Das einzig Gute an der gegenwärtigen Begutachtung meines Depot ist es, dass die immergleichen neuen prozentualen Verluste von drei, fünf, zehn oder gar zwanzig Prozent pro Aktie, pro Tag, pro Woche oder pro Monat sich in immer weniger absoluten Verlusten manifestieren. Hat man nämlich erst einmal 50 % verloren auf manche Bestände, so macht der weitere Verlust von 50 % auf den ursprünglichen Einsatz nur noch 25 % aus. So relativieren sich manche Dinge im Zeitablauf gleichsam von selbst.
Doch da ist ja noch das Gold. Es strahlt und hat zumindest bis vor einer Woche, als es kurz an der magischen 1.000-Dollar-Grenze kratzte, einen Teil der Aktienverluste wirksam aufgefangen. Leider ist selbst ihm jetzt die Luft ausgegangen. Aber trotzdem. Doch wie bewerkstelligt das Gold eigentlich seine gute Performance?
Diese Antwort weiß natürlich heute jedes Kind. Weil Gold geronnenes Vertrauen darstellt, weil Gold nicht manipulierbar ist, nicht beliebig vermehrbar ist, einen Wert an sich darstellt. Und weil Gold ein guter Schutz gegen die Inflation ist, selbst dann, wenn es keine Inflation gibt. Weil es einen Schutz gegen den Systemcrash bietet, vor allem dann, wenn der Systemcrash gar nicht kommt, sondern nur erwartet und sehnlichst herbeigesehnt wird.
Doch ich will diesen Deutungen an dieser Stelle einmal eine ganz andere und in den großen Zusammenhang gestellte entgegensetzen. Die große Schwachstelle jeder Goldanlage, sagen die Kritiker des Goldes, liegt in der Tatsache, dass Gold keine Früchte trägt, dass hier keine Ausschüttungen getätigt werden. Gold ist und bleibt Gold, und das goldene Huhn legt keine Eier.
Genau das, was normalerweise die Schwachstelle des Goldes darstellt, wird in der gegenwärtigen Krise allerdings zu seinem großen Vorteil. Sehen wir uns dazu den Vergleich mit einem Investment in einem Hypothekenpapier an. Ein strukturiertes US-Hypothekenpapier besitzt eine Laufzeit von 30 Jahren. Sein Wert wird durch den diskontierten Cashflow der Rückflüsse an Zins und Tilgung ermittelt. Gibt es keine Störungen der Rückzahlung und keine Veränderung des Diskontierungsfaktors, so notiert dieses Papier rechnerisch und de facto bei 100.
Nach der neuesten Statistik der Federal Reserve Bank ergibt sich für US-Immobilienkredite im vierten Quartal 2008 eine Ausfallrate von 5,78 %, also 6 %. Integrieren wir diesen Ausfall in unsere Wertberechnung, so sinkt der rechnerische Wert auf 95 %. Erwarten wir sogar im nächsten Jahr eine dauerhafte Verdoppelung, sinkt er auf 88 %. Doch letztlich macht das nicht viel aus. Ein Kursverlust von 6 % jedenfalls kann jedenfalls kein Welt-Desaster erklären, wie wir es gegenwärtig erleben.
Dieses Welt-Desaster errechnet sich erst dann, wenn wir in unseren ursprünglichen Diskontierungszinssatz einen Risikoaufschlag einbauen. Nehmen wir 250 Basispunkte, so fällt der Wert unseres Assets auf 73 % des Nominalwertes respektive 68 %. Und nehmen wir gar die heute üblichen 500 Basispunkte, so rauscht das Papier von einer Sekunde auf die andere in den Keller und wird nur noch mit 58 % respektive 56 % bewertet.
Grob gesprochen kann man also sagen, dass bereits ein normaler Risikoaufschlag in Krisenzeiten in Verbindung mit minimalen Leistungsausfällen beinahe eine Halbierung des Wertes eines Assets mit sich bringt. Und wird erwartet, dass die Krise sich noch weiter verschärft, führt das vorsorglich zu stetig neuen Bewertungsänderungen nach unten. Die Krise, mit der wir gegenwärtig kämpfen, ist folglich ebenso sehr eine Krise unserer Bewertungsmodelle, die auf Risikosituationen wie ein fallender Stein reagieren, wie sie eine Krise durch das vorangegangene Fehlverhalten ist. Ich denke, das sollte jeder beachten, der sich jetzt aufschwingt, stets aufs Neue das Fehlverhalten der Banken zu rügen.
Doch kommen wir nun zurück zum Gold. Im Gold gibt es keine Erträge. Das Gold besitzt keine Zukunftsdimension, die durch Diskontierungen auf die Gegenwart zurück gerechnet werden muss. Dem Gold entspricht ein Substanzdenken und kein Ertragsdenken. Das Gold verkörpert die alte, über Jahrtausende gewachsene Sicht, das zu schätzen, was da ist, was man in der Hand hält. Vielleicht findet sich in dem Aufsprengen dieses Denkens, soll heißen: in dem ungebührlichen Greifen mit dem Arm bereits heute in die Zukunft, welches hinter jedem Diskontierungsmodell steht, die größte Sünde, die wir in den letzten Jahrzehnten begangen haben.
Bernd Niquet
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