Deutschland ist bekannt für seine Hidden Champions – den heimlichen Gewinnern der Wirtschaft, die sich u.a. durch die Besetzung von Nischenmärkten auszeichnen. Trotz des enormen Erfolgs dieser Unternehmen herrscht bei vielen ein ambivalentes Verhältnis zum Kapitalmarkt. Prof. Hermann Simon, der den Begriff „Hidden Champions“ überhaupt erst salonfähig gemacht hat, erklärt uns im Gespräch, warum das so ist und wie dieses „Missverhältnis“ geklärt werden könnte.
GoingPublic: Herr Prof. Simon, was zeichnet sogenannte Hidden Champions aus und welche Wachstumsstrategien verfolgen diese?
Prof. Simon: Hidden Champions verfolgen sehr ambitiöse, auf Wachstum und Marktführerschaft ausgerichtete Ziele. Sie streben an, weltweit der beste Wettbewerber in ihrem Markt zu werden. Viele haben dieses Ziel bereits erreicht. Die wichtigsten Wachstumstreiber sind Innovation und Globalisierung. Hidden Champions geben, gemessen am Umsatz, doppelt so viel für Forschung und Entwicklung aus wie durchschnittliche Unternehmen. Außerdem konzentrieren sich eher auf Nischen. Das macht ihre Märkte klein. Durch Globalisierung machen sie dieser aber groß! Das tun sie mit eigenen Tochtergesellschaften, nicht über Importeure oder Händler. So erreichen sie selbst an entfernten Märkten wie China oder Indien eine hohe Kundennähe. Allerdings ist der weltweite Aufbau eigener Vertriebspräsenz zeitraubend und strapaziert auch die Finanzierungskapazitäten.
Was machen Hidden Champions anders als Großkonzerne?
Etwas flapsig geantwortet: Sie machen alles anders. Ein besonders krasser Unterschied zeigt sich in der Amtsdauer der Chefs. Diese liegt für die Hidden Champions im Durchschnitt bei 20 Jahren, bei Großunternehmen sind es nur sechs Jahre, also kaum mehr als eine typische Amtsperiode. In der Innovation sind sie auch wesentlich effizienter. Hidden Champions haben 31 Patente pro 1000 Mitarbeiter, bei den Großen sind es sechs Patente. Auch die Kundennähe weist große Unterschiede auf. 38% der Mitarbeiter bei Hidden Champions haben regelmäßigen Kundenkontakt, bei Großunternehmen sind es lediglich 8%. Große Firmen neigen zur Diversifikation, während Hidden Champions fokussiert sind. Die Auflistung derartiger Unterschiede ließe sich nahezu beliebig fortsetzen.
Warum findet man viele dieser Unternehmen nicht an der Börse?
Das hat mehrere Gründe. Viele Hidden Champions brauchen die Börse nicht, sondern verlassen sich im Wesentlichen auf Selbstfinanzierung. Das kann allerdings das Wachstum bremsen und tut es in der Tat. Wichtiger ist vielleicht noch, dass viele Hidden Champions eine Abneigung gegen jede Art von externer Kontrolle und Einflussnahme haben. Sie verstehen die Börse oft nicht und beschäftigen sich nicht mit ihr. Hier sehe ich auch ein Versagen der Börse und der Kapitalmarktspieler generell. Diese müssten viel mehr in Richtung Kommunikation und Kundennutzen tun, wie z.B. den Nutzen und den Vorteil der Börse hervorheben. Dass das alles nicht so sein muss, belege ich mit zwei Argumenten: Zum Ersten sind die Einstellungen von Unternehmern zur Börse in anderen Ländern nahezu umgekehrt zu den Einstellungen in Deutschland. Zum Zweiten findet man auch unter deutschen Hidden-Champions-Gründern Personen, die von der Börse angetan sind.
Können Sie hier Beispiele nennen?
Die Rational AG ist mit mehr als 50% Marktanteil der Weltmarktführer für professionelle Garautomaten. Siegfried Meister brachte das 1973 von ihm gegründete Unternehmen vor 17 Jahren an die Börse. Wie er mir sagte, standen für ihn dabei zwei Motive im Vordergrund. Er wollte das Unternehmen durch diesen Schritt zur „Institutionalisierung“ von seiner Person unabhängiger machen. Zudem sah er den Zwang zu einer börsengerechten Berichterstattung nicht als Nachteil, sondern als Vorteil. Für ihn sei das eine Art Disziplinierung gewesen. Interessant finde ich, dass für Meister nicht die Kapitalbeschaffung im Vordergrund stand. Im März 2017 hat Rational bei einem 2016er-Umsatz von 613 Mio. EUR eine Börsenkapitalisierung von 4,8 Mrd. EUR. Dass es solche Fälle bei deutschen Hidden Champions und nicht nur im Silicon Valley gibt, weiß allerdings hierzulande kaum jemand. Hier frage ich mich, warum die Börse solch spektakuläre Erfolge nicht stärker kommuniziert.