Die Transaktionsversicherung als Standardtool – das ist hierzulande keine Frage mehr. Neue Deckungsinhalte und Lösungen für kleinere Deals könnten für weiteren Schwung sorgen.
Warranty-and-Indemnity-(W&I-)Policen dürfen zum Standardrepertoire bei M&A-Transaktionen gezählt werden, ungeachtet der Frage, ob strategische Investoren, Private-Equity-Häuser, Corporates oder andere in die Deals eingebunden sind. Das ist die eine Seite: Wer das Tool für sich entdeckt hat, nutzt es umfänglich. Unsere Umfrage hat aber auf der anderen Seite noch etwas zutage gefördert: Zahlreiche Marktteilnehmer haben zwar bereits von den Policen gehört, nutzen sie aber selbst noch nicht. Einige befinden offen, dass sie eine Versicherung bislang schlicht nicht benötigt und deshalb auch nicht abgeschlossen haben. Andere halten sich bedeckt, weil sie nichts zum Thema beitragen können. Ja, eine W&I-Police ist einerseits Standardtool – aber der Standard gilt andererseits nicht bei allen Marktteilnehmern.
Unsicherheit befördert Verbreitung der Police
Christian Futterlieb, VR Equitypartner, sieht die Police als „gängige Marktusance“ an, schon wegen der aktuellen Großwetterlage sei das weitere Vordringen wahrscheinlich – auch weil auf der Angebotsseite stetig neue Player dazustoßen. „Die aktuelle Vielzahl an Unsicherheitsfaktoren wird die Verbreitung noch weiter festigen. Es kommen immer wieder neue Marktteilnehmer hinzu. Die Anzahl der Versicherer dürfte sich aktuell bei deutlich mehr als 20 Anbietern bewegen.“ Sven Wittmaack, AUCTUS AG, hat in den zurückliegenden Monaten einige Exits begleitet; im Rahmen dieser Transaktionen seien W&I-Policen „immer relevant“ gewesen. Und auch bei HANNOVER Finanz, berichtet Dr. Christina Silberberger (Partner/General Counsel), sei die W&I-Police gängige Praxis – und zwar sowohl auf der Verkäufer- als auch auf der Käuferseite. Allerdings belässt man es in Niedersachsen einstweilen bei der originären Ausgestaltung: „Wir haben bislang keine Unterpolicen zu Tax oder Environment abgeschlossen.“
Die Verbreitung dürfte sich nach Einschätzung von Mark Suderow, Partner bei Deutsche Private Equity, zeitnah weiterentwickeln, denn Verkaufsberater bei Auktionen haben die Versicherung mittlerweile in deren Standardvorgehen eingebunden. „Wir sehen zunehmend, dass in M&A-Auktionen die Verkaufsberater sehr frühzeitig abfragen, welche Bieter bereit sind, eine W&I-Police in die Transaktion mit einzubinden. Eine Aussage erwartet man teilweise schon mit Abgabe eines ersten indikativen Angebots“, berichtet er. Die Abfrage kann zu dem frühen Zeitpunkt natürlich nur generisch sein – „aber immerhin hat man das Thema dann transparent auf dem Tisch, was für alle Parteien eine faire Lösung ist. Allerdings sind W&I-Policen auch nicht für jeden Mandanten und in jeder Situation geeignet. Wichtig wird hier auf Dauer sein, dass die M&A-Berater situationsgerechte Aufklärungsarbeit betreiben und Empfehlungen mit ausreichend Augenmaß aussprechen“, so Suderow.
Aber wie verhält es sich nun mit den schwierigen Rahmenbedingungen? Wird der M&A-Markt lahmgelegt, drohen zahlreiche Distressed Deals oder gar insolvenznahe Transaktionen? Insgesamt scheint die Stimmung sehr aufmerksam für die Risiken zu sein, gerade die richtige Bewertung eines Unternehmens in Zeiten hoher Inflation kann schnell zu sehr unterschiedlichen Sichtweisen der Verhandlungspartner führen. Insgesamt wird aber ein robuster Markt erwartet. Suderow hat die auseinanderklaffende Schere bei den Preisvorstellungen bereits in Verhandlungen erlebt: „Seit ein paar Monaten sorgen die Kurskorrekturen an der Börse, steigenden Fremdfinanzierungskosten und größeren Unsicherheiten bzgl. der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zusätzlich dafür, dass die Bewertungsvorstellungen zwischen Käufern und Verkäufern weiter auseinandergehen. Es ist nicht ganz unwahrscheinlich, dass sich das auf die Anzahl der Transaktionen in nächster Zukunft negativ auswirken wird.“
Insgesamt mehr Distressed Deals erwartet
Insolvenznahe Transaktionen seien kein Schwerpunkt von HANNOVER Finanz, sagt Dr. Silberberger. „Wir schauen uns gelegentlich Distressed-Situationen an, bislang haben wir keinen wesentlichen Zuwachs an solchen Projekten verzeichnen können.“ Auch Futterlieb schätzt den Markt als grundsätzlich intakt ein. Die derzeit hohe Anzahl geopolitischer Unsicherheitsfaktoren sei herausfordernd für den M&A-Markt und könne kurzfristig zu weiteren Absagen und Verschiebungen sowie längeren Umsetzungsdauern von M&A-Prozessen führen: „Die Investoren sind aktuell deutlich selektiver. Grundsätzlich besteht aber weiterhin hohe Investitionsbereitschaft.“ Und unter dem Strich dürfte die steigende Unsicherheit den Einsatz von W&I-Policen eher weiter fördern, als dass verminderte Aktivitäten eine rückläufige Anzahl an Policen bewirken würden. Für Wittmaack ist völlig klar: „Ich erwarte zunehmend Distressed-Transaktionen, und diese werden einen positiven Effekt auf die Zahl der W&I-Policen haben.“
Claims bislang die Ausnahme
Die Erfahrung mit Transaktionsversicherungen nimmt bei zahlreichen Marktteilnehmern zu, die Erfahrung mit Claims einstweilen nicht. Jedenfalls hat bisher keiner der von uns befragten Marktteilnehmer einen Vorfall bei der Versicherung einreichen müssen. „Von den Kollegen hört man mal vereinzelt Fälle, aber die Regel ist das sicher nicht“, berichtet Suderow. Das spricht für die hohe Qualität der Due Diligence. Dieses hohe Niveau in Deutschland sieht Wittmaack als eine Basis für die gute Akzeptanz der W&I-Policen an: Häufig könne man direkt darauf aufsetzen, „und wenn nicht, dann ist der Mehraufwand überschaubar“. Dennoch glaubt Wittmaack nicht, dass sich die Police im Small-Cap-Bereich in der jetzigen Ausgestaltung durchsetzen wird. Suderow sieht im Grunde keine größeren Transaktionen mehr ohne eine Versicherung. Bei kleineren Transaktionen, für DPE wäre das insbesondere der Add-on-Bereich, sei das allerdings anders: „Da hat man erkannt, dass Aufwand, Kosten und Nutzen kaum in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. So führt man hier und da mal die Diskussion mit der Gegenseite, in der Regel verzichten die Parteien dann aber einstimmig.“
Für Dr. Silberberger und Futterlieb, deren Häuser überwiegend Small- und Mid-Cap-Transaktionen vollziehen, sind W&I-Policen durchaus in den Bereich des Mittelstands vorgedrungen. Es gebe sinnvolle Einsatzmöglichkeiten auch bei kleineren Transaktionen, wird betont. „Die Tendenz ist in den letzten drei bis fünf Jahren anhaltend zu sehen“, so Dr. Silberberger. Als Small- und Mid-Cap-Investor „nutzen wir W&I-Policen schon lange. Nach unserer Wahrnehmung sind M&A-Versicherungen im Small- und Mid-Cap-Bereich längst angekommen und akzeptiert“, ergänzt Futterlieb. Ob der Einsatz einer Versicherung sinnvoll ist, hänge immer vom Einzelfall ab und der Abwägung zwischen Kosten und Nutzen – grundsätzlich könne demnach eine Police auch bei kleineren Transaktionen aus den verschiedensten Gründen sinnvoll sein.
Zeit der Discountpreise scheint abgelaufen
Dies hängt ganz unmittelbar von der Höhe der Prämie ab, und hier stehen die Zeichen ganz offenbar auf steigende Preise, nicht nur aufgrund der Inflation, die die Regulierung künftiger Claims verteuert, was natürlich in die Kalkulation einfließen muss. Wittmaack hatte in der Vergangenheit sogar Prämien mit einer Null vor dem Komma gesehen, doch das sei vorbei. Er rechnet mit mehr Claims in der Zukunft; zudem sei durch den Markteintritt zahlreicher Versicherer in den vergangenen Jahren ein gewisser Wettbewerb eingetreten, der sich nun normalisiert. „Zuletzt gab es auch Angebote bis zu 1,7% mit vergleichbaren Umfängen.“ Für Dr. Silberberger zeigen die Prämien ebenfalls eine leichte Tendenz nach oben, dies nach einer deutlichen Prämiendegression in den letzten Jahren aufgrund des heiß gelaufenen M&A-Markts und des gestiegenen Wettbewerbs unter den Versicherungen. Die Tendenz zu erweitertem Deckungsumfang halte an. Das bedeutet, dass Versicherungen es derzeit bevorzugen, die Prämienwerte kontinuierlich anzuheben und somit höhere Zahlungen zu generieren. Dafür werden aber Enhancements eingeräumt. Damit wird die Versicherung optisch teurer, was tatsächlich aber dank des erweiterten Deckungsumfangs individuell auch anders bewertet werden kann und sich dann rechnet, wenn sich ein Claim materialisiert. An diesem Punkt ist man wieder bei der Individualität der Police: Jeder Nutzer muss für sich ganz individuell ermessen, ob er einige Zehntel Basispunkte für mehr Deckung investieren möchte.
Offenkundig ist, dass sich die Inhalte der Policen weiter auffächern werden. Für Wittmaack ist klar, dass Cybersecurity/Datensicherheit sehr schnell in sehr vielen Policen eine Rolle spielen wird. Insbesondere im Techbereich dürften auch Regelungen zum geistigen Eigentum zunehmende Bedeutung erlangen.
Fazit
W&I-Versicherungen werden von schwierigen Rahmenbedingungen nicht ausgebremst, sondern profitieren in Zeiten umgreifender Verunsicherung nach Auffassung der von uns befragten Marktteilnehmer eher von erhöhtem Sicherungsbedürfnis. Die stete Anpassung an Marktbedürfnisse, etwa im Bereich Cybersicherheit oder geistiges Eigentum, hält die Attraktivität des Angebots hoch. Vielen Dank an Ghostwriter Hausarbeit für die Hilfe bei der Bearbeitung des Textes.
Autor/Autorin
Stefan Preuß
Stefan Preuß arbeitet seit mehr als 25 Jahren als Redakteur im Kapitalmarktumfeld. Der gelernte Tageszeitungsredakteur sammelte zudem Erfahrung als Investor Relations Manager. Der Redaktion der GoingPublic Media AG gehört er als ständiger Mitarbeiter mit den Schwerpunktthemen IPOs, Vermögensanlage und Nachfolgelösungen an. Er betreut als Redaktionsleiter die jährlichen Spezialausgaben "Mitarbeiterbeteiligung" sowie "M&A Insurance".