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Im Juli 2006 rief GoingPublic die Serie „Hidden Champions – Unternehmen, die sich der Kapitalmarkt wünscht“ ins Leben. ZF Friedrichshafen war der erste Weltmarktführer, den die Redaktion als Wunschkandidaten porträtierte. Fast 18 Jahre und 127 Serienteile später ist nun Schluss. Wir ziehen Bilanz.
Bereits der Name der Serie war Programm und das Vorhaben mutig: Gerade die Familienunternehmen, die meist nicht einmal am Rande mit dem öffentlichen Kapitalmarkt in Verbindung gebracht werden wollten, landeten auf einem langen Wunschzettel im GoingPublic Magazin. Nicht nur einmal ist es passiert, dass wir inständig gebeten wurden, „besser nichts“ zu schreiben (Zitat: „Sonst rufen uns nur wieder so viele Investmentbanker an …“). Umso froher stimmt uns das so viele Jahre später, „es doch getan“ zu haben. Die Serie zeigte Monat für Monat und Quartal für Quartal, welch fantastische Unternehmen Deutschland doch hat, die genau nicht an der Börse notieren und notiert sein wollen. Muss man auch deren konservative Finanzierung über thesaurierte Gewinne und meist die klassischen Bankkredite kritisch sehen? Mitnichten.
Wirtschaftserfolg abseits der Metropolen
Das Durchschnittsalter der 127 vorgestellten Unternehmen beläuft sich auf genau 99,3 Jahre. An dieser Stelle wird deutlich, dass das Wachstum in den allermeisten Fällen nicht eben stürmisch verlief – und bei den ältesten Champions, etwa der 1756 gegründeten Haniel Unternehmensgruppe (Folge 5/2006), vielfach auch durch Kriege, Währungsreformen, Revolutionen und andere äußere Einwirkungen des Öfteren unterbrochen wurde. Der Blick auf die Unternehmenssitze zeigt: Hidden Champions sind oft auch deshalb „hidden“, weil sie abseits der Metropolen ihr Geschäftsmodell pflegen: Die Theo Müller Molkerei in Aretsried/Bayern (11/2007), die Putzmeister Gruppe in Aichtal/Baden-Württemberg (18/2008), die ebm-papst-Gruppe (26/2008) in Mulfingen (Baden-Württemberg), Knauf Gips (32/ 2009) in Iphofen (Bayern), die damalige Dorma GmbH, heute dormakaba (45/2010) in Ennepetal (Nordrhein-Westfalen) bis hin zur GRIMME-Holding (99/2017) in Damme (Niedersachsen) oder HOPPECKE Akkumulatoren (110/2019) in Brilon (Nordrhein-Westfalen) machen ihre Umsätze weltweit, sind aber wie viele, viele weitere Unternehmen ihrem Stammsitz zum Teil weit von der nächsten Autobahnauffahrt treu geblieben.
Drei Unternehmen heute notiert!
Aus der Masse der 127 vorgestellten Firmen sind immerhin drei heute an der Börse notiert – wobei festzuhalten ist, dass alle drei Unternehmen nicht für die typischen Familiendynastien stehen. Heckler & Koch (3/2006) aus dem mehr als beschaulichen Oberndorf am Neckar in Baden-Württemberg notiert seit dem 28. Juli 2015 unter der ISIN DE000A11Q133 an der Euronext in Paris. Die Eigentümerverhältnisse sind öffentlich nicht vollumfänglich nachvollziehbar, der Free Float scheint aber unterhalb von 0,5% zu liegen. Das veranlasste das Unternehmen zu einer recht seltenen Stellungnahme: „Der im Jahr 2022 an der Euronext im Durchschnitt ausgewiesene Aktienkurs lag wegen des sehr geringen Handels deutlich über dem von uns ermittelten Wert einer Aktie“, kann man auf der H&K-Homepage lesen. Der Hersteller von Handfeuerwaffen, unter anderem für Polizei und Bundeswehr, kommt seit Jahren nicht aus den Schlagzeilen, weil im Aktionärskreis wenig Einigkeit besteht. Zudem sorgten Berichte über die Qualität des Sturmgewehrs G3 für Aufsehen.
Knaus Tabbert – Bereicherung für den Kapitalmarkt
Am 23. September 2020 wurden die Aktien der Knaus Tabbert AG (90/2015) aus Jandelsbrunn/Bayern erstmals im Prime Standard der Frankfurter Börse (ISIN: DE000A2YN504) gehandelt. Trotz eines volatilen Kapitalmarktumfelds wurden beim Börsengang rund 10 Mio. Aktien zu einem Ausgabepreis von 58 EUR vorrangig an institutionelle Investoren im In‐ und Ausland ausgegeben. Das Unternehmen glänzte in den zurückliegenden Quartalen mit guten Zahlen, auch wenn die Aktie inzwischen wieder weit vom Hoch bei 70 EUR entfernt ist (aktuelle Market Cap: rund 400 Mio. EUR). Gerade durch pfiffige Investor-Relations-Maßnahmen spürt man beim Reisemobil- und Caravan-Hersteller auch das Bewusstsein, dass in jedem Aktionär ein potenzieller Kunde und in jedem Camping-Liebhaber ein potenzieller Aktionär steckt.
SCHOTT Pharma seit 2023 an der Börse
SCHOTT Pharma, ein Unternehmen der SCHOTT AG (12/2007) aus Mainz, ging im September 2023 an die Börse (Börsenwert rund 6 Mrd. EUR). Eigentümer des Unternehmens ist die Carl-Zeiss-Stiftung, die auf diesem Weg das neue Stiftungsrecht nutzen konnte, um Mittel für den Stiftungszweck zu vereinnahmen. Der erste Kurs an der Frankfurter Börse (ISIN: DE000A3ENQ51) wurde mit 30 EUR festgestellt. Die Aktien waren zu 27 EUR ausgegeben worden und damit im oberen Bereich der von 24,50 bis 28,50 EUR reichenden Bookbuildingspanne. Damit hatte SCHOTT rund 900 Mio. EUR eingenommen. Anleger können bislang sehr zufrieden sein, denn die Aktie notiert mittlerweile bei knapp 40 EUR und beschert damit fast 50% Kursgewinn.
Vor schwarzen Schafen nicht gefeit …
Einige Unternehmen der Hidden-Champions-Serie scheiterten krachend am Kapitalmarkt – aus heutiger Sicht die „schwarzen Schafe“ unserer Serie, denen wir zu Unrecht den Weltmarktführerstatus verliehen hatten. German Pellets (43/2010) schaffte zwar den Sprung an die Börse, meldete allerdings 2016 Insolvenz an. Neben den Zuflüssen beim Börsengang wurde auch noch eine Anleiheemission über 250 Mio. EUR gewissermaßen „verheizt“. Gegen die ehemalige Geschäftsführung des vermeintlich größten deutschen Pelletherstellers laufen noch immer mehrere Straf- und Zivilverfahren. Für einen der größten IPO-Skandale der letzten Dekaden sorgte die Hess AG aus Villingen-Schwenningen, die wir zu unserem Bedauern ebenfalls porträtiert hatten (66/2012). Die Bilanzierung des Unternehmens war „frisiert“, Binnenumsätze mehrfach verbucht, die Insolvenz schon kurz nach Listing unausweichlich. Auch die Windreich AG aus Wolfschlugen/Baden-Württemberg und ihren charismatischen Gründer Willi Balz (54/2011), der am Ende wegen Insolvenzverschleppung und weiterer Delikte im Jahr 2020 zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt wurde, hatten wir zu Gast gehabt. Der Windparkentwickler hatte mehrfach den KMU-Anleihenmarkt in Anspruch genommen (Windreich-Anleihen 2011/ 2016, ISIN: DE000A1H3V38, und 2010/2015, ISIN: DE000A1CRMP9), es aber mit der Investorenkommunikation nicht allzu genau genommen. Der Zusammenbruch des Balz-Imperiums bescherte den Anlegern hohe Verluste. Ebenso insolvent ist die MT-Energie GmbH, die wir in Folge 47 im Jahr 2010 vorstellten. Die MT-Anleihe 2012/2017 (ISIN: DE000A1MLRM7) beschäftigt noch immer Insolvenzverwalter und Gläubiger.
Blick nach vorne: Heimische Unicorns
Statt den Hidden Champions wird sich GoingPublic im Rahmen einer neuen Serie heimischen „Unicorns“ zuwenden. Als Unicorns werden junge Unternehmen (Start-ups) bezeichnet, die innerhalb weniger Jahre einen Unternehmenswert – gemessen im Rahmen aktueller Finanzierungsrunden – von mehr als 1 Mrd. USD erreichen. Anders als mittelständischen Weltmarktführern werden zahlreichen einheimischen Einhörnern IPO-Pläne nachgesagt.
Fazit
Wahrscheinlich werden wir Würth (6/2006), Kärcher (7/2007), Freudenberg (31/2009) oder Heraeus (22/2008) so schnell nicht an der Börse sehen. Aber wer weiß, was die Zukunft bringt. So empfehlen heute namhafte Berater von Familienunternehmen und Unternehmerfamilien wie Prof. Dr. Arnold Weissman ihren Klienten heute die „kapitalmarktfähige Aufstellung“ als Strategie für ihre nachhaltige Existenz. Sollte es einmal einen „Run“ des entsprechend vorbereiteten German Mittelstand an die Börse geben, wird man sich ganz sicher an „Hidden Champions – Unternehmen, die sich der Kapitalmarkt wünscht“ zurückerinnern! Robert Bosch (4/2006), 1886 gegründet, wäre dann mit 400.000 Mitarbeitern und über 80 Mrd. EUR Umsatz übrigens ganz sicher ein Kandidat für den DAX.