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Studien namhafter Unternehmensberatungen aus dem In- und Ausland legen nahe, dass Unternehmen in vielfältiger Hinsicht positiver wahrgenommen werden, wenn ihr Top-Management auf Social-Media-Kanälen aktiv ist. Solche „Social Executives“ geben dem Unternehmen ein „Gesicht“. Ihre Aktivitäten können vertrauensbildend wirken. Zudem kann ein etablierter Social-Media-Auftritt genutzt werden, um kurzfristig auf Krisen oder andere wichtige Ereignisse zu reagieren.

In Deutschland ist der Typus des „Social Executive“ im Top-Management börsennotierter Gesellschaften wenig ver­breitet. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Besonders schwer wiegt allerdings die ­Tatsache, dass Kommunikation über Social-Media-Kanäle schnell zu dem Verdacht der Marktmanipulation oder des Verstoßes ­gegen Ad-hoc-Publizitätspflichten führen kann. Vielfach wird daher offen davon ­abgeraten, die Rolle des Vorstands (oder Aufsichtsrats) börsennotierter Gesellschaften im Sinne eines „Social Executive“ auszufüllen.

Die Vorbehalte gegen den „Social Executive“ werden zusätzlich gespeist durch Extrembeispiele wie die Twitter-Aktivitäten des Elon Musk, der sich neuerdings als „Technoking of Tesla“ bezeichnen lässt. Nach einer Auseinandersetzung mit der U.S. Securities and Exchange Commission (SEC) im Jahr 2019 sind die Social-Media-Aktivitäten des Tesla-CEO jetzt erneut ­Gegenstand eines Gerichtsverfahrens in den USA (Delaware Court of Chancery, Case No. 2021-0199-JRS). In der von einem Tesla-Aktionär (Chase Gharrity) initiierten Klage geht es jedoch nicht nur um die Aktivitäten des CEO, sondern auch um die (angeblich) unzureichende Kontrolle seiner Aktivitäten durch die Gesellschaft und Mitglieder des Board of Directors. Es ­erscheint daher lohnenswert, im Rahmen dieses Beitrags der Frage nachzugehen, welche Lehren aus dem Verfahren und den in der Klageschrift des Chase Ghar­rity vom 11. März 20211 (1) behaupteten Versäumnissen und Verhaltensweisen gezogen und auf die Verhältnisse von in Deutschland börsennotierten Gesellschaften übertragen werden können.(2)

Überwachung der Social-Media-­Aktivitäten der Geschäftsleitung

Social-Media-Aktivitäten des Vorstands eines börsennotierten Unternehmens sind niemals rein privat. Sie werden immer im Kontext der beruflichen Stellung des ­Autors wahrgenommen und gelesen. Vor diesem Hintergrund kann es auch keinen Zweifel geben, dass Social-Media-Aktivitäten des Vorstands eines börsennotierten Unternehmens in die Systeme zur Überwachung und Kontrolle der kapitalmarktrechtlichen Compliance einbezogen werden müssen.

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Steht das „Ob“ außer Frage, kann es hinsichtlich des „Wie“ der Überwachung und Kontrolle unterschiedliche strenge Ansätze geben. In der Klageschrift zum oben genannten Verfahren wird das bei der Tesla, Inc. beschlossene System dahin gehend beschrieben, dass die Führungskraft vor dem Absetzen einer Social-­Media-Nachricht die Zustimmung des sogenannten Disclosure Counsel einholen muss, wenn die Nachricht ein Themenfeld betrifft, das in einem entsprechenden ­Katalog aufgeführt ist. Der in der Klageschrift wiedergegebene Katalog umfasst vorrangig Finanznachrichten und andere potenziell kursrelevante Ereignisse wie Unternehmenstransaktionen, Änderungen in der Geschäftsleitung etc.

Die Arbeit mit Vorbehaltskatalogen ist in der Tat ein probates Mittel zur Verzahnung der Social-Media-Aktivitäten eines Vorstandsmitglieds mit dem System der kapitalmarktrechtlichen Compliance. Zusätzliche Sicherheit bieten freilich Systeme, bei denen alle Nachrichten vorab von der Compliance-Stelle freigegeben werden müssen. Dabei ist nicht nur an Nachrichten zu denken, die als Grenzfall im Sinne der Erfüllung oder Nichterfüllung des Freigabekatalogs einzustufen sind, sondern auch an Nachrichten, die auf den ersten Blick unkritisch erscheinen, jedoch im Rahmen einer sich anschließenden Diskussion oder Rückmeldung der Nutzer bzw. Leser eine kapitalmarktrechtliche Relevanz ­gewinnen können.

Ein weiteres Sicherungsinstrument, von dem in der Klageschrift berichtet wird, betrifft das Zeitfenster für die Veröffentlichung genehmigter Kataloginfor­mationen. Solche Veröffentlichungen ­sollten immer nur außerhalb der Börsenhandelszeiten erfolgen, was als sinnvolle Maßnahme zur Begrenzung des Risikos unbeabsichtigter Einflussnahmen auf das Marktgeschehen gelten kann.

Pflichten des Aufsichtsrats in Bezug auf Compliance-Systeme

Es steht heute außer Frage, dass sich die Überwachungspflicht des Aufsichtsrats auch auf die Frage erstreckt, ob der Vorstand seiner Compliance-Verpflichtung nachkommt. Abermals geht es nicht um die Frage des „Ob“ der Kontrolle, sondern nur noch um die Frage des „Wie“.

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Liest man die Klageschrift unter diesem Aspekt, so verdient zunächst Hervor­hebung, dass der bei der Tesla, Inc. implementierte Vorbehaltskatalog eine Öffnungsklausel umfasst, die es dem Board of Directors ermöglicht, den Katalog der freigabepflichtigen Sachverhalte um weitere Themengebiete zu erweitern, sofern eine Mehrheit der unabhängigen Mitglieder des Gremiums dies zum Schutz der Inte­ressen der Aktionäre für zweckmäßig ­erachtet. Die Regelungstechnik gleicht ­damit der des § 111 Abs. 4 AktG, der dem Aufsichtsrat die Möglichkeit einräumt, über die Satzung hinaus Zustimmungsvorbehalte zu definieren.

Ein Schwerpunkt der in der Klageschrift ausgeführten Vorwürfe betrifft die angeblich fehlende Unabhängigkeit von Mitgliedern des Board of Directors und die fehlende Umsetzung der im Compliance-System angelegten Mechanismen. Die Position des für die Überwachung der Social-Media-Aktivitäten der Geschäfts­leitung zuständigen General Counsel sei nicht mit unabhängigen Personen besetzt gewesen oder diese hätten ihre Position nach sehr kurzer Zeit wieder aufgegeben, ohne dass seitens des Board interveniert wurde.

Das Konzept, besondere Anforderungen in Bezug auf Unabhängigkeit und Freiheit von Interessenkonflikten zu stellen, wenn es um die Überwachung des Verhaltens von Organmitgliedern geht, das nicht oder nicht ausschließlich als Vertreterhandeln zu qualifizieren ist, verdient Zustimmung. Es findet sich auch im deutschen Recht, z.B. in Bezug auf die ­Besetzung des bei börsennotierten Gesellschaften einzusetzenden Ausschusses für Geschäfte mit nahestehenden Personen (§ 107 Abs. 3 Satz 4 bis 6 AktG).

Fazit: Chancen und Risiken von Social Media

Social-Media-Aktivitäten des Top-Manage­ments haben das Potenzial, Unternehmen in der öffentlichen Wahrnehmung und in der Wahrnehmung besonders interessierter Kreise wie z.B. des Finanzsektors positiv und glaubwürdig zu positionieren. Andererseits besteht die Gefahr, dass sich das Top-Management oder der Vorstands­vorsitzende als „Star“ inszeniert und das Unternehmen in eine besondere Form der Abhängigkeit von seinem Spitzenpersonal gerät. Im Vergleich dazu ­erscheint das ­Risiko unbedachter oder in kapitalmarktrechtlicher Hinsicht problematischer Veröffentlichungen einfacher zu beherrschen. Erforderlich ist allerdings ein profes­sionelles Compliance-Management. Das Verfahren Chase Gharrity v. Elon Musk et al. macht unabhängig von seinem weiteren Verlauf und Ausgang wieder einmal deutlich, dass es nicht damit getan ist, ein Compliance-System nur auf dem Papier zu etablieren. Das System muss gelebt werden und das zur Aufsicht berufene Organ ist verpflichtet, die Wirksamkeit des Systems zu überwachen und durchzusetzen.

1) Abrufbar unter www.plainsite.org/dockets/4hk3sdwjv/delaware-court-of-chancery/chase-gharrity-v-elon-musk-et-al/ (letzter Abruf: 22.03.2021).
2) Der Beitrag ist nicht als Stellungnahme zu den in der Klageschrift behaupteten Versäumnissen und Verhaltensweisen der beklagten Personen und Parteien zu verstehen und macht sich die in der Klage formulierten Vorhaltungen auch nicht zu eigen.

Autor/Autorin

Dr. Thomas Zwissler

Dr. Thomas Zwissler ist Rechtsanwalt und Partner bei der ZIRNGIBL Rechts­anwälte Part­nerschaft mbB. Er berät bei gesellschafts-, bank- und kapitalmarktrecht­lichen Fragen sowie in allen Fragen der Unterneh­mens­finan­zie­rung.