Die gute Stimmung an den Aktienmärkten in den vergangenen Monaten hinterlässt ihre Spuren unter anderem bei der Investitionsfreudigkeit unter den deutschen Privatanlegern. Fast euphorisch klang die Pressemitteilung des Deutschen Aktieninstituts im Februar dieses Jahres, wonach im vergangenen Jahr die Anzahl der Privatanleger auf ein Zehnjahreshoch gestiegen ist. Von Prof. Dr. Wolfgang Blättchen
Im Jahresdurchschnitt erhöhte sie sich gegenüber dem Vorjahr um fast 1,1 Mio. und erreichte mit rund 10 Mio. Anlegern wieder das Niveau vor Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2007. Die Spitze lag bei rund 13 Mio. Anlegern im Jahr 2001 – das Jahr, in dem die Techblase platzte. Der jüngste Trend und der Stimmungsumschwung sind erfreulich, und wir können nur hoffen, dass sie auch von Dauer sind.
Die gestiegene Aktienaffinität unter Privatanlegern scheint auch den jüngsten Börseneinführungskandidaten (u.a. Siemens Healthineers) nicht entgangen zu sein, da diese Investorengruppe aktiv bei ihrer Aktienplatzierung eingebunden wurde. So war es für deutsche Verhältnisse schon sensationell, dass beim Börsengang von Siemens Healthineers Privatanleger bei etwa 10% zugeteilt wurden. Damit bewegte diese oft von Emissionsbanken unterschätzte Anlegergruppe ein Platzierungsvolumen von beachtlichen 400 Mio. EUR. In letzter Zeit war es bei größeren Emissionen leider üblich, Privatanleger mit homöopathischen Zuteiligungsquoten zu beglücken, die selten die 1%-Schwelle überschritt. Die bisherige Kursentwicklung von Siemens Healthineers gibt den Erstzeichnern mit einem Kursgewinn von über 18% recht. Auch der Emittent kann sich sicher sein, bei späteren Kapitalmaßnahmen auf eine zufriedene Investorenbasis zurückgreifen zu können, die nicht nur den üblichen Kreis der institutionellen Investoren umfasst. Auf diese positive Erfahrung schien auch das Emissionskonsortium des Börsengangs von Springer Nature zu setzten, der letztlich abgesagt wurde.
Die Konsortialführer, Morgan Stanley und J.P. Morgan, griffen bei der Aktienplatzierung auf das von der Deutschen Börse angebotene Privatanlegerzeichnungsportal „DirectPlace“ zurück. Dieses Zeichnungsportal ermöglicht es Anlegern, unabhängig von der Zugehörigkeit der depotführenden Bank im Emissionskonsortium, direkt Aktien in einem eigenständigen Orderbuch zu zeichnen. Obwohl Morgan Stanley wie auch J.P. Morgan eigentlich dafür bekannt sind, Privatanlegern bei heimischen Börseneinführungen eher wenig Beachtung zu schenken, scheinen sie dieses Mal ein Herz für diese Investorengruppe entdeckt zu haben. Vermutlich liegt es aber eher daran, dass der Aufwand für die Einbindung von Privatanlegern mittels heutiger Technologie (z.B. Online- Zeichnungsportale wie „DirectPlace“ oder die „icubic subscription solution“) kaum noch ins Gewicht fällt. Es wundert daher schon, dass ein Technologieunternehmen wie NFON bei ihrem Börsengang auf diesen vor allem für Small-Cap-Emittenten wichtigen Vertriebskanal verzichtet hat.
Die direkte Einbindung von Privatanlegern bei Neuemissionen ist eine Philosophie, die unser Haus seit Jahren unterstützt. Was spricht grundsätzlich dagegen, eine „Retailtranche“ in der Größenordnung von ca. 10% bei Neuemissionen zu reservieren? Dieses gesonderte Angebot, das parallel zur oder kurz nach der institutionellen Platzierung stattfinden kann, ist bei französischen IPOs häufig zu beobachten. Der anschließende Sekundärmarkt lebt schließlich vom Handel mit kleineren Stücken, die in der Regel von Privatanlegern bereitgestellt werden. So trägt diese Anlegergruppe zu einer stabilen Kursentwicklung bei.
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