Große M&A-Transaktionen wie zuletzt die geplante Fusion des deutschen Gasekonzerns Linde AG mit dem US-Wettbewerber Praxair oder die von dem Pharma- und Chemiekonzern Bayer AG angestrebte 66 Mrd. USD schwere Übernahme des US-Saatgutkonzerns Monsanto ließen die Rolle der Hauptversammlung im Rahmen von bedeutsamen M&A-Deals wieder in den Fokus rücken. Bei beiden Transaktionen forderten einige Aktionäre die Zustimmung der Hauptversammlung zu der jeweiligen Transaktion, blieben damit jedoch erfolglos.

Von Dr. Alexander Thomas und Natalie Stark

Dr. Alexander Thomas, Pinsent Masons
Dr. Alexander Thomas, Pinsent Masons

Vorstand und Aufsichtsrat der Linde AG und der Bayer AG hatten sich in den diesjährigen Hauptversammlungen mit dem Zustimmungsbegehren einiger Aktionäre auseinanderzusetzen. Der Vorstand der Linde AG lehnte das Verlangen mit der Begründung ab, dass es gerade „üblicher und anerkannter Transaktionspraxis“ entspreche, den Abschluss einer solchen Vereinbarung nicht von einer Zustimmung der Hauptversammlung abhängig zu machen. Auch der Vorstand der Bayer AG wies das Zustimmungsbegehren zurück; ein Zustimmungsbeschluss sei von Gesetzes wegen nicht vorgesehen, mit Risiken wie Anfechtungsklagen verbunden und könne damit die Transaktion gefährden. Vor dem Hintergrund, dass mit Transaktionen in einer Größenordnung wie im Fall Linde/Praxair oder Bayer/Monsanto häufig strukturelle Eingriffe in die Organisationsstruktur oder die Vermögenssubstanz der AG verbunden sind, soll dieser Beitrag die Hauptversammlungskompetenzen im Rahmen von M&A-Deals beleuchten.

Geschriebene HV-Zuständigkeit

119 Abs. 1 AktG behandelt die Zuständigkeiten der Hauptversammlungen, die – soweit die Satzung der Hauptversammlung nicht weitere Kompetenzen zuspricht – abschließender Natur sind. Darunter fallen beispielsweise die Entlastung der Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrates, Maßnahmen der Kapitalbeschaffung und der Kapitalherabsetzung sowie Satzungsänderungen. Diese Kompetenzen kommen auch bei M&A-Deals zum Tragen, sofern etwa mit der Transaktion eine Änderung des Unternehmensgegenstandes oder eine Sachkapitalerhöhung verbunden ist, die nicht von einem bestehenden genehmigten Kapital gedeckt ist. Vorliegend kamen aber keine geschriebenen Zuständigkeiten der Hauptversammlung zur Anwendung.

Mit der Entlastung der Organmitglieder hat die Hauptversammlung bei Transaktionen, die im Fokus der Öffentlichkeit stehen, ein Mittel der Druckausübung an der Hand. Die mit einer Verweigerung der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat in der Regel verbundene negative Öffentlichkeitswirkung kann solche Transaktionen gefährden. Die Bedeutung dieses Instruments zeigten auch die Bemühungen von Linde und Bayer, die – wenngleich nicht formal erforderlichen – aber doch mit Blick auf die Entlastungsentscheidung relevanten Zustimmungen der Hauptversammlungen zu den Transaktionen zu gewinnen.

Neben vorbenannten HV-Kompetenzen sieht das Gesetz bei bestimmten Verträgen mit Gefährdungspotenzial für die AG regelmäßig ein Zustimmungserfordernis der Hauptversammlung vor (z.B. Nachgründungsverträge, Unternehmensverträge, Verschmelzungsverträge oder Veräußerung des ganzen Vermögens).

Natalie Stark, Pinsent Masons

Künftig könnte mit Blick auf die Änderung der EU-Aktionärsrechterichtlinie ein Zustimmungserfordernis der HV bei wesentlichen Verträgen der AG mit verbundenen Unternehmen oder nahestehenden Personen (Related-Party Transactions) bei Erreichen/Überschreiten einer gewissen vom nationalen Gesetzgeber anhand von Finanzkennzahlen zu definierenden Wesentlichkeitsschwelle möglich werden. Die Umsetzung der Richtlinie ist den nationalen Gesetzgebern vorbehalten. Im Kontext der deutschen Unternehmensverfassung wird sich der deutsche Gesetzgeber hier aber aller Voraussicht nach für eine Aufsichtsratszuständigkeit und damit gegen eine Zuständigkeit der Hauptversammlung entscheiden.

Eine weitere Beteiligung der Hauptversammlung bei M&A-Maßnahmen steht im Ermessen des Vorstands (§ 119 Abs. 2 AktG).

Ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeit

1982 hatte der BGH bei einem Konzernbildungssachverhalt (Holzmüller, Ausgliederung des wertvollsten Betriebsteils einer AG auf eine Tochter) eine ungeschriebene HV-Zuständigkeit mit der Begründung bejaht, dass die Maßnahme „ […] (so) tief in die Mitgliedschaftsrechte der Aktionäre und deren im Anteilseigentum verkörpertes Vermögensinteresse eingreife(n)“. Darüberhinaus sprach er den Aktionären auch ein Recht zu, „an wichtigen Grundentscheidungen in der Tochtergesellschaft, die sich auf ihre eigene Rechtsstellung nachhaltig auswirken können“, beteiligt zu werden.

In der nachfolgenden Gelatine-Entscheidung relativierte und konkretisierte der BGH 2004 seine Rechtsprechung zur ungeschriebenen HV-Zuständigkeit. Diese komme hiernach nur in Ausnahmefällen und nur für solche Maßnahmen in Betracht, die in ihrer Tragweite dem Holzmüller-Fall gleich kämen und sich in gegenständlicher Nähe zu einer Satzungsänderung befänden. Ferner müsse die Maßnahme eine Verringerung der Einflussmöglichkeiten der Aktionäre hinsichtlich des von der Maßnahme betroffenen Gesellschaftsvermögens mit sich bringen (Mediatisierung).

Gerade Letzteres hat der BGH 2006 in einem Nichtannahmebeschluss für den Fall der Veräußerung von Beteiligungen abgelehnt. In der Literatur wurden in der Folge verschiedene Maßnahmen vor dem Hintergrund einer ungeschriebenen HV-Zuständigkeit diskutiert. Bei Beteiligungserwerben wird eine ungeschriebene HV-Zuständigkeit mehrheitlich abgelehnt, da anders als bei einer Ausgliederung den Aktionären hier gerade keine bestehende unternehmerische Substanz entzogen würde.

Ungeschriebene Hauptversammlungszuständigkeiten liegen hiernach nur in besonderen Ausnahmefällen vor. Trotz der weitreichenden Bedeutung beider Transaktionen sahen weder Bayer noch Linde hinreichende Anhaltspunkte für einen solchen Ausnahmefall.

Fazit

Eine Beteiligung der HV bei jeglichen M&A-Maßnahmen ist von Gesetzes wegen nicht vorgesehen. Vor dem Hintergrund der grundsätzlich eindeutigen Kompetenzverteilung zwischen Vorstand und Hauptversammlung darf die Annahme einer ungeschriebenen HV-Kompetenz lediglich eine Ausnahme darstellen. Das von Seiten der Bayer AG angeführte Argument der Notwendigkeit von Transaktionssicherheit, die bei dem Erfordernis einer Zustimmung der Hauptversammlung gefährdet wäre, hat seine Berechtigung. Ob ein gesetzlicher Ausschluss der Anfechtbarkeit, wie es etwa bei der Billigung des Systems der Vorstandsvergütung geregelt ist, hier ein sinnvoller Kompromiss darstellen könnte, kann in Anbetracht der klaren Organisationsstruktur der AG wie auch der Schwierigkeiten, die Grenze anhand objektiver Kriterien festzulegen, bezweifelt werden.

Autor/Autorin

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