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Wir stellen uns folgende Situation vor: Nach sieben oder acht Jahren und mehreren Finanzierungsrunden hat ein schnell wachsendes Unternehmen viele Meilensteine und eine gute Reife im Geschäftsmodell erreicht, vielleicht sogar die Bewertungsschwelle von 1 Mrd. USD und den Status eines Einhorns.

Nach zwei bis drei Finanzierungsrunden und einer wachsenden Anzahl von externen Investoren ist man schon gefühlt nicht mehr wirklich ein privates Unternehmen. Investoren verlangen regelmäßige Informationen im Rahmen der Governance des Shareholder Agreement und erwarten Transparenz ähnlich den Berichtspflichten von börsennotierten Unternehmen. Governancegremien mit Investoren am Tisch sind etabliert. Zugleich fordern externe Investoren der ersten Runden eine Ausstiegsmöglichkeit.

Als privates Unternehmen fühlt es sich also manchmal so an, als wäre man bereits gelistet, aber kann die Vorteile eines Börsengangs nicht nutzen. Gleichzeitig steht die nächste Finanzierungsrunde an, um den nächsten Meilenstein zu finanzieren.

Gründung, Unicorn – und dann?

Viele Unternehmen mit heutigem Einhornstatus wurden im letzten Jahrzehnt mit einem Höhepunkt im Jahr 2015 gegründet. Die größten drei Regionen Europas für Unicorns mit Exitpotenzial sind UK, Deutschland und Frankreich aus den Sektoren TMT, Consumer und Financial Services. Nach gut acht Jahren sind sie nun so weit gereift, dass sie ihre strategischen Exitoptionen bewerten. Von den weltweit gut 2.000 Unicorns haben sich 74%, also rund 1.500, noch nicht für eine Exit-Option entschieden. Für sie stellt sich die Frage: Ist es an der Zeit, die Strategieoptionen zu evaluieren und erste Schritte zur konkreten Vorbereitung anzugehen? Doch welche Wege sind die anderen 500 stark wachsenden Unternehmen bereits gegangen und welche Erfahrungen wurden gemacht? Bei diesen dauerte es in der Regel
sieben Jahre, bis sie den Einhorn-Status erreicht hatten und ihr Prozess der Bewertung ihrer strategischen Möglichkeiten begann.

Börsengang oftmals der präferierte Weg

In der Regel stehen Unicorns auf der Eigenkapitalseite grundsätzlich vier Optionen zur Verfügung, davon drei im privaten Kapitalmarkt und zusätzlich der Börsengang.

1. Der Verkauf des Unternehmens an einen strategischen Investor, beispielsweise an ein Unternehmen oder sogar einen Wettbewerber aus der Industrie mit Zugang zu anderen Märkten. Vorteile sind die Schnelligkeit, Vertraulichkeit und der volle Erlös zum Zeitpunkt der Transaktion. Die Kontrolle über das Unternehmen und die unternehmerische Freiheit gehen in der Regel verloren. Mit dem Erlös kann man das nächste Geschäft anstoßen. Zu erwartende Veränderungen auf Unternehmensseite sind neue Managementstrukturen und Unternehmenskulturen.

2. Weitere Finanzierungsrunde mit einer Private-Equity-(PE-) oder Venture-Capital-(VC-)Gesellschaft als kurzfristige Lösung, da auch diese ein Ausstiegsszenario schon beim Investment mit einplanen. Ab einer gewissen Unternehmenswertgröße sinkt jedoch die Anzahl derer, die infrage kommen.

3. Beteiligung eines Familienunternehmens oder Family Office mit einer längerfristigen Perspektive und Kontinuität in der Entscheidungsfindung von Eigentümer zu Eigentümer.

4. Der Gang an die Börse.

So wählten zum Zeitpunkt der Exitreife 67% der Unicorns den Weg über die Kapitalmärkte. Davon entschieden sich wiederum 80% für einen klassischen Börsengang, 18% wählten die Hintertür über die Fusion mit einer SPAC und 2% entschieden sich für ein Direct Listing. Im Durchschnitt dauerte es zehn Jahre von der Gründung bis zum Börsengang und demzufolge drei Jahre Vorbereitungszeit ab Erreichen des Status als Unicorn. Im Vergleich zu den anderen drei Optionen waren die Transaktionsvolumen im Kapitalmarkt regelmäßig deutlich höher.

Abb. 1: Strategieoptionen und Exitwege von Unicorns. Quelle: EY Research

Evaluierung der Strategieoptionen und Erreichen der Transaktionsoptionalität

Ein Börsengang ist nicht für jedes schnell wachsende Unternehmen das Richtige. Deshalb ist es entscheidend, frühzeitig eine strategische Bewertung vorzunehmen und die Fitness für den präferierten Weg herzustellen. Dabei orientieren sich viele Unicorns an den höchsten Anforderungen, nämlich an denen des Kapitalmarkts. So erreicht man die notwendige Optionalität und Exitfähigkeit, wenn sich geeignete Transaktions- oder IPO-Fenster eröffnen, was in der Regel zwei bis drei Jahre Vorbereitung in Anspruch nimmt.

Gründer stellen sich häufig die folgenden Fragen:

  • Was sind meine persönlichen Ziele als Firmengründer – möchte ich bleiben oder möchte ich etwas anderes tun?
  • Möchte ich langfristig zum Erfolg des Unternehmens beitragen?
  • Was möchte ich für alle Stakeholder, einschließlich Investoren, Mitarbeiter, Kunden und andere Partner?
  • Wann ist der beste Zeitpunkt, um mit dem Evaluierungs- und Vorbereitungsprozess zu beginnen? Ist mein Unternehmen schon attraktiv genug? Befinden wir uns im richtigen Zyklus für den Exit?
  • Habe ich einen vertrauenswürdigen unabhängigen Berater, der bei der Bewältigung der Komplexität, die diese Art von Entscheidung mit sich bringt, helfen kann?

Rechtzeitige Vorbereitung das A und O

Letztendlich ist ein Börsengang ein Schritt auf dem Wachstumspfad eines Unicorns. Ob es der richtige Schritt zum Erreichen des nächsten Levels ist, hängt von vielen Faktoren ab, einschließlich der Ziele als Gründer und der Fähigkeit des Unternehmens, die Herausforderungen eines börsennotierten Unternehmens anzunehmen und zu meistern. Aber ein Börsengang ist keine Entscheidung, die leichtfertig getroffen werden sollte – sie erfordert eine frühzeitige und sorgfältige Planung, ganzheitliche Vorbereitung und Umsetzung der Transformation hin zu einem Unternehmen an der Börse im öffentlichen Scheinwerferlicht. Das betrifft häufig einen weiteren Wandel auf vielen Ebenen: Governance, Infrastruktur, Systeme, Prozesse, Berichtswesen, Rollenverteilung und Informationskultur.

Fazit und Ausblick

Viele Unternehmen strukturieren diesen Prozess in drei Phasen. Häufig startet man zwei bis drei Jahre vor dem geplanten Exit mit der Evaluierung der Strategieoptionen und einer ganzheitlichen Bestandsaufnahme. Dabei orientiert man sich an den hohen Anforderungen und Best Practices des Kapitalmarkts. Die Ergebnisse des sogenannten IPO Readiness Assessments münden in der zweiten Vorbereitungsphase, nachdem die Grundsatzentscheidung der Gründer getroffen wurde, in einen Maßnahmenplan mit Projektmanagement zum Erreichen der Börsenfitness. Wenn sich dann ein attraktives Exitfenster öffnet und in der dritten Transaktionsphase die Umsetzung erfolgt, kann man mit guter Vorbereitung und unternehmerischer Flexibilität besser die Chancen, auch der Strategieoption Kapitalmarkt, nutzen.

Autor/Autorin

Dr. Martin Steinbach
Partner, Head of IPO and Listing Services in Deutschland at Ernst & Young (EY) | Website

Dr. Martin Steinbach ist Partner und IPO-Leader bei EY. Er verantwortet seit April 2011 den Bereich IPO und Listing Services in Deutschland, Österreich und der Schweiz.