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Jedes Jahr im Spätherbst erwarten Emittenten und Investoren mit Spannung die Neuerungen zu den Abstimmungsrichtlinien der Stimmrechtsberater („Proxy Adviser“) ISS, Glass Lewis und des BVI (Deutscher Fondsverband)1, die in der kommende Hauptversammlungssaison die Benchmark für die Abstimmungsergebnisse liefern. Die wichtigsten Themen, die Emittenten 2024 im Blick haben müssen, werden hier vorgestellt.

Entstehen der Abstimmungsrichtlinien

Abstimmungsrichtlinien von Stimmrechtsberatern geben Aktionären eine Empfehlung, wie auf einer Hauptversammlung abgestimmt werden sollte. Die Abstimmungsrichtlinien entstehen bei ISS und Glass Lewis nach ausführlicher Beratung mit Kunden. Beim BVI entscheidet ein Gremium nach intensiver Beratung mit den Mitgliedern, sprich den deutschen Fondsgesellschaften, über die Leitlinien der kommenden Saison. IVOX berücksichtigt neben den „Analyse Leitlinien für Hauptversammlungen“ (ALHV)2 des BVI für seine Richtlinien zusätzlich den Deutschen Corporate Governance Kodex3. Die Zielgruppe für die Richtlinien von IVOX sind dabei fast ausschließlich deutsche Investmentmanager, von denen die meisten auch Mitglieder des BVI sind.

ISS-Updates

Die finalen Änderungen zu den Europäischen Abstimmungsrichtlinien von ISS für 2024 lagen leider bis zum Redaktionsschluss nicht vor. Sie werden im Laufe des Dezembers erwartet und ab Februar 2024 gültig sein.

Als Teil des Prozesses zur Formulierung der Abstimmungsrichtlinien für das Folgejahr führt ISS eine „globale Benchmark-Umfrage“ durch, an der sich diverse Marktteilnehmer beteiligen können. Die Umfrage war dieses Jahr von 29. August bis 21. September 2023 offen, und die Ergebnisse hierzu wurden am 31. Oktober 2023 veröffentlicht4. Es gingen 455 Antworten ein: 239 von Anlegern und mit Anlegern verbundenen Organisationen sowie 216 von Nicht-Anlegern. Von den 25 Fragen, die in der Umfrage gestellt wurden, bezogen sich neun auf Märkte außerhalb Europas, neun auf „Say on Climate“ und sieben auf andere „Environmental-&-Social“-Themen.

Glass-Lewis-Updates

Die aktualisierten Europäischen Abstimmungsrichtlinien von Glass Lewis wurden bereits im November veröffentlicht. Für Deutschland wurde zusätzlich ein spezifisches Dokument erstellt5. In letzteren sind insbesondere zwei Änderungen hervorzuheben:

1. Vergütungspolitik des Vorstands

Eine gleichzeitige Umsetzung einer neuen oder geänderten Vergütungspolitik soll in allen aktiven Verträgen von Vorstands­mitgliedern vorgenommen werden. Eine ­gestaffelte Umsetzung, wenn beispielsweise beschlossene Änderungen erst bei der ­Erneuerung eines mehrjährigen Vertrags ­eines Vorstandsmitglieds umgesetzt ­würden, könne nicht nur die Transparenz behindern, sondern auch Minderheitsaktionäre benachteiligen, die zuvor strukturelle Bedenken geäußert hatten.

2. Offenlegung der verdienten/bezahlten Vergütungen

Weitere Änderungen der Abstimmungsrichtlinien betreffen die Offenlegung der individuellen Vergütung von Vorstandsmitgliedern. So soll es zukünftig eine negative Empfehlung bei der Zustimmung zum Vergütungsbericht geben, wenn Informationen über die Zuteilung von Leistungen oder unverfall­baren Ansprüchen im Berichtsjahr ohne ­eine stützende und zwingende Begründung ausgelassen werden. Darüber hinaus sind folgende ganz Kontinentaleuropa ­betreffende Änderungen auch für Deutschland interessant:

Verantwortlichkeit des Aufsichtsrats für klimabezogene Themen und Cyberrisiken

Unternehmen, die aufgrund ihrer eigenen Geschäftstätigkeit einem wesentlichen Klimarisiko ausgesetzt sind, sollten detaillierte klimabezogene Offenlegungen im ­Einklang mit den Empfehlungen der „Task Force on Climate-related Financial Disclosures“ (TCFD) vornehmen. Die explizite und klar definierte Verantwortung hierfür muss dabei beim Vorstand dieser Unternehmen liegen, der die Aufsicht über klimabezogene Fragen hat. Sollte es diese klare Verantwortlichkeit nicht geben, behält sich Glass Lewis vor, eine Empfehlung gegen die Wiederwahl einzelner Aufsichtsratsmitglieder auszusprechen. Das Gleiche droht, wenn ein Unternehmen die Überwachung von Cyberrisiken vernachlässigt und ggf. sogar Angriffen dieser Art ausgesetzt ist.

Verflechtungen in der Geschäftsführung

Der Bericht über personelle Verflechtungen in Aufsichtsräten soll dahingehend erweitert werden, dass nunmehr neben börsennotierten auch nicht-börsennotierte Unternehmen berücksichtigt werden.

Anforderungen an den Aktienbesitz von Führungskräften

Zukünftig sollen Unternehmen für die Dauer der Amtszeit von Führungskräften Mindestanforderungen an deren Aktienbesitz festlegen. Hierbei sollen zusätzl­iche Anforderungen an den Aktienbesitz nach der Halte-Phase bzw. nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses dazu dienen, die Interessen der Führungskräfte mit denen der langfristigen Streubesitzaktionäre besser in Einklang zu bringen.

Vergütung im Vergleich zu anderen ­Unternehmen

Ab der kommenden Saison sollen Unternehmen zudem ihre für das Vergütungsbenchmarking herangezogene Vergleichsgruppe sowie die bei deren Auswahl ­verwendeten Kriterien offenlegen – insbesondere, wenn Unternehmen in den USA ansässige Vergleichsunternehmen berücksichtigen.

Kapitalermächtigungen zur Bedienung von Aktienprogrammen

Eine Klarstellung nehmen die Richtlinien bei der Kapitalermächtigung zur Bedienung ­eines Aktienprogramms vor, das sich auch auf Mitarbeiter jenseits des Vorstands ­erstreckt: Die Ermächtigung zur Ausnutzung eines Genehmigten Kapitals sollte in diesem Fall 10% des ausgegebenen Aktienkapitals nicht überschreiten. Sofern die Ermächtigung jedoch für ein Programm dient, das ausschließlich dem Vorstand zugutekommt, so dürfen 5% des ausgegebenen Aktienkapitals nicht überschritten werden.

„ISS, Glass Lewis und der BVI ­setzen wie immer die „Benchmark“

BVI-Updates

Zusammen mit den geänderten Richt­linien verfasst der BVI jährlich ein Emittentenanschreiben. In dem am 15. November 2023 veröffentlichten Schreiben6 äußert der BVI Bedenken angesichts der Tatsache, dass in der HV-Saison 2023 überwiegend rein virtuelle Hauptversammlungen abgehalten wurden. Dies schränkte aus Sicht des BVI den unmittelbaren Dialog zwischen Aktionären und den Gesellschaften ein.

Für 2024 hat der BVI bei den kritischen Faktoren zur Entlastung von Mitgliedern des Vorstands oder Aufsichtsrats die Vorgaben zur Einberufung von Hauptversammlungen mit Blick auf die Teilnahme sämtlicher Gremienmitglieder sowie die allgemeinen Transparenzanforderungen, z.B. an die Vorstände, konkretisiert.

Bei der Vorstandsvergütung wird der BVI künftig darauf achten, dass „die Leistungsparameter zur Bestimmung der variablen Vergütung nicht nachträglich verwässert oder Ermessensspielräume zur Erhöhung der festen Vergütung nicht unsachgerecht ausgeschöpft werden“.

Schließlich sieht der BVI folgende Beschränkungen des Fragerechts auf virtuellen Hauptversammlungen kritisch:

• unangemessene Beschränkung des ­Fragerechts pro Aktionär im Vorfeld,

• Festlegung einer Gesamthöchstzahl ­zulässiger Fragen von Aktionären im ­Vorfeld, oder

• Beschränkung des Frage- bzw. ­Auskunftsrechts in der Hauptversammlung auf Nachfragen (§ 131 Abs. 1d AktG) sowie bei Fragen zu neuen ­Sachverhalten (§ 131 Abs. 1e AktG)

Dies kann zu einer negativen Empfehlung bezüglich der Entlastung des Vorstands- und/oder Aufsichtsrats führen.

Fazit

Noch sind die Karten nicht ganz gemischt, aber die wesentlichen Parameter der Proxy-Adviser-Abstimmungsrichtlinien für die HV-Saison 2024 zeichnen sich ­bereits deutlich ab. ISS, Glass Lewis und der BVI setzen hier wie immer die „Benchmark“. Klimaschutz, Vorstandsvergütung in allen Ausprägungen und nicht zuletzt das Institut der Hauptversammlungsdurchführung selbst werden ganz sicher zu den Themen gehören, die mit am meisten diskutiert und an der einen oder ­anderen Stelle auch zu Beschlüssen führen werden, die nicht den „Vorschlägen der Verwaltung“ folgen.


1) www.bvi.de

Autor/Autorin

Matthias Nau

Matthias Nau ist Head of Market DACH Region bei Georgeson.