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Der Artikel ist die Titelstory in der neuen Ausgabe des HV Magazins.
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Ungeachtet der Corona-Unwägbarkeiten haben im vergangenen Jahr 25 deutsche Unternehmen den Gang an die Börse gewagt. Für sie steht 2022 die erste Publikums-Hauptversammlung an. Es ist ein Termin mit Fragezeichen, denn noch stehen die Aktionärstreffen unter dem Einfluss der Pandemie und unterliegen besonderen Bedingungen. Doch diese werden sich ändern – wohin, ist angesichts eines mittlerweile vorliegenden Referentenentwurfs zwar absehbar, aber derzeit noch nicht final in einen Gesetzestext gegossen. Experten raten den Börsenneulingen daher, an ihre erste Hauptversammlung mit Bedacht heranzugehen und sich ein Beispiel an erfahrenen Unternehmen zu nehmen. Inhaltlich sollten sie ihren ersten großen Auftritt nutzen, um ihr Geschäftsmodell ausführlich darzustellen.

Daimler Truck hat es getan, ebenso Bike 24, Apontis Pharma und auch der Augsburger Bildungsanbieter ISA. Sie alle zählen zu den insgesamt 25 Unternehmen, die sich im vergangenen Jahr trotz des Damoklesschwerts Corona und aller damit verbundenen Unwägbarkeiten entschlossen haben, in Deutschland an die Börse zu gehen.

Nachdem diese Börsennovizen nun die ersten Monate in ihrem neuen Dasein erlebt haben, steht 2022 für sie ein weiterer Meilenstein an: Sie werden ihre erste öffentliche Hauptversammlung vorbereiten und über die Bühne bringen. Der Zeitpunkt für diese Premierenveranstaltung vor den eigenen Aktionären ist anspruchsvoll, denn noch bis zum 31. August 2022 gilt das COVID-19-Notfallgesetz, welches den Gesellschaften die Möglichkeit einräumt, in eigenem Ermessen auch in diesem Jahr eine virtuelle HV anstelle einer Präsenzveranstaltung durchzuführen. Zudem kann die Ausübung der Aktionärsrechte weiter eingeschränkt werden.

Wie die Hauptversammlungswelt nach Ablauf des COVID-19-Gesetzes aussieht, ist aktuell noch nicht völlig klar. Allerdings liegt seit Kurzem ein Gesetzentwurf der Bundesregierung vor, der das Aktienrecht nach der HV-Saison 2022 gestalten wird. Demnach will Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) im Aktiengesetz neben der Präsenzveranstaltung die dauerhafte Möglichkeit einer virtuellen HV unter Einhaltung bestimmter Bedingungen festschreiben. Hybride Aktionärstreffen sind laut dem Entwurf nicht vorgesehen.

Für die Börsenneulinge bedeutet dies: Die Anforderungen an ihre erste HV im Jahr 2022 werden sich möglicherweise unterscheiden von jenen, die sie zukünftig durchführen. Dabei stellt sich die Frage: Wie planen? Unter den Möglichkeiten beziehungsweise Bedingungen des COVID-19- Gesetzes? Oder bereits heute auf die Zeit danach vorbereiten und entsprechend üben?

HV-Termin nicht zu früh setzen

Hauptversammlungsexperten raten, das erste Mal mit Bedacht anzugehen. „Der erste Rat für die erste HV nach IPO (oder Listing) ist immer, sich Zeit zu nehmen für die Vorbereitung. Gerade nach dem IPO müssen die internen Abläufe bei der Erstellung und Veröffentlichung des Jahresabschlusses erst etabliert werden“, empfiehlt Bernhard Orlik, Geschäftsführer von Link Market Services. Der erste HV-Termin sollte zudem nicht zu früh gesetzt werden, um sich nicht unter Stress zu setzen. Außerdem empfiehlt er einen halbtägigen Kick-off-Workshop „Erste HV nach IPO“, um wichtige und grundsätzliche Fragen zu klären.

Mit Blick auf den derzeitigen rechtlichen Übergangszustand rät Torsten Fues, Vorstand des HV- und IR-Spezialisten Better Orange, die erste HV nach dem IPO „im noch weitgehend anfechtungsreduzierten Rahmen zum Üben zu nutzen und möglichst viele Aktionärsrechte freiwillig einzuräumen“. Dazu gehörten beispielsweise Videostellungnahmen und Nachfragen in die HV hinein. Technisch sei dies unproblematisch, so Fues und erläutert die Vorteile dieses Vorgehens: „Dann fällt es viel leichter, im nächsten Jahr die dann wahrscheinlich neugeregelte Online-HV zu stemmen“ und zielt damit auf die Koalitionsvereinbarung der neuen Bundesregierung, dass künftig dauerhaft Online-Hauptversammlungen möglich sein sollen, ohne dass dabei die Aktionärsrechte beispielsweise beim Fragerecht eingeschränkt werden.

Christian Jeschke, Mitglied der Geschäftsleitung bei Computershare Deutschland, wiederum empfiehlt den Gesellschaften, sich bei ihrem ersten Auftritt vor den Aktionären an Best Practices zu orientieren, also wie vergleichbare Unternehmen beziehungsweise solche in der Vergleichsgruppe ihre Hauptversammlung durchzuführen. Jeschke: „Es gibt viele gute Beispiele, wie eine erste Hauptversammlung, sei sie virtuell oder physisch, vorbereitet und umgesetzt werden kann. Im Übrigen empfehlen wir, in der Regel zuerst die regulatorischen und gesetzlichen Mindestanforderungen zu erfüllen.“

Mehr als das Pflichtprogramm

Es gibt allerdings auch gute Gründe, bereits bei der ersten HV über das Mindestanforderungen hinauszublicken und zu prüfen, welche zusätzlichen Features über das rechtliche Pflichtprogramm bei einer rein virtuellen Hauptversammlung angeboten werden sollten, so Klaus Schmidt, Geschäftsführer der zur Allianz-Gruppe gehörenden ADEUS Aktienregister-Service-GmbH. Dieser Punkt sei insofern bedeutsam, da einerseits Aktionäre immer wieder die eingeschränkten Möglichkeiten bei ihrer Rechteausübung kritisierten und andererseits viele Unternehmen auch längerfristig die Vorteile einer virtuellen Hauptversammlung nutzen wollten. Daher mache es Sinn, bei diesem Punkt frühzeitig auf die Kritik von Investoren zu reagieren.

Für möglichst umfangreiche Mitsprachemöglichkeiten setzt sich im Übrigen auch die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) ein. Deren Vorstandsvorsitzender, Daniel Bauer, wendet sich „strikt gegen die im Rahmen der Corona-Pandemie eingeführte Beschränkung der Aktionärsrechte im Rahmen einer virtuellen Hauptversammlung“. Hier müssten die Unternehmen Farbe bekennen, wie man sich die Zukunft der eigenen HV vorstelle.

Grundsatzfrage: Präsenz, virtuell oder hybrid?

Bevor es in die Details geht, müssen die Börsenneulinge allerdings eine grundsätzliche Entscheidung treffen: Präsenz, virtuell oder hybrid – die Frage also, in welcher Form ihre Hauptversammlung unter dem noch anhaltenden Diktat der Coronapandemie stattfinden soll. Wobei, die Antwort ist in den meisten Chefetagen angesichts der bis weit in das Jahr 2022 hineinreichenden Beschränkungen schnell gefunden: Nach einer Umfrage des HV Magazins unter den betreffenden Unternehmen wird virtuell auch in diesem Jahr bis auf Ausnahmen das Gebot der Stunde sein, zumindest bei jenen Firmen, die ihren HV-Termin auf die erste Jahreshälfte gelegt haben. „Stand heute stellen wir uns auf eine HV-Saison mit virtuellen HVs ein, abgesehen von wenigen Ausnahmen“, ist denn auch das Fazit von ADEUS-Geschäftsführer Schmidt.

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Dennoch stellt die COVID-Situation alle Emittenten bei der Planung der Hauptversammlung vor eine große Herausforderung. Sofern Unternehmen, die während der pandemischen Zeit an die Börse gegangen sind, sich mit dem Gedanken tragen, eine Präsenzveranstaltung durchzuführen, ist es für sie schwierig abzuwägen, ob sie dies überhaupt könnten. So weist Computershare-Experte Jeschke darauf hin, dass keine Erfahrungen vorliegen, wie viele Aktionäre überhaupt derzeit eine solche Präsenzveranstaltung besuchen würden.

Sollte eine Präsenzveranstaltung ernsthaft in Betracht gezogen werden, empfiehlt Link Market-Geschäftsführer Orlik, die Zahl der Depots, in welchen die entsprechende Aktien liegen, zu schätzen, um eine mögliche Bestimmung der Teilnehmerzahl vornehmen zu können. Ungeachtet dessen rät er, „einen eher größeren Raum“ zu buchen und dann über die Bestuhlung an die Zahl der tatsächlichen Anmeldungen flexibel anzupassen. Diese Daten lägen in der Regel sieben Tage vor der Hauptversammlung vor

Online-Services als zentrales Element

Eine weitere Frage gilt der Technik, die unter dem Einfluss der COVID-Beschränkungen auf den HVs zum Einsatz kommt. Sollen bei einer virtuellen HV Rückfragen der Aktionäre möglich sein, muss dies technisch berücksichtigt werden. Auch Stellungnahmen in Form von Text- oder Videobeiträgen, die vorab eingereicht werden und ggf. in der HV eingespielt werden, liegen laut Schmidt im Trend. Live-Redebeiträge nach dem Beispiel der Deutschen Bank seien hingegen „eine aufwendigere Disziplin“ und werden daher nach seiner Einschätzung „nur von wenigen Häusern angeboten werden“.

Grundsätzlich wird auch 2022 der Online-Service für Aktionäre das zentrale Element bei der HV-Durchführung sein. Dabei hält Schmidt insbesondere die leicht verständliche Aufbereitung und Nutzbarkeit von Online-Services insbesondere für mobile Endgeräte wie Smartphones und Tablets als wichtig. Die Umsetzung sollte dem aktuellen Stand der Technik und der Informationssicherheit entsprechen. Von Bedeutung sei außerdem ein modernes und effizientes Management der Fragen und Antworten.

Neuemittenten suchen den Kontakt

Und wie sehen die Börsenneulinge selbst ihrem ersten Mal entgegen? Sämtliche vom HV Magazin befragten Neuemittenten messen ihrer Hauptversammlung eine große Bedeutung zu, ist es doch meist die erste Gelegenheit, in mehr oder weniger direkten Kontakt zu den eigenen Aktionären zu treten. Viele wollen die Gelegenheit daher nutzen, ausführlich ihre Aktivitäten zu erläutern sowie auf die Chancen und Herausforderungen ihres Geschäftsmodells einzugehen. Tim Hameister, Chief Financial Officer des Pipeline- und Anlagenbauers Friedrich Vorwerk Group aus dem niedersächsischen Tostedt (Marktkapitalisierung: ca. 518 Mio. EUR, in Folge „MCap“, zum 15.2.2022), will angesichts der Dynamik auf dem Markt für saubere Energieinfrastruktur erläutern, wie sich die energiepolitischen Rahmenbedingungen geändert haben, welche Infrastrukturmaßnahmen für eine erfolgreiche Energiewende notwendig sind und was dies für Friedrich Vorwerk bedeutet.

Bei der Frage, in welcher Form die Unternehmen ihre Hauptversammlungen abhalten werden, schlägt auch in der befragten Gruppe das Pendel klar in Richtung digital, da die mit der Coronapandemie unverändert einhergehenden Einschränkungen und Auflagen vergleichsweise hohe Hürden an eine Präsenzveranstaltung stellen. „Natürlich hätten wir unsere Aktionäre am liebsten in Präsenz begrüßt“, sagt Marcus Wagner, Director Business & Finance beim Augsburger Bildungsanbieter und Micro Cap International School Augsburg, kurz ISA (MCap: 4,4 Mio. EUR). Allerdings habe die Entscheidung für die virtuelle Variante auch Vorteile. Dadurch könnten „auch unsere neuen Bildungsaktionäre, die aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz zum ersten Mal persönlich an einer Börse in Bildung investieren, leichter an der Hauptversammlung teilnehmen“, so Wagner weiter.

Hybrid kommt kaum in Frage

Die hybride Variante kommt für die meisten Börsenneulinge aufgrund ihrer technischen und organisatorischen Komplexität sowie höherer Kosten nicht in Frage. „Im Interesse unserer AktionärInnen wollen wir Zusatzkosten vermeiden. Wir gehen daher im Moment nicht von einem hybriden Format aus“, teilt beispielsweise Sebastian Dehnen, Chief Financial Officer des Berliner Brillenunternehmens Mister Spex (MCap: 344 Mio. EUR) mit. Ähnlich argumentiert der Vorstand des Münchner Sicherheits- und Personaldienstleisters SDM (MCap: 11,6 Mio. EUR), Oliver Reisinger: „Aufgrund der praktisch doppelten Kosten ist hybrid für uns als Small Cap noch keine Option.“

Der Einsatz digitaler Technologien ist Standard, ebenso die Beauftragung von HV-Dienstleistern bei der Organisation und Umsetzung der Veranstaltung. Unterschiedlich gehen die Unternehmen hingegen bei der Beteiligung der Aktionäre vor. Während der Münchner Hersteller von Computer-Peripheriegeräten Cherry (MCap: 484 Mio. EUR) nach den Worten von Finanzchef Bernd Wagner „die im Vorfeld eingereichten Fragen“ ausführlich beantworten möchte (siehe auch Interview auf Seite 12), „um dem Auskunftsrecht der Aktionäre bestmöglich zu entsprechen“, prüft IR-Manager Moritz Verleger bei der Radsport-E-Commerce-Plattform Bike24 (MCap: 518 Mio. EUR) „verschiedene Optionen, um eine angemessene Interaktion auch beim digitalen Format zu ermöglichen“. Zudem denkt das Unternehmen laut Verleger darüber nach, verfahrensbedingte Pausen mit „interessanten Kreativinhalten“ für die Aktionäre zu füllen. Nicht zuletzt will das Unternehmen für den Registrierungsprozess, die Ausübung des Stimmrechts, die Erteilung von Weisungen, die Einreichung von Fragen oder die Einsicht in das Teilnehmerverzeichnis für die Anteilseigner „einfache und transparente digitale Lösungen“ anbieten.

Keine Reue nach dem IPO

Den Gang an die Börse bereut übrigens keiner der Neuankömmlinge. So sagt Christian Weiz, Head of Investor Relations bei dem Baden-Württembergischen Getriebeteilehersteller hGears (MCap: 220 Mio. EUR): „Unsere Erfahrungen mit dem Aktienmarkt sind bisher gut, auch wenn der Aktienkurs unsere positive Entwicklung noch nicht widerspiegelt.“ Mister-Spex-Finanzchef Dehnen will den Bruttoerlös in Höhe von 245 Mio. EUR dazu nutzen, die Wachstumsstrategie weiter fortzusetzen. Karlheinz Gast, Vorstandsvorsitzender und CEO der Apontis Pharma AG (MCap: 144 Mio. EUR), sieht in der durch den Börsengang bedingten „sehr guten Kapitalausstattung“ nun die Möglichkeit, weiteres Wachstum „auch über wertsteigernde Zukäufe“ realisieren zu können. Zudem verhelfe die Börsennotiz zu höherer Bekanntheit und ermögliche, neue Partnerschaften zum Ausbau der Pipeline zu erschließen. Auch Christopher Zurheiden, Pressesprecher der Luxemburger Tonies SE (MCap: 278 Mio. EUR), zeigt sich „sehr zufrieden mit dem Börsengang und dem anschließenden Zusammenschluss (Business Combination) und der damit verbundenen Kapitalerhöhung“. Das Unternehmen war 2021 aus der Fusion der 468 SPAC I SE mit Boxine, einem Anbieter für digitale Kinderunterhaltung, und anschließender Umfirmierung zur Tonies SE hervorgegangen.

Den umgekehrten Weg, nämlich einer Abspaltung bzw. eines Spin-offs, war der Autokonzern Daimler, der seit 1. Februar als Mercedes-Benz Group AG firmiert, mit seinem Lkw-Geschäft gegangen. Mit dem Börsengang der Daimler Truck Holding AG am 10. Dezember 2021 und der bisherigen Entwicklung eines der neuen Schwergewichte am Kapitalmarkt (MCap: 26,1 Mrd. EUR) ist Uta Leitner, Head of Global Communications, „sehr zufrieden“.

Fazit

Die HV-Saison 2022 wird für Börsenneulinge angesichts der rechtlichen Neuordnung für die Zeit nach Auslaufen des COVID-19-Gesetzes eine Herausforderung. Wenngleich die Details und Rahmenbedingungen künftiger HVs noch nicht finalisiert sind, müssen sich die Unternehmen schon heute überlegen, wie sie ihre Aktionärsversammlungen durchführen möchten. Dabei sollte es sich lohnen, die durch den „Referentenentwurf“ in der HV-Community entfachte Diskussion aufmerksam zu verfolgen. Die aktuelle Phase bietet einerseits Gelegenheit zum „Üben“, andererseits sollten die Mitspracherechte der Investoren bereits jetzt möglichst umfassend berücksichtigt werden, um weiteren Unmut zu vermeiden und sowohl organisatorisch wie inhaltlich für die Zukunft gerüstet zu sein.

Autor: Thorsten Schüller

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Herr Thorsten Schüller
Thorsten Schüller
Freier Wirtschafts- und Finanzjournalist

Freier Wirtschafts- und Finanzjournalist. Für GoingPublic Media betreut er das viermal jährlich erscheinende HV Magazin.