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Die Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK) hat ihre Abstimmungsrichtlinien mit Wirkung ab der HV-Saison 2025 in zwei Punkten geändert. Die virtuelle Hauptversammlung betrachtet die Vereinigung als reine Notfall-HV. Beschlüsse, die das nicht abbilden, werden auch künftig nicht mitgetragen. Favorisiert wird das hybride Format.
Die wichtigste Änderung betrifft die Behandlung des HV-Formats im Rahmen der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat. Hier werden wir von unserer bisher digitalen Betrachtungsweise abrücken und das HV-Format nur als eines unter vielen Kriterien für die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat einordnen. Zukünftig werden bei der Entscheidung über die Entlastung auch wieder Aspekte wie die wirtschaftliche Entwicklung der Gesellschaft, das Erreichen der kommunizierten Ziele sowie viele weitere Faktoren einfließen. Dies schließt im Einzelfall nicht aus, dass eine Entlastung auch wegen der Wahl des HV-Formats verweigert wird, aber eben nicht allein aus diesem Grund. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Nach wie vor lehnen wir die virtuelle HV als Regelformat ab und fordern den Übergang zu einem hybriden Format.
Virtuelle HV
Auf (fast) jeder Tagesordnung wird ein Beschluss zur Ermächtigung zur Durchführung virtueller Hauptversammlungen in diesem Jahr stehen, da die bestehenden Ermächtigungen aufgrund deren zweijähriger Befristung auslaufen. Frischen Wind bringt die deutlich kritischere Haltung von ISS zu diesem Beschlussgegenstand, der sich zum Gamechanger entwickeln kann. Wir begrüßen die kritische Haltung von ISS zur virtuellen HV. Die SdK wird Beschlussvorschläge zur Durchführung virtueller Hauptversammlungen ablehnen, wenn sich diese nicht auf exogene Notlagen wie Versammlungsverbote oder erhebliche Einschränkungen des Versammlungsrechts aufgrund staatlicher Anordnungen beschränken.
Ob es aufgrund besonderer Gefährdungslagen branchenspezifische Ausnahmen geben kann – Beispiel Rüstungsfirmen –, muss im Einzelfall entschieden werden. Inhaltlich erheben wir unter anderem das Postulat einer vollständigen Interaktivität während der gesamten HV, die auch eine Kommunikation der Aktionäre untereinander ermöglicht. Es ist unverständlich, warum die Gesellschaften die Attraktivität des aus ihrer Sicht zukunftsweisenden Formats nicht weiterentwickeln, wenn die Kommunikation der Aktionäre schon heute technisch möglich ist. Die Gesellschaften bieten diese Option nur nicht an. Seit dem Gesetz zur Einführung virtueller Hauptversammlung verharren die Gesellschaften in der Schockstarre des gesetzlichen Status quo, anstatt den Nachweis dafür zu erbringen, dass das virtuelle HV-Format eine echte Alternative zur Präsenz-HV sein kann. Nach der derzeitigen Ausgestaltung können gewisse Antragsrechte ad hoc gar nicht ausgeübt werden.
Daneben erheben wir weitere Forderungen an die Ausgestaltung einer virtuellen Hauptversammlung, die keine der Gesellschaften bislang erfüllt. Die SdK stuft die virtuelle HV als reine Notfall-HV ein. Beschlüsse, die das nicht abbilden, werden wir nicht mittragen. Das hybride Format ist aus unserer Sicht die optimale Symbiose, um die unterschiedlichen Erwartungen und Präferenzen der Aktionäre an eine HV zu erfüllen: Wer persönlich teilnehmen will, kann persönlich teilnehmen; wem eine virtuelle Teilnahme reicht, hat diese Option.
Vorstandsvergütung
Sofern das Vorstandsvergütungsmodell wieder zur Billigung ansteht, legen wir unser Augenmerk auf das Verhältnis von fixen zu variablen Bezügen. Wir halten einen variablen Anteil von mehr als 50% für erstrebenswert, konzedieren aber, dass gerade regulierte Branchen wie Banken dies aufgrund der geltenden Regulatorik nur schwer abbilden können. Ein Vergütungsmodell, dessen variabler Anteil an der Zielgesamtvergütung weniger als 30% beträgt, lehnen wir ab. Ebenso fordern wir, dass die kurzfristig variable Vergütungskomponente höchstens 30% an der variablen Zielgesamtvergütung ausmachen darf. Als kurzfristig stufen wir alle Vergütungsbestandteile ein, die keine mehrjährige Bemessungsgrundlage haben. Wir lehnen Abfindungen bei Change-of-Control-Klauseln sowie Antrittsprämien ab, es sei denn, Letztere dienen dem Ausgleich von Nachteilen. Auch ein Vorstandsvergütungssystem, das in Verlustjahren variable Vergütungen ermöglicht, kann von gewissen Ausnahmen abgesehen nicht mit unserer Zustimmung rechnen.
Geschäftsmodell und Prognoseberichterstattung
Aufgrund der zunehmenden Gefahr von Handelskriegen durch protektionistische Maßnahmen wird unser besonderes Augenmerk auf der Ausgestaltung des Geschäftsmodells, insbesondere der Organisation der Lieferketten und der Resilienz gegen Zölle liegen. Die Prognoseberichte sollten diese Gefahren mit Blick auf die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung abbilden. Dabei interessieren uns die Optionen, wie die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen abgemildert oder durch Anpassung der Lieferkettenstruktur sogar vermieden werden können und wie die hierfür erforderliche Zeitschiene aussieht.
Kapitalvorratsbeschlüsse
Zyklische Dauerbrenner sind Kapitalvorratsbeschlüsse. Die SdK trägt Kapitalvorratsbeschlüsse in Höhe von 25% des Grundkapitals, darunter maximal 10% gegen Bezugsrechtsausschluss, mit. Dabei werden zur Berechnung der Grenzen alle Kapitalvorratsbeschlüsse zusammengerechnet. Bei Vorliegen gewisser Voraussetzungen (Einräumung Überbezugsrecht, Vorlage der Bewertungsgutachten bei Sachkapitalerhöhungen) tragen wir Kapitalvorratsbeschlüsse bis zu 40% des Grundkapitals mit maximal 10% gegen Bezugsrechtsausschluss, bei Sacheinlagen maximal insgesamt 25%.
Alle Maßnahmen, die ein höheres Volumen erfordern, sollten unserer Auffassung nach der HV vorgelegt werden. Wir erwarten eine unternehmensindividuelle Begründung für die Notwendigkeit des Beschlusses, die sich nicht im Flexibilitätsargument erschöpfen darf. Es interessiert uns, warum gerade die konkrete Gesellschaft auf diese Flexibilität in dieser Höhe angewiesen ist.
Fazit
In der kommenden HV-Saison behält die SdK ihre Abstimmungsprinzipien bei Ermächtigungen zur Durchführung einer virtuellen HV, Vorstandsvergütungssystem und Kapitalvorratsbeschlüssen bei. Eine Änderung ergibt sich bei der Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat; das HV-Format entscheidet nicht mehr digital über Entlastung oder Nichtentlastung. Einen besonderen Fokus legen wir auf den Prognosebericht.
Autor/Autorin
Markus Kienle
Markus Kienle ist Rechtsanwalt und seit 1999 Sprecher der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger e.V. (SdK), seit dem Jahr 2011 auch Vorstandsmitglied. Er hat in dieser Zeit mehrere hundert Hauptversammlungen besucht.