Das Start-up Bancor sammelte mittels ICO (Initial Coin Offering) innerhalb von nur drei Stunden ungefähr 156 Mio. USD ein. Im Jahr 2017 fanden bereits fast 100 ICOs statt, durch die bis heute über 1,25 Mrd. USD beschafft wurden.[1] Doch was genau sind ICOs, und welche Folgen haben sie für den Kapitalmarkt? Von Dr. Alexander Vogel, Dr. Wolfgang Müller, Dr. Reto Luthiger und Samuel Ljubicic
Der Begriff ICO (auch Token Sale, Token Generating Event) lehnt sich ursprünglich an den Begriff IPO– Initial Public Offering – an. Im Gegensatz zu einem IPO werden jedoch nicht Aktien ausgegeben und an einer Börse gelistet, sondern rein digitale Token gegen virtuelle und allenfalls FIAT-Währung verkauft. Transaktionen bzw. das Orderbuch werden nicht zentral über eine Börse bzw. Verwahrungsstelle, sondern mittels der Distributed Ledger Technology (DLT) dezentral über Millionen von Rechnern geführt.
Es handelt sich beim ICO, vereinfacht gesagt, um eine Art digitales, auf DLT beruhendes Crowdfunding. Ausgangspunkt bildet oft einzig ein Whitepaper, welches das Projekt in technischer und kommerzieller Hinsicht für Investoren umschreibt. Der in einem begrenzten Zeitrahmen über das Internet erzielte ICO-Erlös dient der Finanzierung der eigentlichen Projektentwicklung sowie der operativen Projektkosten.
Mehr als nur eine Finanzierungsform?
Obwohl bei einem ICO die Finanzierungsfunktion im Fokus steht, sollten zudem die vielfältigen Ausgestaltungsmöglichkeiten von Token für das Geschäftsmodell genutzt werden. Token interagieren zudem mit frei programmierbaren Smart Contracts, welche die (fast) in Echtzeit mit relativ geringen Transaktionskosten automatisierte Abwicklung von standardisiert darstellbaren Prozessen und Transaktionen ermöglicht.
Aufgrund der Dezentralität fehlt im Vergleich zum börsenmäßigen Handel insbesondere die Börse, die zwar hohe Anforderungen an die Emittenten stellt, jedoch auch für den Markt und die Investoren Transparenz, Vertrauen und Handelsliquidität schafft. Dafür ermöglicht ein ICO einem Start-up-Unternehmen ohne bereits bestehende Geschäftstätigkeit und Track Record die Aufnahme finanzieller Mittel.
Schlüssel zu und für Investoren
Für den Investor ist der Token die einzige Gegenleistung. Er ist technisch gesehen ein digitaler Code bzw. eine digitale Recheneinheit, welche(r) in einer Wallet gehalten wird. Es bestehen fast grenzenlose Ausgestaltungsmöglichkeiten: Zugangsentgelt bzw. -schlüssel für eine Plattform, Gegenleistung für Waren, Dienstleistungen und Rechte, wertrechtartige Funktionen, wie bspw. eine Art synthetische Aktie, Option oder auch Future, Berechtigung zu einer kommissionsähnlichen Umsatzpartizipation. Die Handelbarkeit der Token eröffnet den Investoren die Chance, Gewinne zu erzielen.
„Unreguliert“ bedeutet nicht „nicht reguliert“
Der schnellen Entwicklung der digitalen Welt hinken die Gesetzgebung und Regulatoren naturgemäß hinterher. Weil eine spezifische Regulierung für Token in vielen Rechtsordnungen (noch) fehlt, kann deren Ausgabe – je nach Ausgestaltung der Token – erhebliche Risiken sowohl für die Emittentin/Promotoren wegen Verletzung von Gesetzesvorschriften (namentlich Bewilligungs- und Prospektvorschriften) als auch für Investoren aufgrund eines möglichen Totalverlusts bergen. Folglich versuchen Regulatoren, ICOs/Tokens durch Kategorisierung gemäß der bestehenden Rechtordnung zu erfassen. Die Vielseitigkeit der Token verunmöglicht jedoch einen allgemein anwendbaren Regulierungsansatz und führt zu einer Art funktionaler Analyse des einzelnen Tokens.
Viele Rechtsordnungen unterscheiden insbesondere zwischen eigen- und fremdkapitalähnlichen Finanzinstrumenten und knüpfen dementsprechend unterschiedliche Anforderungen an die Ausgabe-, Vertriebs- und Handelstätigkeit, die darin involvierten Personen und Plattformen. Solche Anforderungen können in verschiedensten, namentlich im Finanzmarkt- und Gesellschaftsrecht geregelten Bewilligungs-, Prospekt- und Verhaltenspflichten zum Ausdruck kommen.
Angloamerikanisch geprägte Rechtssysteme regulieren tendenziell eigenkapitalähnliche Finanzinstrumente sehr stark, während bspw. die Schweiz mehr auf fremdkapitalähnliche Finanzinstrumente fokussiert. Das sich gegenwärtig in den parlamentarischen Beratungen befindliche Finanzdienstleistungsgesetz wird diesbezüglich jedoch mit einem vollständig neugeordneten Prospektrecht eine Verschärfung durch Angleichung an internationale Standards bringen.
Aufgrund der fehlenden Ähnlichkeit zu Eigen- und Fremdkapital stehen reinen Usage-Token weniger regulatorische Hürden entgegen. Es handelt sich um eine Art belohnungsähnlicher Token für den Bezug von Dienstleistungen oder Waren, die zum Zeitpunkt ihrer Ausgabe typischerweise noch keine Rechtsansprüche vermitteln und häufig nicht als Finanzinstrument qualifizieren. Usage-Token können jedoch auch in rechtlich heikleren Mischformen mit anderen Token-Funktionen vorkommen.
Fazit:
ICOs sind gegenwärtig sehr en vogue und stellen grundsätzlich eine mögliche Finanzierungsform vorwiegend für Start-ups dar. Sie ersetzen jedoch IPOs nicht, sondern ergänzen die Palette an verschiedenen Finanzierungsformen in verschiedenen Unternehmenssituationen und bieten gleichzeitig zusätzliche Ausgestaltungsmöglichkeiten. Gerade die jüngsten regulatorischen Entwicklungen in diversen Staaten (bspw. USA und China) erfordern jedoch eine genaue Analyse der in- und ausländischen Rechtsvorschriften bei der Planung und Umsetzung eines ICOs sowie dem späteren Token-Handel.
Die Autoren
Dr. Alexander Vogel, LL.M. Rechtsanwalt und Partner bei Meyerlustenberger Lachenal |
Dr. Wolfgang Müller MBA ist Rechtsanwalt und Partner bei Meyerlustenberger Lachenal |
Dr. Reto Luthiger Rechtsanwalt bei Meyerlustenberger Lachenal |
Samuel Ljubicic LL.M. ist Rechtsanwalt und Partner bei Meyerlustenberger Lachenal |
[1] CNBC, Initial coin offerings have raised $1.2 billion and now surpass early stage VC funding
Autor/Autorin
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