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Interview mit Olivier Neidhart, Geschäftsleitung mms solutions (mms) und Verwaltungsratspräsident der Muttergesellschaft Neidhart + Schön Group AG

Bei der Geschäftsberichterstellung stellt sich häufig die Frage: online oder Print? Die Festlegung einer genauen Strategie mit Zielgruppenidentifizierung im Vorfeld ist dabei entscheidend.

Olivier Neidhart verantwortet als Verwaltungsratspräsident die Internationalisierung der Neidhart + Schön Group AG mit ihrer Tochter mms solutions (mms).

Herr Neidhart, warum ist es für die Erstellung von Geschäftsberichten so entscheidend, eine Reportingstrategie zu entwickeln?
Geschäftsberichte sollten nicht nur als Pflicht betrachtet werden – sie bieten auch Mehrwert. Um dies sicherzustellen, sind allerdings frühzeitig wichtige Weichenstellungen vorzunehmen. Es gilt, zuerst die wesentlichen Zielgruppen des Geschäftsberichts zu bestimmen und dann die unternehmensspezifische Reportingstrategie festzulegen. Geschäftsberichte richten sich an zahlreiche Anspruchsgruppen, die sehr unterschiedliche Informationsbedürfnisse aufweisen. Während Kunden, Mitarbeitende, Lieferanten oder die Öffentlichkeit primär Interesse am Unternehmen, an seinen Produkten und am Führungsteam haben und somit die ansprechende Aufbereitung der Inhalte zählt, zeichnet sich der Kreis der kapitalmarktorientierten Anspruchsgruppen wie Investoren und Analysten durch tiefer gehende Anforderungen insbesondere an den Finanzbericht aus. Neben dem leichten, zeit- und ortsunabhängigen Zugriff auf den Geschäftsbericht ist ihnen wichtig, dass eine möglichst einfache Weiterverarbeitung der Daten unter Sicherung der Integrität gewährleistet ist. Die Klärung der wichtigsten Adressaten des Geschäftsberichts beeinflusst also entscheidend, wie dieser aufbereitet wird. Ist die Zielgruppenpriorisierung erfolgt, kann die Reportingstrategie festgelegt werden. Welcher Kanal ist „leading“, verfolgt man eine „Print-/PDF-first-“ oder eine „Online-first-Strategie“? Ist ein ansprechendes Design entscheidend, das durch ein professionell gestaltetes PDF oder einen aufwendigen, kanalgerechten Onlinereport oder beides transportiert wird? Kurzum: Soll der Geschäftsbericht für das Unternehmen der europäischen Tradition entsprechend als „Visitenkarte“ mit hohem Anspruch an Optik, Grafiken und Bilder oder als „Pflichtübung für den Regulator“ verstanden werden? Diese Klärungen sind elementar und setzen wichtige Leitplanken. Ein weiterer wichtiger Einflussfaktor besteht darin, wie stark das Unternehmen gesamthaft auf Digitalisierung ausgerichtet ist und ob demnach eine professionelle Onlineumsetzung respektive ein Online-first-Ansatz authentischer ist.Reportingstrategie

Was gehört weiter zu einer sinnvollen Reportingstrategie?
Neben den vorher genannten Aspekten gehört Messbarkeit dazu. Mit der fortschreitenden Digitalisierung wird Messbarkeit immer besser möglich und rückt stärker in den Vordergrund. Heute ist die Realität so, dass oftmals die Frage im Raum steht, ob es sich lohnt, einen gut aufbereiteten digitalen Geschäftsbericht zu präsentieren, wenn dieser am Ende nur verhältnismäßig wenige Klicks aufweist. Wer hingegen genau weiß, welche Zielgruppe angesprochen und was gemessen werden soll, kann realistische Ziele setzen – und steht dann den erreichten Werten kaum enttäuscht gegenüber. Durch Messung erhält der Reportersteller einen faktenbasierten Eindruck, wer an dem Report und an welchen Aspekten interessiert ist. Wenn ich also weiß, für wen ich den Report erstelle, kann ich den Lesernutzen optimieren und dementsprechend den Aufbereitungsaufwand planen. Für Kapitalmarktteilnehmer sollten Zahlen einfach aufzufinden, zu vergleichen und weiterzuverarbeiten sein. Für andere Anspruchsgruppen können weiterführende Informationen zu Unternehmen, Kultur und Werten oder Nachhaltigkeit ebenso relevant sein, die zielführend durch Darstellungsformen wie Videos und Bilder transportiert werden.

Warum reicht es für die meisten Unternehmen nicht einfach aus, auf Online-Geschäftsberichte umzustellen und warum spielt der gedruckte Bericht bzw. das PDF auch weiterhin eine große Rolle?
Hier sind mehrere Aspekte entscheidend, wie Lesegewohnheit oder etablierte Arbeitsprozesse. Entlang eng durchgetakteter und über viele Jahre etablierter Zeitpläne kann ein PDF prozessual der Führungsebene problemlos zur Freigabe und Vorabansicht ausgehändigt werden – was bei einer HTML-Umsetzung schwieriger ist. Ein PDF oder gedruckte Berichte können persönlich übergeben werden. PDFs weisen einen klaren Start- und Endpunkt auf und verfügen über gelernte und leistungsfähige Suchfunktionalität. PDF first ist bekannt, eingespielt und steht also nach wie vor hoch im Kurs. Entscheidet sich ein Unternehmen zusätzlich noch für die Onlinevariante, entsteht nicht selten ein doppelter Aufwand, da online anders gearbeitet wird und die Prozesse verschieden aufbereitet werden. Die Reportingstrategie ist also auch bezüglich Arbeitseffizienz und -effektivität enorm wichtig und Ausgangsbasis für Entscheide, mit welchen Systemen und in welchen Prozessen gearbeitet wird.

Wo liegen Chancen bei neuen digitalen Formaten wie ESEF/XBRL im Rahmen der EU-Gesetzgebung?
Eine spannende Frage, denn mit ESEF kommt in der Berichterstattung ein neuer Aspekt hinzu, bei dem es darum geht, den Geschäftsbericht maschinenlesbar zu machen. Damit stehen publizierende Unternehmen zunächst vor der Herausforderung, ein zusätzliches Berichtsformat umzusetzen, also höhere Komplexität in einem ohnehin unter hohem Zeitdruck stehenden Projekt zu bewältigen. Es gibt aber auch Chancen, denn mit der Wahl einer integrierten Lösung, des sogenannten Built-in-Ansatzes, kann aus einer einzigen Datenquelle die zeitgleiche, stark automatisierte Datenaufbereitung mittels eines offenlegungssicheren Tools sichergestellt werden (Single Source of Truth).

Wie sieht der ideale Geschäftsbericht Ihrer Meinung nach aus?
Hier sehe ich entlang der Reportingstrategie verschiedene Ansätze. Zunächst gibt es den weiterhin klar dominierenden PDF-first-Ansatz, bei dem das PDF-Dokument online durch eine kanalgerechte Teaserpage oder einen Full-HTML-Report ergänzt wird. Ein weiterer Ansatz ist der rein digitale nach online first, das heißt, der Geschäftsbericht erscheint als eine Full-HTML-aufbereitete Webseite mit einem generierten PDF. Der Kurzbericht kann eine wirtschaftliche Lösung sein, um mehr Stakeholder zu erreichen. Ein weiterer Ansatz unter Einfluss der ESEF-Anforderung könnte sein, dass die regulatorische Pflicht erfüllt wird, während weitere Unternehmensinformationen in einer gesonderten Imagepublikation analog und/oder digital präsentiert werden. In allen Fällen sollte auf Systemunterstützung gesetzt werden, um sichere, einfache und nachvollziehbare Erstellungsprozesse zu gewährleisten.

Welchen Einfluss hat die Coronakrise auf die Geschäftsberichteerstellung?
Einen sehr großen – gerade im Hinblick auf Digitalisierung. Die Unternehmen haben Interesse daran, dass sie zeit- und ortsunabhängig unter höchstem IT-Sicherheitsstandard am Geschäftsbericht arbeiten können. Darüber hinaus gewinnt der Aspekt der Personenunabhängigkeit an Wichtigkeit. Durch die Pandemie wurde noch stärker als ohnehin schon bewusst, wie wichtig die Gesundheit jedes einzelnen Mitarbeitenden ist und wie problematisch es wird, wenn jemand aufgrund einer schwerwiegenden Erkrankung längere Zeit ausfällt. Hieran wird deutlich, wie wichtig cloudbasierte und systemgestützte Arbeitsprozesse künftig sind, die zusätzlich auch ermöglichen, zeit- und ortsunabhängig zu arbeiten.

Herr Neidhart, vielen Dank für die spannenden Einblicke.

Dieser Artikel erschien zuerst in unserem aktuellen Magazin. Unser E-Magazin finden sie hier