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LG München I, Urteil vom 28.12.2021 – 5 HK O 19057/18 – Syntellix AG

Streitigkeiten zwischen Aktionären oder Aktionärsgruppen werden häufig mit besonderer Härte geführt. Die Aktionen richten sich dabei meist nicht gegen den eigentlichen Gegner, sondern gegen die Gesellschaft und deren Organmitglieder. Letzteres wird vor allem dann relevant, wenn diese dem Lager des Gegners zugerechnet werden.

Auseinandersetzungen der beschriebenen Art werden freilich nicht allein mit den bekannten gesellschaftsrechtlichen Mitteln wie der Geltendmachung von Auskunftsrechten, verbalen Angriffen in der Hauptversammlung, Klagen gegen Beschlüsse der Hauptversammlung oder Sonderprüfungsanträgen geführt. Haben die Beteiligten eine gewisse öffentliche Bekanntheit, so spielen Maßnahmen der Öffentlichkeitsarbeit und Äußerungen gegenüber der Presse eine mindestens gleichwertige Rolle. Selbst vor Strafanzeigen schrecken viele Streitgegner nicht zurück.

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Es stellt sich bei solchen Streitigkeiten fast durchgehend die Frage, wie weit ein Aktionär bei der Durchsetzung seiner Interessen gehen darf, welche Unterstützung ihm vonseiten interessierter oder wohlgesonnener Organmitglieder oder Aktionäre zuteil werden darf und ob sich in der Auseinandersetzung nicht besondere Grenzen aus der Tatsache ergeben, dass der Aktionär zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Gesellschaft verpflichtet ist, an der er beteiligt ist.

Klassische Abwehrstrategien des Emittenten

Aus Sicht des Emittenten lautet das klassische Abwehrargument, das Verhalten des Aktionärs sei missbräuchlich. Der Aktionär verhalte sich treuwidrig und sei nicht nur zur Unterlassung seiner Maßnahmen, sondern der Gesellschaft zudem zum Schadensersatz verpflichtet.

Es liegt auf der Hand, dass dieser Missbrauchseinwand nicht per se bei jeder Maßnahme greifen darf, die der Verwaltung oder dem Mehrheitsaktionär unpassend erscheint. Wo allerdings die Grenze zwischen berechtigter Wahrnehmung von Aktionärsrechten und Aktionärsinteressen einerseits und missbräuchlichem, eine Schadenersatzpflicht nach sich ziehendem Verhalten andererseits verläuft, ist häufig nur schwer zu bestimmen.

Das Landgericht München I hat sich in dem hier zu besprechenden Urteil mit dieser Grenzziehung befasst und dabei wichtige Eckpunkte herausgearbeitet, die eine Orientierung geben können.

Entscheidung des LG München I

Dem Landgericht München I lag eine Schadensersatzklage vor, mit der die Gesellschaft geltend machte, die Klagegegner hätten als Aktionäre und teilweise als ehemalige Organmitglieder eine „Marodierungs-Kampagne“ gegen die Gesellschaft betrieben und dieser hierdurch die Kapitalaufnahme erschwert.

Das Gericht wies die Klage ab, setzte sich dabei aber intensiv mit einer Vielzahl von Verhaltensweisen der Beklagten auseinander, die nach Auffassung der klagenden Gesellschaft pflichtwidrig waren. Der Urteilsbegründung lassen sich folgende Kernaussagen entnehmen:

Ausübung von Aktionärsrechten

Die Ausübung von Aktionärsrechten ist grundsätzlich immer legitim. Die Anforderungen an ein missbräuchliches Verhalten sind hoch anzusetzen. Anderenfalls würden Aktionärsrechte ausgehöhlt.

Auskunftsverlangen außerhalb der Hauptversammlung

Ein Auskunftsverlangen außerhalb der Hauptversammlung ist nicht per se pflichtwidrig und grundsätzlich auch kein Indiz für pflichtwidriges Verhalten des Aktionärs. Immerhin darf die Gesellschaft solche Anfragen beantworten und muss lediglich darauf achten, dass anderen Aktionären die Auskunft in der nachfolgenden Hauptversammlung nicht verweigert wird (§ 131 Abs. 4 AktG).

Verbale Attacken gegen die Gesellschaft und ihre Organmitglieder

Für die verbale Auseinandersetzung gelten die allgemeinen Regeln, d.h., es ist zwischen Tatsachenbehauptung und Werturteil zu differenzieren. Tatsachenbehauptungen dürfen nicht falsch sein. Werturteile sind weitestgehend unangreifbar, solange sie nicht die Grenze zur Formalbeleidigung oder Schmähkritik überschreiten.

Bemerkenswert ist, dass das Landgericht München I nicht danach unterschieden hat, ob die beanstandeten Äußerungen innerhalb oder außerhalb der Hauptversammlung getätigt wurden. Es ist dem Urteil auch nicht zu entnehmen, dass dem Aktionär in der öffentlichen Auseinandersetzung engere Schranken gesetzt wären als einer Partei, die mit ihrem Gegner nicht in einer gesellschaftsrechtlichen Verbindung steht.

Strafanzeigen

Das Konzept des Abstellens auf allgemeine Rechtsgrundsätze verfolgte das Landgericht München I auch in Bezug auf Strafanzeigen. Solange solche Anzeigen keinen wissentlichen falschen Tatsachenvortrag beinhalteten, sei die Anzeigenerstattung kein Anlass für eine Schadensersatzpflicht.

Geheimnisschutz und Unterstützungshandlungen durch andere Aktionäre

Lediglich anreißen musste das Gericht die Frage, ob und in welchem Maße Organmitgliedern die Kommunikation mit Aktionären gestattet ist, ohne dass das Organmitglied seine Geheimhaltungspflichten verletzt. Die im konkreten Fall von Organmitgliedern übermittelten Informationen stufte das Gericht als bereits bekannt und damit nicht (mehr) dem Geheimnisschutz unterliegend ein.

Fazit

Das Landgericht München I hat die Grenzen für Maßnahmen in streitigen Auseinandersetzungen tendenziell weit gesteckt. Dennoch muss jeder Aktionär bei all seinen Maßnahmen bedenken, dass die Grenze zur Treuwidrigkeit seines Verhaltens auch schnell einmal überschritten und die Schadensersatzforderung der Gesellschaft berechtigt sein kann. Das Urteil des Landgerichts München I ist kein Freibrief für unmäßiges Verhalten.

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Autor/Autorin

Dr. Thomas Zwissler

Dr. Thomas Zwissler ist Rechtsanwalt und Partner bei der ZIRNGIBL Rechts­anwälte Part­nerschaft mbB. Er berät bei gesellschafts-, bank- und kapitalmarktrecht­lichen Fragen sowie in allen Fragen der Unterneh­mens­finan­zie­rung.