Wer unmittelbar oder mittelbar die Kontrolle (definiert als das Halten von mindestens 30% der Stimmrechte) über eine Aktiengesellschaft erlangt, deren Aktien zum Handel an einem organisierten Markt zugelassen sind, ist gemäß § 35 Abs. 2 WpÜG verpflichtet, allen anderen Aktionären den Erwerb ihrer Aktien anzubieten. Für dieses nach den Regeln des WpÜG abzugebende Pflichtangebot ist eine Angebotsunterlage zu erstellen (§ 11 WpÜG), ein Mindestpreis ist durch § 31 WpÜG in Verbindung mit der WpÜG-AngVO vorgegeben. Wer entgegen dieser Verpflichtung kein Angebot abgibt, handelt ordnungswidrig (§ 60 Abs. 1 und Abs. 3 WpÜG); für die Zeit des Pflichtverstoßes ordnet § 59 WpÜG zudem den Verlust der Rechte aus den dem Bieter gehörenden oder ihm zuzurechnenden Aktien an. Schließlich sieht § 38 WpÜG vor, dass der Kontrollerwerber für die Dauer des Verstoßes gegen die Pflicht zur Abgabe eines Angebots zur Zahlung von Zinsen auf die Gegenleistung (in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz) verpflichtet ist. Fraglich und im hier vorzustellenden Urteil vom II. Zivilsenat zu entscheiden war allerdings, ob Aktionäre der Zielgesellschaft auf dem Zivilrechtsweg auf die Zahlung der Gegenleistung und/oder von Zinsen klagen können, wenn ein Pflichtangebot unter Verstoß gegen das Gesetz nicht abgegeben wird.
Die Entscheidung des BGH
a) Der II. Senat lehnt zunächst einen Anspruch der Aktionäre auf den Mindestpreis ab. Aus dem Wortlaut des § 35 WpÜG lasse sich ein solcher Zahlungsanspruch nicht herleiten, auch aus den Gesetzesmaterialien zum WpÜG sowie zum KapMuG 2005 ergebe sich nichts anderes. Vielmehr habe das Gesetz eine vorwiegend kapitalmarktrechtliche Ausrichtung. Es gehe nicht vornehmlich um einen konzernrechtlichen Eingangsschutz. Dass der Schutz der Aktionäre nur reflexartig sei, ergebe sich auch daraus, dass die BaFin die ihr vom WpÜG zugewiesenen Aufgaben gemäß § 4 Abs. 2 WpÜG nur im öffentlichen Interesse wahrnehme.
b) Ein Anspruch auf Zinsen gemäß § 38 WpÜG bestehe nicht. Die Zinsen seien ein akzessorischer Anspruch, der sich nur ergebe, wenn ein Angebot abgegeben werde. Dafür sprächen sowohl der Wortlaut der Norm als auch die Gesetzesmaterialien. Wenn der Kontrollerwerber, der verspätet ein Pflichtangebot veröffentliche, Zinsen zahlen müsse, während ein Kontrollerwerber, der überhaupt kein Angebot abgibt, Zinszahlungen nicht erbringen muss, sei dies kein Widerspruch. Denn das WpÜG gehe davon aus, dass der säumige Kontrollerwerber zu einer Veröffentlichung eines Angebots gezwungen werde.
c) Schließlich bestünden auch auf deliktsrechtlicher Basis keine Zahlungsansprüche. § 35 Abs. 2 WpÜG sei kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Angesichts der vorrangig kapitalmarktrechtlichen Ausrichtung der Norm und der Entscheidung des Gesetzgebers, an ihre Verletzung keine vertraglichen oder mitgliedschaftlichen Ersatzansprüche zu knüpfen, könne nicht angenommen werden, dass der Gesetzgeber den Aktionären einen deliktischen Schadensersatzanspruch geben wolle.
Konsequenzen der Entscheidung
a) Die Entscheidung des II. Senats entscheidet sämtliche, in der Literatur heftig umstrittene Fragen zulasten der (aus der Sicht des Kontrollerwerbers) außenstehenden Aktionäre. Dabei sind die Begründungen des BGH vertretbar, aber keinesfalls zwingend. In allen Fragen wäre auch die umgekehrte Entscheidung denkbar und jedenfalls hinsichtlich des Zinsanspruchs naheliegend gewesen. Auch dass der sonst im Kontext des Kapitalmarktrechts regelmäßig bemühte § 826 BGB (vorsätzlich sittenwidrige Schädigung) nicht erwähnt wird, irritiert.
b) Jedenfalls rechtspolitisch ist das Ergebnis verfehlt, der BGH wäre in der ihm auch zugewiesenen Aufgabe der Rechtsfortbildung gefordert gewesen. Entgegen der Einschätzung des BGH zeigen nämlich sowohl der vorliegende Fall als auch die sonstige Praxis, dass das Gesetz keineswegs ausreichende Druckmittel enthält, um ein die Kontrolle erwerbendes Unternehmen dazu zu bewegen, in allen Fällen die sich aus § 35 Abs. 2 WpÜG ergebende Pflicht zu erfüllen. Das Bußgeld von bis zu 1 Mio Euro ist ab einem gewissen Transaktionsvolumen verhältnismäßig niedrig. Der Rechtsverlust nach § 59 WpÜG wirkt nur solange als Sanktion, als nicht die Eigentums- und Zurechnungsverhältnisse an der Kontrollbeteiligung verändert werden; eine solche Veränderung ist aber sehr einfach herbeizuführen. Völlig unpraktikabel wäre auch die Durchsetzung des Pflichtangebots durch Anordnungen der BaFin gemäß § 4 Abs.1 WpÜG. Erschwerend kommt hinzu, dass nach der Rechtsprechung des Übernahmesenats des OLG Frankfurt Aktionäre der Zielgesellschaft keine Möglichkeit haben, das Verwaltungshandeln der BaFin gerichtlich überprüfen zu lassen oder gar deren Eingreifen zu erzwingen.
c) Mit Sinn und Zweck der Regelung ist es nur schwer vereinbar, dass das Unterlassen des Pflichtangebots somit letztlich für maximal 1 Mio Euro erkauft werden kann und dass weder die Angebots- noch die Verzinsungspflicht zumindest auch im Interesse der außenstehenden Aktionäre bestehen. Im Ergebnis wird damit beim Pflichtangebot großer Gestaltungsspielraum eröffnet, beispielsweise zur Nachsteuerung des für die Mindestpreisermittlung maßgeblichen Zeitpunkts. Eine für Raider und Investmentbanken sehr gute, für seriöse Aktionäre sehr schlechte Nachricht.