzlich über Nacht vom „schwarzen Schaf“ zur „grünen Göttin“ wird, ohne dass wesentliche und erkennbare Änderungen in seiner Geschäftstätigkeit eintreten – wer sollte dem Unternehmen diese Schmierenkomödie abnehmen?
3. Verhältnismäßigkeit: Wenn die umweltfreundlichen Initiativen eines Unternehmens im Vergleich zu seinen negativen Gesamtauswirkungen winzig sind, handelt es sich möglicherweise nur um einen Tropfen im (verschmutzten) Ozean – dann lieber schweigen und daran arbeiten, die Umweltfreundlichkeit der Geschäftstätigkeit erheblich zu steigern.
Fazit
In einer Welt, in der sich viele Unternehmen die grüne Krone aufsetzen möchten, ist es für die Verbraucher entscheidend, die ernstmeinenden Unternehmen von den Posern zu unterscheiden: Denn auch wenn Green Talk und Bullshit über Umweltfreundlichkeit Unternehmen kurzfristig ein paar Pluspunkte einbringen, sind es doch visible, greifbare Taten, die den Unterschied machen. Wenn wir unsere lebensweltlichen Probleme wie Klimawandel, Ressourcenverschwendung und verheerende Arbeitsbedingungen in Sweat Shops lösen wollen, dann sollten wir es mit Authentizität tun. Schickes Marketing und grüne Inszenierungen sind nicht nur irrelevant, sondern schädlich – und zwar für die Reputation des inszenierenden Unternehmens.
Autor/Autorin
Prof. Dr. Ralf Frank
Prof. Dr. Ralf Frank ist Geschäftsführer Deutschland von sustainserv. Er ist zertifizierter systemischer Berater (SG) und seit Mai 2021 Professor für Organisationstransformation an der GISMA Fachhochschule in Potsdam.