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Börsennotierte Unternehmen und deren Organvertreter sind in den letzten Jahren zunehmend mit Rechtsstreitigkeiten konfrontiert, die nicht nur rein juristisch ausgetragen werden, sondern verstärkt auch in der Öffentlichkeit und damit am Kapitalmarkt ihren Widerhall finden. Unternehmen kommentieren oft nur zögerlich und verhalten anhängige rechtliche Auseinandersetzungen. Doch mit den steigenden Erfordernissen der heutigen Mediengesellschaft, regulatorischen Vorschriften und den Informationsbedürfnissen der Kapitalmarktteilnehmer ergibt sich die Notwendigkeit, auch Rechtsstreitigkeiten IR-seitig aktiv kommunikativ zu begleiten und strategisch zu gestalten.
Herausforderungen einer kapitalmarktorientierten Rechtskommunikation
Ausgehend von der Rolle und Bedeutung der öffentlichen Meinung in rechtlichen Auseinandersetzungen hat sich seit Beginn der 1980er-Jahre in den USA ein gezielt gesteuerter und zutiefst zweck- und zielorientierter Kommunikationsprozess entwickelt, der im Allgemeinen als Litigation Public Relations (Litigation PR) bezeichnet wird. Jedoch zeigen Praxis und alltägliche Erfahrungswelt, dass für rechtliche Auseinandersetzungen börsennotierter Unternehmen die Ziele und Mittel der allgemeinen Litigation PR zu kurz greifen. Vielmehr sind auch eine gezielte Ansprache sowie ein aktiver Kommunikationsprozess in Rechtsstreitigkeiten mit Anteilseignern und dem Kapitalmarkt notwendig.
Kapitalmarktkommunikation in Rechtsstreitigkeiten
Schweigen bei Rechtsstreitigkeiten ist nicht länger eine Option in einer proaktiven und auf Transparenz ausgelegten Finanzmarktkommunikation und Investor Relations. Rechtsstreite erhöhen die Volatilität der Aktie, da Kurse sensibel auf diesbezügliche Informationen reagieren. Zugleich haben die Unsicherheit und die erschwerte Einschätzung der finanziellen wie zeitlichen Dimension des möglichen Ausgangs eines Rechtsstreits zur Folge, dass die Kapitalkosten für ein betroffenes Unternehmen steigen. In der Börsenbewertung wird dies zudem im sogenannten Legal Discount deutlich. Wenn Analysten und Investoren davon ausgehen, dass mögliche Schadensersatzzahlungen in der Zukunft einen Einfluss auf die zukünftige Ertragskraft eines Unternehmens haben, ist es nur konsequent, die zu erwartenden Cashflows für die Unternehmensbewertung entsprechend zu reduzieren. Im schlimmsten Fall kann es sogar dazu führen, dass eine geplante Übernahme aufgrund einer strittigen Bewertung der Rechtsrisiken abgesagt werden muss oder ein Unternehmen wegen der niedrigen Börsenbewertung aufgrund der Rechtsrisiken selbst zum Übernahmekandidaten wird. Zudem kann sich unter Umständen das CSR- und ESG-Rating des Unternehmens verschlechtern, das die Good Governance und Compliance eines Unternehmens bewertet.
Lesen Sie hier unser Interview mit Kay Bommer vom DIRK.
Es ist eine der vordringlichen strategischen Managementaufgaben, die Eigen- sowie Fremdfinanzierung eines Unternehmens so effektiv und effizient wie möglich zu gestalten. Wenn Rechtsstreitigkeiten einen erheblichen Einfluss auf die Unternehmensbewertung haben und mangelhafte Kapitalmarktkommunikation diese Unsicherheit erhöht, dann muss es ein wichtiges strategisches Managementziel sein, die damit verbundenen Informationsasymmetrien durch eine transparente Kapitalmarktkommunikation abzubauen. Nur so kann der Kapitalmarkt das Unternehmen adäquat, die tatsächliche Unternehmensrealität widerspiegelnd, bewerten.
Die Litigation IR verfolgt somit das primäre Ziel des Abbaus von Informationsasymmetrien in Rechtsstreiten. Ihre Aufgabe ist es, die rechtlichen Verfahren möglichst transparent dem Kapitalmarkt zu erläutern, mit dem Ziel, die Erwartungen mit Hinblick auf die Entwicklungen und den möglichen Ausgang der Verfahren zu steuern.
Definition Litigation IR
Litigation IR ist die aktive Steuerung der strategischen Finanzmarktkommunikation während gerichtlicher Auseinandersetzungen eines Unternehmens oder dessen Organvertreter, um dem Finanzmarkt und seinen Akteuren einen transparenten und möglichst vollständigen Überblick über die rechtlichen Auseinandersetzungen, eventuellen Schadensersatzzahlungen sowie möglichen Szenarien vor Gericht zu geben. Das Ziel der Litigation IR muss dabei sein, die Erwartungen des Kapitalmarkts mit den tatsächlichen und wahrscheinlichen Entwicklungen der Rechtsstreitigkeiten des Unternehmens in Einklang zu bringen.
Fazit
Es lässt sich somit festhalten, dass börsennotierte Unternehmen und deren Organvertreter während Rechtsstreitigkeiten proaktiv und transparent den Kapitalmarkt informieren sollten. Schweigen ist keine Option mehr – vielmehr gilt: Reden ist Gold!
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Litigation IR schützt nicht nur Vertrauen und Glaubwürdigkeit des Unternehmens bei Fremd- und Eigenkapitalgebern, sondern kann auch dazu beitragen, die Kapitalkosten des Unternehmens zu senken, sodass dessen Börsenbewertung die tatsächlichen rechtlichen Auswirkungen transparent reflektiert.
Eine erfolgreiche Litigation IR muss in einem organisatorisch-institutionellen Managementrahmen kontextualisiert werden. So benötigt nicht nur die rechtliche Lösung des Rechtsstreits an sich, sondern auch dessen strategisch-kommunikative Begleitung und Koordination einen organisatorischen Rahmen innerhalb des Unternehmens, in dem sich die beteiligten Akteure auf Augenhöhe vertrauensvoll austauschen können. Hier ist es das primäre Ziel, die juristische Ebene mit der kommunikativen Ebene zu verzahnen, um Problemlösungs- und Entscheidungskompetenz der beteiligten Akteure zusammenzuführen.
Die ausführliche Studie „DIRK-Forschungsreihe Band 26: Litigation IR – Kapitalmarktkommunikation in Rechtsstreitigkeiten als strategische Managementaufgabe“ finden Sie hier.
Über den Autor
Dr. Simon Friedle ist Sprecher für Finanz- und Wirtschaftsthemen bei der Siemens AG in München. Zuvor war er über acht Jahre Investor-Relations-Manager bei der Porsche Automobil Holding SE in Stuttgart. Er hat an der Universität St. Gallen einen Executive MBA absolviert, ist Certified Investor Relations Officer (CIRO) und hatte zuvor an der Universität Cambridge in Geschichtsphilosophie promoviert.