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In den ordentlichen Hauptversammlungen der letzten Jahre fiel auf, dass der Umfang des Tagesordnungspunkts „Vergütung“ in den Einladungsunterlagen regelrecht explodierte. Mit der Umsetzung der zweiten Aktionärsrechterichtlinie (ARUG II) sind börsennotierte Aktiengesellschaften für die Geschäftsjahre nach 2020 verpflichtet, einen separaten aktienrechtlichen Vergütungsbericht zu veröffentlichen und diesen von der Hauptversammlung (HV) billigen zu lassen. Ebenfalls ist ein Vergütungssystem mindestens alle vier Jahre von der HV billigen zu lassen, sofern nicht wesentliche Änderungen im Vergütungssystem zuvor geplant sind. Doch musste das sein?

Eine von uns durchgeführte Stichprobe unter den DAX- und MDAX-Unternehmen zeigt, dass Inhalte zum Thema Vergütung rund 60% der HV-Einladungsseiten ausmachen. Im Wesentlichen handelt es sich um einen Vergütungsbericht, der in der Stichprobe ca. 20 bis 30 Einladungsseiten beansprucht. Wurden zugleich noch Änderungen im Vergütungssystem zur Billigung vorgelegt, so erhöht sich der Seitenumfang nochmals im gleichen Maße. An dieser Stelle stellt sich zum einen die Frage nach der Verhältnismäßigkeit und zum anderen jene nach dem Informationsmehrwert des jährlichen Vergütungsberichts. Da die Zustimmung oder Ablehnung des Vergütungsberichts nur einen „empfehlenden“ Beschlusscharakter hat, ist der Bericht weder anfechtbar noch gegenantragsfähig. Nur die Entlastung des Aufsichtsrats kann möglicherweise davon abhängig gemacht werden. Darüber hinaus ist die Offenlegung der individuellen Vergütung von Vorstand und Aufsichtsrat laut IAS 24.17 im aufzustellenden IFRS-Abschluss ebenfalls verpflichtend. Da fast alle im Regulierten Markt gelistete Unternehmen einen IFRS-Konzernabschluss aufstellen, müssen sie nun zwei Dokumente veröffentlichen, in denen über die Vergütungen ihrer Organe berichtet wird. Das Problem hierbei ist, dass die Angaben im IFRS-Abschluss durchaus konträr zu den Angaben des Vergütungsberichts sein können.

Seit Einführung des Vorstandsvergütungs-Offenlegungsgesetzes im Jahr 2005 hat sich der Umfang der Angaben über die individuelle Vergütung stetig erhöht und findet mit der jährlichen Veröffentlichungspflicht eines Vergütungsberichts nach § 162 AktG sowie der Billigungspflicht eines Vergütungssystems durch die Hauptversammlung (§ 120a AktG) den derzeitigen Höhepunkt. Die jährliche Vorlage des Vergütungsberichts, der in formeller Hinsicht vom Wirtschaftsprüfer zu prüfen ist, soll einen „klaren und verständlichen Bericht über die im letzten Geschäftsjahr jedem einzelnen gegenwärtigen oder früheren Mitglied des Vorstands und des Aufsichtsrats … gewährte und geschuldete Vergütung“ geben. Wie sich schnell herausstellte, geriet das genannte Ziel eines klaren und verständlichen Berichts in Konflikt mit der Definition der „gewährten“ Vergütung, da der Gesetzgeber nicht imstande war, diese eindeutig zu definieren. In Folge gab es eine IDW-Empfehlung, wonach „gewährt“ entweder das Zuflussprinzip oder das Erdienungsprinzip bedeuten kann und der Anwender somit das Wahlrecht hat. Bedeutend sind diese Auslegungen für langfristige Vergütungsbestandteile wie Aktienoptionen, da zwischen Ausgabe und tatsächlicher Ausübung in der Regel mehrere Jahre vergehen.

Da insbesondere die Langfristvergütungskomponente bei Vorständen oft mehr als 30% der Gesamtvergütung ausmacht, ist es in der Darstellung erheblich, wann und in welcher Höhe der Aufwand gezeigt wird. Eigentlich gibt es ein in der Praxis geübtes IFRS-Regelwerk (IFRS 2), das von den börsennotierten Unternehmen seit Jahren angewandt wird. Hier wird für anteilsbasierte Vergütungsbestandteile eindeutig nach „equity-settled“ und „cashsettled“ unterschieden. Werden von einem Unternehmen der aktienrechtliche Vergütungsbericht und der IFRS- Abschluss nebeneinandergelegt, ist es nicht selten, dass sich deutliche Unterschiede in der Vergütungshöhe offenbaren. Es wäre weniger verwirrend für die Adressaten und ebenso weniger aufwendig für die Ersteller, wenn der aktienrechtliche Vergütungsbericht sich ebenfalls an den international geltenden IFRS-Standards orientiert hätte. Dies hätte großen Mehraufwand gespart und die Transparenz bliebe zumindest vergleichbar. Zugleich gibt es keine Sinnhaftigkeit, dass der Vergütungsbericht in die Einladung zur Tagesordnung mit aufgenommen werden muss. Warum musste der Gesetzgeber das Rad wieder neu erfinden?

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Autor/Autorin

Prof. Dr. Wolfgang Blättchen

Prof. Dr. Wolfgang Blättchen ist geschäftsführender Gesellschafter der BLÄTTCHEN FINANCIAL ADVISORY GmbH und seit drei Jahrzehnten als unabhängiger Berater für Kapitalmarktstrategien aktiv. In dieser Zeit konnte er über 100 Pre-IPOs, IPOs und Follow-on-Mandate begleiten. Er ist aktives Mitglied in Aufsichts- und Beiräten sowie Ansprechpartner der Börsen.

Uwe Nespethal

Uwe Nespethal ist ebenfalls geschäftsführender Gesellschafter der BLÄTTCHEN FINANCIAL ADVISORY GmbH und seit über 20 Jahren als unabhängiger Berater in Kapitalmarktstrategien sowie in der Auflegung von kapitalmarktorientierten Incentivierungsprogrammen für Führungskräfte und Mitarbeiter tätig.