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Stimmrechtsmitteilungen sind häufiger Anknüpfungspunkt für Klagen gegen die Wirksamkeit von Hauptversammlungsbeschlüssen. Die Verbindung zwischen Mitteilungspflicht und Beschlussmangel entsteht dadurch, dass Aktionäre für die Dauer der Verletzung ihrer Mitteilungspflichten den Verlust der Rechte aus den von ihnen gehaltenen Aktien erleiden. In der Hauptversammlung dürfen ihre Stimmen nicht mitgezählt werden. Geschieht dies dennoch, liegt ein Beschlussmangel vor.
Für den Bereich der börsennotierten Gesellschaften ist der Rechtsverlust bei Verstoß gegen Mitteilungspflichten über Stimmrechte in § 44 Abs. 1 WpHG geregelt. Für Aktien von nicht börsennotierten Gesellschaften ergibt sich die Rechtsfolge aus § 20 Abs. 7 AktG.
Bei börsennotierten Gesellschaften gilt die Besonderheit, dass bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Verletzung von Stimmrechtsmitteilungen ein um sechs Monate verlängerter Rechtsverlust eingreifen kann. Das für nicht börsennotierte Aktiengesellschaften maßgebliche AktG kennt eine solche Verschärfung nicht.
Die Regelungsregime für börsennotierte und nicht börsennotierte Aktiengesellschaften stehen grundsätzlich nebeneinander und sind nach der gesetzlichen Konzeption auch nicht miteinander verzahnt. Das bedeutet jedoch nicht, dass der Übergang von einem Regelungsregime in das andere immer unproblematisch wäre.
Klassische Fallkonstellation ist das Delisting, bei dem ein Wechsel aus dem Stimmrechtsmitteilungsregime des WpHG in das Regelungsregime des AktG wechselt. Ein solcher Fall lag auch dem hier zu besprechenden Urteil des OLG München zugrunde.
Ausgangslage und Sachverhalt
Das Oberlandesgericht München hatte im Rahmen eines Freigabeverfahrens darüber zu entscheiden, ob ein Beschluss über die Zustimmung zum Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags eintragungsfähig war, obwohl Aktionäre den Beschluss mittels Anfechtungs- und Nichtigkeitsklage angegriffen hatten und ein entsprechendes Klageverfahren anhängig war.
Die gegen die Beschlussfassung und die Freigabe zur Eintragung vorgehenden Aktionäre hatten u.a. dahin gehend argumentiert, einer der Großaktionäre habe im Vorfeld des Delisting seine Mitteilungspflichten nach dem WpHG verletzt. Dadurch sei der gesetzlich angeordnete Rechtsverlust eingetreten, der in die Zeit nach dem Delisting hineinwirke. Zudem sei das Delisting zeitlich erst nach Veröffentlichung der Einladung wirksam geworden.
Entscheidung des OLG München
Das Gericht ließ die Frage eines möglichen Verstoßes gegen Mitteilungspflichten nach dem WpHG offen und entschied, dass nach dem Wechsel in das Mitteilungsregime des AktG nur noch dieses gelte. Ein etwaiger Rechtsverlust nach dem WpHG ende mit dem Wegfall der Börsennotierung. Dies gelte auch, wenn dieses Ereignis erst nach der Veröffentlichung der Einladung zur Hauptversammlung (aber noch vor der Hauptversammlung selbst) eintrete.
Das Gericht zeigte sich zwar offen für das Argument, dass sich auf Basis der vom Gericht befürworteten Rechtsmeinung Möglichkeit eines unerwünschten „Anschleichens“ eröffnen, die das WpHG eigentlich verhindern oder erschweren möchte. In der fehlenden Verbindung der Regelungsregime des WpHG und des AktG erkannte das Gericht jedoch eine bewusste Entscheidung des Gesetzgebers, über die sich das Gericht nicht hinwegsetzen wollte.
Prüfungsmaßstab im Freigabeverfahren
Die Frage, wann das für eine Freigabeentscheidung maßgebliche Kriterium der „offensichtlichen Unbegründetheit“ einer die Eintragung verhindernden Anfechtungsklage vorliegt, wurde von den für das Freigabeverfahren nach § 246 AktG zuständigen Oberlandesgerichten nicht immer einheitlich beantwortet. Während einzelne Oberlandesgerichte in ihren Entscheidungen verlangen, dass die Unbegründetheit schon bei kursorischer Prüfung erkennbar sein muss, und umgekehrt die Offensichtlichkeit schon dann verneinen, wenn die Entscheidung von einer höchstrichterlich noch nicht entschiedenen Rechtsfrage abhängt, befürworten andere Oberlandesgerichte einen anderen Maßstab. „Offensichtlich unbegründet“ soll die Anfechtungsklage demnach nur dann sein, wenn nach rechtlicher Würdigung des unstreitigen oder glaubhaft gemachten Sachverhalts die Rechtslage so eindeutig ist, dass eine andere Beurteilung nicht oder kaum vertretbar ist.
Das Oberlandesgericht München hat die hier zu besprechende Entscheidung genutzt, um sich noch einmal klar im Sinne der letztgenannten Meinung zu positionieren, die heute auch der herrschenden Meinung entspricht.
Fazit
Die Entscheidung des Oberlandesgerichts ist ein gutes Beispiel für die Wirksamkeit des aktienrechtlichen Freigabeverfahrens. Zwischen dem Tag der Hauptversammlung und der Eintragung des Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags in das Handelsregister lagen am Ende weniger als sechs Monate. Ein Rechtsmittel ist gegen die Entscheidungen der Oberlandesgerichte im Freigabeverfahren nach § 246a AktG nicht statthaft. Das bedeutet freilich auch, dass es keine obere Instanz gibt, die über Fragen wie die nach dem zutreffenden Prüfungsmaßstab abschließend entscheiden könnte. Hier wird die Praxis also weiterhin mit einem gewissen Maß an Rechtsunsicherheit leben müssen.
Autor/Autorin
Dr. Thomas Zwissler
Dr. Thomas Zwissler ist Rechtsanwalt und Partner bei der ZIRNGIBL Rechtsanwälte Partnerschaft mbB. Er berät bei gesellschafts-, bank- und kapitalmarktrechtlichen Fragen sowie in allen Fragen der Unternehmensfinanzierung.