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Bisher hat sich der sonst so selektive Markt für Börsengänge in Europa trotz der globalen Pandemie als erstaunlich robust erwiesen und auch Deutschland verzeichnete einen Rekord bei Neuemissionen. Mit 16 erfolgten IPOs und einem Gesamtvolumen von 9,1 Mrd. EUR stellt sich 2021 bisher als stärkstes Jahr seit den Glanzzeiten des Neuen Markts dar. Und wenn man den Prognosen der Banken Glauben schenken darf, sollen bis zum Jahresende noch bis zu zehn weitere deutsche Gesellschaften den Weg auf das Frankfurter Börsenparkett finden.

Zugrunde liegt diesem Rekord bei Neuemissionen zum einen der lange Rückstau, den das „Nulljahr“ 2020 ohne nennenswerte IPOs verursacht hat. Zum anderen erweist sich die Gesamtstimmung an den Börsen trotz langsam steigender Inflationsgefahr und wiederkehrender Spekulationen über neue Virusvarianten noch immer als positiv. Der Volatilitätsindex VIX, die „Fieberkurve für IPOs“, lag im ersten Halbjahr im Schnitt bei 17% und somit, bezogen auf Neuemissionen, in einem kerngesunden Bereich.

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Es lohnt sich jedoch, einen näheren Blick auf jüngst erfolgte IPOs zu werfen. Erfolgsgeschichten blieben größtenteils aus. Dies ist zum einen auf die Tatsache zurückzuführen, dass die Bewertungsniveaus für Aktien bereits stark ausgereizt sind; der DAX30 handelt auf Allzeithoch und auch die relativen Bewertungsparameter wie etwa KGV notieren auf Rekordhöhen. Ein weiterer Anstieg der Markteuphorie und somit eine Starthilfe für Börsenneulinge ist daher schwerer zu argumentieren als eine mögliche Korrektur nach unten. Zum anderen ist es anspruchsvoller geworden, eine differenzierte Börsenstory zu liefern. In den Jahren 2018 bis 2020 genügte ein ansprechendes Wachstumsprofil oder ein grober E-Commerce-Anstrich, um die Gunst der Investoren zu gewinnen. Dieser Trend wurde nach Bekanntwerden vielversprechender Impfprogramme im November 2020 von Zyklikern durch die Strategie für die große Wiedereröffnungsrally abgelöst. Diese Trendfolge ist seither schwerer zu spielen und Investoren fällt es zunehmend schwer, sich eine Meinung zu bilden – denn die Faustregel, dass auch an der Börse die Flut alle Boote hebt, ist spätestens seit dem desaströsen Börsendebüt eines Essenszulieferers in Großbritannien sehr plakativ relativiert worden.

Diese Unsicherheiten werden von steigendem Selektionsverhalten der Investoren verstärkt. Ein Londoner IPO-Investor schickte seinen ECM-Bankern jüngst ein Foto mit einem mannshohen Stapel an IPO-Zulassungsprospekten und dem bezeichnenden Hashtag „#i_only_pick_one“. Diese Angebot-Nachfrage-Lücke wirkt sich auch auf die Preis- und Handelsdynamik von Börsengängen aus. 50% der letzten zehn IPOs in Europa konnten nur im unteren Viertel der Preisspanne gepreist werden und die durchschnittliche Performance seit IPO von 10% im Vergleich zu IPOs im ersten Quartal von 19% skizziert ein zunehmend fragiles Bild.

Liegt es vielleicht an der mangelnden Flexibilität und Innovationskraft des IPO-Produkts? Wohl kaum, denn der europäische IPO-Markt ist nicht nur durch eine vollvirtuelle Investorenansprache wesentlich effizienter geworden, sondern hat mit dem Direct Listing von Wise und einer Reihe von mehr oder weniger erfolgreichen SPAC-Emissionen den amerikanischen Trend zur effizienten IPO-Alternative zwar recht spät, aber zielstrebig aufgegriffen.

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Zum Thema SPAC: vielleicht zu spät? Die große SPAC-Welle, die 2019 in Amerika ihren Anfang genommen hat, ist in Europa bisher nur bedingt angekommen. Und in eine adrett verpackte SPAC einzuzahlen ist nur der erste Schritt zum Erfolg – wichtiger ist eine werthebende Umwandlung der Cash-Schachtel in einen attraktiven Börsenaspiranten. Wenn man die zahlreichen SPAC-perts im Markt befragt, wird das SPAC-Produkt im Vergleich zu 2008 bis 2010 dieses Mal wohl überleben und durch smarte Permutationen einem möglichen Überhitzen des Aktienmarkts Widerstand leisten. Und es wird, ähnlich wie in der Pandemiemedizin, in den Denklaboren der Investmentbanken schon eifrig an Lösungen für eine aktienmarktbezogene und investorenfreundliche Herdenimmunität des IPO-Produkts gearbeitet. Wann und wie diese eintritt, werden uns die nächsten Wochen zeigen. Bis dahin ist das Einhalten eines Mindestabstands von unzureichend getesteten IPOs durchweg anzuraten.

MorganStanley, Thomas Thurner

Zum Autor:
Thomas Thurner verantwortet als Managing Director und Head of Equity Capital Markets das Kapitalmarktgeschäft von Morgan Stanley in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Er ist seit 2010 bei Morgan Stanley tätig. Im Laufe seiner Karriere war Thurner für die Umsetzung von mehr als 150 Kapitalmarkttransaktionen in verschiedenen Märkten und Branchen verantwortlich.

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Thomas Thurner