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Die HV-Saison 2024 läuft bislang technisch weitgehend störungsfrei, die Relation zwischen virtuellen und Präsenzveranstaltungen hat sich stabilisiert. Virtuelle HVs bieten zudem die Möglichkeit, weitere Aktionärskreise einzubeziehen – beispielsweise ausländische Aktionäre, sagt Klaus Schmidt, Geschäftsführer von ADEUS. Einen Wermutstropfen sieht er dennoch: Das Interesse vor allem von jüngeren Privataktionären an deutschen Hauptversammlungen scheint weiter nachzulassen.

HV Magazin: Halbzeit in der HV-Saison 2024 – wie lautet Ihr Zwischenfazit?

Schmidt: Die HV-Saison ist bisher sehr gut verlaufen, die Veranstaltungen laufen technisch sehr gut durch. Im letzten Jahr wurden von Schutzgemeinschaften und Aktionären technische Störungen bei virtuellen Versammlungen beklagt. Das sollte ausgestanden sein. Nach meiner Wahrnehmung läuft das bisher unproblematisch. Am Verhältnis virtuell vs. Präsenz-HV hat sich im DAX 40 nicht sehr viel verändert. Statistisch gesehen stellt sich die Situation ähnlich wie 2023 dar. Es gibt nur wenige Wechsel. 28 virtuellen HVs stehen, wie im Vorjahr, zehn Präsenz-HVs gegenüber. Insofern bestätigt sich hier die Aussage, dass insbesondere große Häuser eher eine virtuelle HV durchführen. Kleinere Unternehmen tendieren weiterhin zur klassischen Präsenz-HV.

Großen Emittenten bietet die virtuelle HV neben einer Kostenersparnis auch die Möglichkeit, weitere Aktionärskreise einzubeziehen. Man sieht das auch bestens in den Teilnehmerverzeichnissen. Im virtuellen Format kommt die überwiegende Zahl der Teilnehmer nicht mehr wie früher aus der Nähe des HV-Orts, sondern hier hat sich eine bundesweite Teilnahme etabliert. Auch die Teilnahme von ausländischen Aktionären ist einfacher möglich und trägt damit der Entwicklung der Aktionärsstruktur Rechnung. Durch die Erfahrungen aus der Coronazeit hat die Digitalisierung bei der Hauptversammlung einen großen Sprung gemacht.

Generell habe ich jedoch den Eindruck – und das gilt für virtuelle und Präsenzveranstaltungen gleichermaßen –, dass das Interesse an deutschen Hauptversammlungen bei Privataktionären eher weiter nachlässt, obwohl die Anzahl der Privatanleger bei vielen Unternehmen gestiegen ist. Die ältere Generation hat sich viel stärker für die HV interessiert. Bei jüngeren Aktionären spielt das nicht so die Rolle, sodass die Teilnehmerzahlen in Präsenz und virtuell tendenziell eher sinken.

Was sind die großen Themen bzw. Herausforderungen dieses Jahres?

Inhaltlich sind verschiedene Dinge zu ­bemerken. Wir sehen einen Trend zu mehr Einzelentlastungen von Vorstand und Aufsichtsrat. Einige Gesellschaften bieten das von vornherein an. Nicht ­selten gibt es von Aktionären Gegenanträge dazu. Manchmal beantragen sie auch eine Quorumsermittlung am HV-Tag, um eine Einzelentlastung zu erreichen.

Abstimmrichtlinien bei Investoren und Stimmrechtsberatern wurden in diesem Jahr weiter nachgeschärft. So richtet sich das Augenmerk noch stärker auf die Aufsichtsratsmitglieder, ihre Eignung und insbesondere ihre Unabhängigkeit. Das gilt besonders für die/den Aufsichtsrats-vorsitzende(n). Aber auch bei der Besetzung der Vorsitze von Ausschüssen spielt das inzwischen eine größere Rolle. Bevor im kommenden Jahr zahlreiche Vergütungssysteme erneut zur Billigung der HV vorgelegt werden müssen, steht in diesem Jahr meist der Vergütungsbericht im Vordergrund. Die Zahl der Gegenstimmen ist hier in der Regel höher als bei anderen Tagesordnungspunkten. Ein weiteres Thema war in diesem Jahr, ob der Tagesordnungspunkt zur Wahl des Wirtschaftsprüfers auch die Prüfung des Nachhaltigkeitsberichts vorsehen soll. Hier ist die Praxis uneinheitlich, auch weil es dazu noch kein verabschiedetes Gesetz gibt.

Wie sieht es mit den HV-Präsenzen aus?

Bei den vertretenen Aktien in der HV sehen wir oft einen leichten Rückgang gegenüber dem Vorjahr. Das ist aus meiner Sicht kein Grund zur Sorge, sondern in der üblichen Schwankungsbreite. Ein Punkt ist jedoch, über eine stärkere Einbindung der in den letzten Jahren gewachsenen direkt gehaltenen Anteile der Privatanleger nachzudenken.

Gibt es Weiterentwicklungen bei den HV-Formaten?

Virtuelle Hauptversammlungen werden wesentlich stabiler und meist auch schöner produziert. Viele Unternehmen haben sich hier weiter gesteigert. Häufig wird das Thema der mangelnden Feedbackmöglichkeit in diesem Zusammenhang erwähnt. Auch hier gibt es Pilotprojekte, das weiter auszubauen, sei es im Vorfeld, was z.B. die Themenwahl im Vorstandsbericht angeht, oder durch Rückmeldemöglichkeiten am HV-Tag selbst. Daran sieht man, dass den Häusern die Meinung der Aktionäre zur Fortentwicklung der HV sehr wichtig ist.

„Bei den vertretenen Aktien sehen wir oft einen leichten Rückgang gegenüber dem Vorjahr. “

Auch in den Debatten wird das HV-Format weiter angesprochen. Häufig kommen hier Vorschläge von Aktionären zur Anreicherung des virtuellen Formats. Einige wünschen sich den regelmäßigen Wechsel zwischen den Formaten oder eine hybride Lösung, bei der sich der Aktionär aussuchen kann, wie er teilnimmt. Die Funktionalität der Frageneinreichung vor der Hauptversammlung mit Beantwortung und Veröffentlichung auf der Website war im letzten Jahr schon eher die Ausnahme und ist weiter rückläufig. Einige Unternehmen bieten das in diesem Jahr nicht mehr an, vermutlich auch, weil Aktionärsschützer und Investoren dieses Feature eher kritisch kommentiert haben. Ein DAX-Mitglied bietet weiterhin die freiwillige Vorabeinreichung von Fragen ohne Beantwortung vor der HV an. Im Allgemeinen kann man zusammenfassen, dass sich die Stärken der beiden Formate bestätigen.

Was gibt es von der organisatorischen Seite zu berichten?

Organisatorisch sind wir auch in diesem Jahr mit einer HV-Saison konfrontiert, bei der die HV-Termine ziemlich dicht beieinanderliegen. Das hat nichts mit dem HV-Format zu tun. Meist stehen diese Termine schon seit Jahren fest. Durch die frühen Pfingstfeiertage hat sich gerade der Zeitplan in der ersten Maihälfte deutlich verdichtet, was vor allem für die HV-Dienstleister eine große Herausforderung bedeutet.

Welche Entwicklungen gibt es auf der regulatorischen Seite?

Ein Thema, das derzeit viele beschäftigt, ist eine neue Meldepflicht, die auf Emittenten ab dem Jahr 2025 zukommt. Nach § 45b Abs. 9 EStG werden Unternehmen dazu verpflichtet sein, ihre Aktionäre im Zusammenhang mit der Dividendenausschüttung an das Bundeszentralamt für Steuern zu melden. Aktuell geht es bei Unternehmen und Dienstleistern um die Umsetzung dieser neuen Meldepflicht.

Das Interview führte Thorsten Schüller.


Zum Interviewpartner

Klaus Schmidt

Geschäftsführer,
ADEUS Aktienregister-Service-GmbH

klaus.schmidt@allianz.com

Autor/Autorin

Thorsten Schüller
Freier Wirtschafts- und Finanzjournalist

Freier Wirtschafts- und Finanzjournalist. Für GoingPublic Media betreut er das viermal jährlich erscheinende HV Magazin.