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Die meisten börsengelisteten Unternehmen sind verpflichtet, über ihre Aktivitäten in den Bereichen Umwelt, Soziales und Unternehmensführung (ESG) zu berichten. Die Reportings sind allerdings mit einem hohen Aufwand verbunden. Steht dieser in einem gesunden Verhältnis zum Nutzen und zu den Bedürfnissen der Aktionäre?
Bei jährlich rund 200 durch Better Orange organisierten HVs fällt auf, dass Aktionäre meist nur wenige Fragen zu ESG-Themen stellen. Eine schmeichelhafte Schlussfolgerung lautet: Berichten Unternehmen zu ESG, sind die Inhalte derart selbsterklärend, dass sich Nachfragen erübrigen.
Auch wenn die ESG-Berichte Telefonbuchstärke erreichen, werden Investoren erkennen, dass man mit Nachhaltigkeitsberichten kein Geld verdienen kann. Hierauf deuten auch weitere Indizien. So zeigten Gespräche mit Fondsmanagern, dass kaum ein Manager einen Blick in die ESG-Berichte wirft. Selbst Manager von ESG-Fonds lassen diese bislang weitgehend links liegen – dies gilt sogar für intrinsisch motivierte Akteure.
Wie kann das sein? Langatmige Aussagen sowie eine mangelnde Vergleichbarkeit machen die Berichte bislang oftmals irrelevant. So besteht eine Diskrepanz zwischen aufwendig erstellten nichtfinanziellen Erklärungen bzw. Nachhaltigkeitsberichten und einem eher geringen Nutzen für Investoren.
CSRD schafft Gewinner und Verlierer
Die 2023 in Kraft getretene Corporate Sustainability Reporting Directive (CSRD) ist für viele Unternehmen eine immense Herausforderung. Die CSRD fordert nicht nur die Offenlegung von Informationen: Die Geschäftsleitungen sollen den Einfluss auf Klimawandel, die abnehmende Biodiversität sowie Menschenrechte darlegen und ihre Strategien anpassen. Ziele müssen transparent gemacht und die Zielerreichung gemessen werden. Die CSRD verdreißigfacht allein in Deutschland den Kreis der berichterstattungspflichtigen Unternehmen von bisher rund 500 auf etwa 15.000. Sie bindet zudem enorme Kapazitäten und Kapital. Die Bundesregierung beziffert den jährlichen Aufwand auf 1,4 Mrd. EUR. Erfahrungsgemäß dürfte er eher höher zu veranschlagen sein. Dabei entscheidet das Ergebnis der Wesentlichkeitsanalyse maßgeblich, wie umfangreich im Rahmen der European Sustainability Reporting Standards (ESRS) berichtet werden muss. Hier können über 1.000 zu erhebende Datenpunkte zusammenkommen.
Wie verteilen sich nun die Belastungen auf die Wirtschaft?
- „Grüne“ Unternehmen: Heimvorteil nutzen
Wer Umwelttechnik herstellt, dem spielen die Berichtspflichten sogar in die Karten. Solche Unternehmen können ihr Geschäftsmodell noch ausführlicher darlegen und die Berichte kommunikativ nutzen. - Großunternehmen profitieren tendenziell
Zwar brechen angesichts der mit den Berichten verbundenen Kosten nur selten Jubelstürme aus. Aber große Unternehmen beschäftigen sich schon lange mit der verschärften Regulatorik – also auch mit der CSRD – und haben sich entsprechend aufgestellt. Mitunter sind ganze Hundertschaften hierfür abgestellt. - KMU: Guter Rat ist teuer
Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) stehen jedoch vor einer Herkulesaufgabe. Der Mittelstand, dessen Anteil an der heimischen Wirtschaft die Bedeutung der DAX-Unternehmen bei Weitem übersteigt, wird stark belastet. KMU verfügen selten über die nötige Manpower und können die Zahl der verlangten Daten und deren Detaillierungsgrad ohne externe Hilfen kaum stemmen.
Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.
Taxonomie als planwirtschaftliches Bürokratiemonster
Die EU-Kommission mit ihren über 30.000 Beschäftigten hat ein 800 Seiten starkes Bürokratiemonster erschaffen, nach der CSRD-pflichtige Unternehmen gleichfalls berichten müssen. Die Taxonomie will Investoren „an die Hand nehmen“. Anleger sollen in Projekte investieren, die der EU-Strategie für eine nachhaltige Finanzierung entsprechen. So sind Banken seit 2024 dazu verpflichtet, mit dem „Green Asset Ratio“ offenzulegen, welcher Anteil ihres Geschäfts den EU-Kriterien genügt. Sie müssen also prüfen, wo Unternehmen mit Blick auf die Nachhaltigkeit stehen, und richten Kreditvergaben und Konditionen danach aus. Die Taxonomie erinnert an die Planwirtschaften des ehemaligen Ostblocks. Wie sollen kleinere Unternehmen derart komplexen Vorgaben folgen?
Hochkonjunktur für Berater, Prüfer und Ratinggesellschaften
Die verschärfte Regulatorik öffnet eine Goldgrube für ESG-Berater, ohne deren Hilfe viele KMU kaum fristgerecht liefern können. Auch auf die Wirtschaftsprüfer kommt eine Flut zusätzlicher Pflichten zu, womit die Rechnungen für die (leid)geprüften Unternehmen weiter steigen. Und dann sprießen auch noch Ratingagenturen wie Pilze aus dem Boden. Europaweit sind rund 60 Akteure zugelassen; weltweit ist deren Zahl dreistellig. Börsennotierte Unternehmen müssen damit die Spreu vom Weizen trennen und sollten die Ratings der großen Indexanbieter – also MSCI und S&P – priorisieren.
Die Chancen von CSRD
Immerhin bringt die CSRD mehr Verbindlichkeit. Vorteilhaft ist auch die Standardisierung der ESG-Berichte, was die Vergleichbarkeit von Nachhaltigkeitsleistungen für Investoren erhöht. Die verschärfte Berichterstattung eröffnet somit auch Chancen:
- Zukunftsorientierte Geschäftsmodelle
Beträchtliches Potenzial liegt in einer nachhaltigen Ausrichtung der Geschäftsmodelle. Wer Chancen aus nachhaltigen Aktivitäten schneller identifiziert und vorausschauend innovative Lösungen entwickelt, hat im Wettbewerb die Nase vorn. - Risikominimierung
Die Offenlegung und Analyse von ESG-Themen trägt dazu bei, Geschäftsrisiken zu minimieren und Reputationsrisiken zu antizipieren. - Fundus für Antworten
Die in den ESG-Berichten enthaltenen Informationen bieten einen Fundus für die Beantwortung kritischer Fragen – sei es in den HVs oder auch zu anderen Anlässen.
ESG könnte in HVs in Brennpunkt geraten
Die standardisierte und damit vergleichbare ESG-Berichterstattung ermöglicht Aktionären, gezielter in die für Unternehmen relevanten Themen einzusteigen. Insofern könnten Nachhaltigkeitsberichte den Investoren zukünftig echten Mehrwert bieten. Damit einhergehend ist auch in HVs eine intensivere Auseinandersetzung mit ESG-Fragen zu erwarten. Das zeigt der Blick in die USA: Dort wird ESG sowohl vom extremen linken als auch vom rechten politischen Lager als Kampfbegriff verwendet. Manche „woke“ US-Anleger wollen ausschließlich in ESG-sensible Unternehmen investieren. Dagegen verbieten einige republikanisch regierte Bundesstaaten öffentlichen Pensionsfonds sogar, ESG-Kriterien bei Anlageentscheidungen zu berücksichtigen. Die Diskussion um ESG dürfte auch in Europa an Schärfe zunehmen, je mehr regulatorische Vorgaben die Wirtschaft behindern und der bürokratische Aufwand die Unternehmen belastet. Damit ist künftig in HVs von zwei Seiten ein höheres Frageaufkommen zu erwarten: von Umweltverbänden, mit der Forderung nach „noch mehr ESG“, aber auch vonseiten der Skeptiker. Bereits für die laufende HV-Saison haben viele Unternehmen umfangreichere Q&As vorbereitet als in den Vorjahren.
Wahrscheinlicher ist eine weniger vorteilhafte Interpretation: Die Berichte verfehlen den Informationsbedarf der meisten Aktionäre.
ESG bleibt ein „moving target“
Umweltschutz, die Wahrung der Menschenrechte und eine professionelle Governance sind heutzutage essenziell. Die Frage ist, auf welchen Wegen diese Ziele erreicht werden können. Die EU nimmt die Wirtschaft an die Kandare und will globale Standards setzen gemäß der Devise: „Am europäischen Wesen soll die Welt genesen.“ Vor 30 Jahren hätte eine solche Strategie größere Erfolgschancen gehabt. Angesichts des abnehmenden Gewichts des alten Kontinents sind diese heute jedoch gering. Asiaten – allen voran Chinesen – belächeln diese Strategie. Strenge ESG-Vorgaben spielen im Reich der Mitte kaum eine Rolle. Aber auch Unternehmen anderer asiatischer Staaten oder US-Wettbewerber schleppen weniger regulatorischen Ballast mit sich herum.
Fazit
Angesichts der schwindenden Wettbewerbsfähigkeit könnten auch die Berichtspflichten in Europa wieder auf den Prüfstand kommen. Einerseits werden links-grüne Akteure die Zügel weiter anziehen wollen. Andererseits könnten liberal-konservative oder populistische Kräfte das Gegenteil anstreben. Das politische Gezerre zur ESG-Regulatorik dürfte also weiter eskalieren. Unternehmen sind gut beraten, die Diskussionen rund um ESG im Auge zu behalten. Denn zum einen gilt der Spruch der Cree-Indianer: „Erst wenn der letzte Baum gerodet, der letzte Fluss vergiftet, der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr merken, dass man Geld nicht essen kann.“ Zum anderen gilt gleichfalls: „Auch wenn die ESG-Berichte Telefonbuchstärke erreichen, werden Investoren erkennen, dass man mit Nachhaltigkeitsberichten kein Geld verdienen kann.“ Kurzum: Es wird spannend.
Autor/Autorin
Rolf Drees
Rolf Drees ist Senior Consultant bei Better Orange IR & HV AG.