Bildnachweis: @Pixabay, © Encavis AG.
Ein Gespräch über sinnvolle Strategien zum Umbau der Energieversorgung, den optimalen Energiemix für Deutschland und schädliche Eingriffe in Marktmechanismen.
GoingPublic: Sie sind CFO und werden Anfang 2023 Sprecher des Vorstands eines MDAX-Unternehmens in einer Welt der multiplen Krisen. Was waren Ihre größten Schrecksekunden in den vergangenen zwei Jahren bzw. die schwierigsten Situationen für das Führungsteam bei Encavis?
Dr. Husmann: Vor drei Jahren hätte ich es noch für unmöglich gehalten, dass weltweit Aktivitäten heruntergefahren, Büros und Schulen geschlossen werden, weil uns ein Virus bedroht. COVID-19 und die damit von jetzt auf gleich verbundene Entkoppelung der täglichen Arbeit von den einen in dieser Phase ja nun leider nicht mehr täglich umgebenden Kollegen und Mitarbeitern, das war schon eine echte Schrecksekunde – zum Glück nur eine Schrecksekunde, da unsere neu aufgebaute IT-Abteilung ohnehin bereits Mitte 2019 begonnen hatte, alle Mitarbeiter mit Laptops und einem Videokonferenzsystem auszustatten. Zudem hatten wir seit Jahren erheblich in die Unternehmenskultur, in ein adäquates und partnerschaftliches Miteinander investiert – auch dies hat sich während der Mobile-Office-Zeit sehr ausgezahlt.
Als Wind- und Solarparkbetreiber ist Ihre Dienstleistung zurzeit besonders gefragt. Sie haben zuletzt auch sehr positive Wachstumszahlen gemeldet. Zwischenzeitlich diskutierte die Politik Übergewinnsteuern. Was halten Sie davon und welche Reaktionen sehen Sie, wenn sich diese Idee durchsetzen sollte?
Glücklicherweise ist das (Wort-)Ungetüm Übergewinnsteuer ja durch die deutlich sinnvollere Maßnahme eines Preisdeckels in Höhe von 180 EUR je Megawattstunde (MWh) für am freien Markt (Spotmarkt) zu veräußernden Strom ersetzt worden. Dass wir aktuell so hohe Strompreise haben, liegt nicht an den Produzenten erneuerbarer Energien, sondern an der Energiepolitik der vergangenen 20 Jahre. Es ist und war richtig, die konventionellen Kraftwerke vom Netz zu nehmen; es wird aber dann problematisch, wenn gleichzeitig die Erneuerbaren nicht kräftig ausgebaut werden. Wenn das Angebot an Strom also nicht die Nachfrage deckt, braucht man sich nicht zu wundern, dass die Strompreise steigen. Das war auch so zu erwarten – nur die Politik spricht nun von „Zufallsgewinnen“. Das ist sachlich einfach falsch. Ich hoffe, dass – was auch immer die Politik entscheidet – der Ausbau der Erneuerbaren nicht weiter behindert wird.
Der Wiederaufstieg in die zweite deutsche Börsenliga im Juni ist auch ein Ergebnis des Unternehmenswachstums. Wie ist hier die Perspektive – wollen Sie rein organisch wachsen oder planen Sie auch Zukäufe?
Wir wachsen grundsätzlich sowohl organisch als auch durch Zukäufe, wenn es um die Erweiterung unserer Erzeugungskapazitäten aus erneuerbaren Energien in Wind- und Solarparks geht. Ebenso ist die Akquisition von Unternehmen, Unternehmensteilen oder Portfoliounternehmen im Bereich der erneuerbaren Energien integraler Bestandteil unserer Wachstumsstory; zuletzt 2016 die Integration der Chorus Clean Energy und der Capital Stage zur neuen Encavis oder der Einstieg in die Stern Energy seit 2019.
Inwieweit beeinflussen Lieferengpässe noch im Ausklang von Corona oder auch ob des andauernden Kriegs in der Ukraine Ihre Leistungsfähigkeit?
Aktuell leidet unsere Leistungsfähigkeit nicht unter der COVID-19-Pandemie und auch der schreckliche, leider immer noch andauernde Krieg in der Ukraine verursacht keine Lieferengpässe. Eine deutliche Beschleunigung und vor allem eine Digitalisierung der behördlichen Genehmigungsverfahren in allen europäischen Ländern würde uns auf unserem Wachstumspfad sowie bei der Annäherung an die ehrgeizigen Ziele der EU massiv voranbringen – und eben dafür sorgen, dass die Strompreise wieder sinken können, auch ohne Preisobergrenze oder „Übergewinnsteuern“.
Die EU-Taxonomie und ihre Anforderungen sowie ESG-Kriterien dürften Ihnen kraft Geschäftsmodells weniger Schwierigkeiten machen als die Konkurrenz der Lieferanten fossiler Energien. Stimmt diese Annahme?
Wir sind tatsächlich deutlich umweltfreundlicher und vor allem kostengünstiger und betreiben somit insgesamt betrachtet das deutlich nachhaltigere Geschäftsmodell der Energieerzeugung. Es gibt keine günstigere Form der Energieerzeugung als aus Sonne und Wind. Die Kosten einer Kilowattstunde jedes konventionellen Kraftwerks sind deutlich höher. Diesen Wettbewerb scheuen wir nicht.
Was genau sind für ein Unternehmen wie Encavis die Herausforderungen bei der ESG-Berichterstattung im Zuge der CSRD?
Die Ermittlung unseres sogenannten CO2-Fußabdrucks, unsere Klimabilanz mit all ihren Daten inkl. der Lieferketten nach Scope 3 erfordert professionelle externe Unterstützung. Die noch größere Herausforderung für uns liegt aber in der Unübersichtlichkeit und zum Teil völlig konträren Bewertung einzelner Sachverhalte der CSRD durch die Vielzahl an ESG-Ratingagenturen. Wir unternehmen eine Menge – die Herausforderung ist, trotz unserer schlanken Strukturen all diese Beiträge zu einer nachhaltigen Unternehmensführung auch so zu dokumentieren, dass sie von den Ratingagenturen wahrgenommen und in ihren Berichten reflektiert werden. Das ist für uns als personell recht kleines Unternehmen zuweilen sehr herausfordernd.
Als Hauptproblem an erneuerbarer Energie, insbesondere an Wind- und Sonnenkraft, wird von Skeptikern gerne angeführt, dass sie eben nicht immer zuverlässig verfügbar ist. Die sogenannte Grundlast müsse daher weiter über fossile Energieträger zur Verfügung gestellt werden. Stimmt die Logik in dieser Einfachheit?
Nicht wirklich – wir könnten auch mit Wind- und Solarenergie und weiteren erneuerbaren Energien ausreichend Strom erzeugen, um unseren Energiebedarf zu decken. Voraussetzung wären deutlich mehr installierte und ans Netz angeschlossene Wind- und Solaranlagen. Zudem bräuchten wir dann entsprechend große Speicherkapazitäten zur Überbrückung der kurzfristigen (täglichen) als auch mittelfristigen (saisonalen) Lücken der Energieerzeugung sowie massive Investitionen in eine stabile und deutlich stärker diversifizierte Netzinfrastruktur, um den Strom auch über große Distanzen überallhin transportieren zu können. Angesichts der oben beschriebenen Kostenvorteile der Erneuerbaren im Vergleich zu den konventionellen Kraftwerken können wir diese auch finanzieren und wären insgesamt immer noch günstiger.
Was wäre aus Ihrer Sicht für Deutschland der optimale zukunftsfähige Energiemix?
Wir werden es auch mit vielen Erneuerbare-Energie-Anlagen, seien es Wind- und Solarparks, oder auch grundlastfähigen Biogas- und Biomasseanlagen sowie umfangreichen Speichern nicht schaffen, ausreichend Energie in Dunkelflauten zu haben. Für solche besonderen Zeiten, in denen z.B. in der Nacht der Wind nicht bläst, werden wir konventionelle Gaskraftwerke vorhalten müssen, damit diese dann einspringen. Wir benötigen umso weniger Gaskraftwerke, je mehr Speicherkapazitäten wir haben.
Und wie viele Windräder und Quadratkilometer Solarparks benötigt man dazu?
In Europa benötigen wir dafür bis 2030 Wind- und Solarkapazitäten im Umfang von 640 GW, so der Plan REPowerEU. In den vergangenen zehn Jahren haben wir gerade einmal 200 GW ans Netz gebracht. Insofern ist dies eine anspruchsvolle Aufgabe. Wie viele Quadratkilometer dies sind, kann ich Ihnen nicht sagen. Es ist aber nicht viel. Wenn wir weltweit den heutigen Energiebedarf allein aus Solarparks decken wollten, benötigten wir dazu nur 0,3% der Weltlandmasse.
Welches Thema liegt Ihnen noch besonders am Herzen?
Unsere Politiker stehen in diesen Zeiten vor großen Herausforderungen, und mir ist bewusst, dass die aktuelle Politikergeneration die verfahrene Situation nicht vollständig zu verantworten hat – aber ich bitte sie darum, anzuerkennen, dass die erneuerbaren Energien nicht die Ursache für das aktuell sehr hohe Energiepreisniveau sind, sondern die Lösung darstellen können. Je mehr Erneuerbare-Energie-Parks am Netz sind, desto mehr teure konventionelle Kraftwerke können ausgemustert werden. Da das teuerste gerade noch benötigte Kraftwerk den Preis setzt, wird durch mehr Erneuerbare-Energie-Parks der Preis sinken. Diese sogenannte Merit-Order ist eine viel bessere Lösung als der kurzfristig populäre, langfristig aber schädliche Eingriff in Marktmechanismen. Die Politik sollte vielmehr die Genehmigungsdauern für Erneuerbare-Energie-Parks reduzieren und Investitionen in dieselben attraktiv machen – nicht durch Fördermaßnahmen, sondern indem die Politik den Markt funktionieren lässt und sich raushält. Das wäre mir ein sehr großes Anliegen.
Herr Dr. Husmann, herzlichen Dank für das Gespräch und viel Elan bei der Verfolgung Ihrer Ziele für mehr Energiesicherheit in Deutschland.
Das Interview führte Simone Boehringer.
ZUM INTERVIEWPARTNER
Dr. Christoph Husman ist seit Oktober 2014 Finanzvorstand (CFO) der jetzigen Encavis AG in Hamburg. Bis Anfang 2018 firmierte die Gesellschaft als Capital Stage AG.
https://www.encavis.com/ueber-uns/
Autor/Autorin
Simone Boehringer
Simone Boehringer ist die Redaktionsleiterin "Kapitalmarktmedien" der GoingPublic Media AG.