Bildnachweis: pixelkorn_AdobeStock.

Das Aktiengesetz bestimmt, dass die Hauptversammlung auf Verlangen eines Aktionärs, dem ­Aktien der Gesellschaft in Höhe von 95% gehören, die Übertragung der ­Aktien der übrigen Aktio­näre auf den Hauptaktionär beschließen kann (§ 327a AktG). Dieser sogenannte Squeeze-out darf freilich nicht entschädigungslos ­erfolgen, sondern nur gegen Gewährung einer angemessenen Barabfindung, die im Beschluss der Hauptversammlung zugunsten der Minderheitsaktionäre festzusetzen ist. Von Dr. Thomas Zwissler

 

Streit über die Höhe der im Hauptversammlungsbeschluss bestimmten Abfin­dung ist im Spruchverfahren nach dem Spruchgesetz (SpruchG) auszutragen. Allerdings schweigt das SpruchG (wie auch das AktG) zu der Frage, welche Maßstäbe das ­Gericht bei der Überprüfung der Abfindungshöhe anzulegen hat. Daher mussten die Gerichte die Maßstäbe unter Heranziehung der Erkenntnisse aus der Betriebswirtschaftslehre selbst bestimmen und ver­feinern, wobei nach wie vor zu vielen Einzelfragen Unsicherheiten und Meinungsverschiedenheiten herrschen. Bei einer so komplexen Materie wie der Unternehmensbewertung ist das keine Über­raschung.

Ertragswertverfahren als anerkannte Methode

Im Ausgangspunkt ist immerhin anerkannt, dass nach dem Ertragswertverfahren vorgenommene Unternehmens­be­wer­tungen eine geeignete Grundlage für die Bestimmung der angemessenen Abfindung der Minderheitsaktionäre darstellen. Dabei wird nicht verkannt, dass es „das“ Ertragswertverfahren gar nicht gibt. Das durch das Institut der Wirtschaftsprüfer im Prüfungsstandard IDW S 1 beschriebene Verfahren wird von den Gerichten aber regelmäßig als Methode akzeptiert.

Bei der Anwendung des Ertragswertverfahrens kommt es zunächst maßgeblich auf die Planzahlen an, die das Unternehmen dem Mehrheitsaktionär zur Verfügung stellen muss, damit dieser einen Unternehmenswert und daraus abgeleitet einen Abfindungswert je Aktie errechnen kann. Darüber hinaus gibt es zahlreiche Parameter (z.B. Basiszins, ­Risikozuschlag, Wachstumsabschlag), die das Ergebnis beeinflussen und im Spruch­verfahren regelmäßig Gegenstand von Diskussionen und Meinungsverschiedenheiten sind.

Alternativen zum Ertragswertverfahren

Jenseits dieser Anwendungsfragen zum Ertragswertverfahren stellt sich häufig auch die Frage, ob nicht auch andere ­Bewertungsmethoden zumindest als Kontrollmaßstab heranzuziehen sind. Diskutiert werden in diesem Zusammenhang vor allem marktbezogene Werte, die aus Anteilskäufen bzw. -verkäufen resultieren, die im zeitlichen Zusammenhang mit dem Hauptversammlungs­beschluss stattgefunden haben.

In dem hier zu besprechenden Fall, über den das Landgericht München I zu entscheiden hatte, machten die Minderheitsaktionäre z.B. geltend, der Mehrheitsaktionär habe im Vorfeld des Squeeze-­out Aktien zu einem Preis erworben, der über dem Wert der im Hauptversammlungsbeschluss festgesetzten Abfindung lag. Als weiteres Argument für eine Anhebung der Abfindung machten sie geltend, die Abfindung müsse mindestens dem Barwert der Ausgleichszahlung entsprechen, die im Zusammenhang mit dem früheren Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags bezahlt worden war.

Die Entscheidung des Landgerichts München I

Das Landgericht München I befasste sich mit beiden Positionen, ließ jedoch keinen dieser Einwände gelten:

Zur fehlenden Relevanz von Vorerwerbspreisen stellte sich das Gericht auf den Standpunkt, dass diese keinen Bezug zum „wahren“ Wert des Anteilseigentums der Minderheitsaktionäre hätten. Die Bereitschaft eines Mehrheitsaktionärs, im Einzelfall Preisprämien wie z.B. einen „Paketzuschlag“ zu bezahlen, ­finde keine Entsprechung in einem ­Anspruch des Minderheitsaktionärs auf eine solche Prämie. Man könne auch nicht auf die insoweit abweichende ­Betrachtungsweise im Übernahmerecht abstellen, da dieses einen anderen Zweck verfolge als die Regelungen zur Bestimmung der Abfindung bei einem Squeeze-out.

Den Barwert einer früheren Ausgleichszahlung erachtete das Landgericht München I ebenfalls nicht als eine geeignete Grundlage für die Bestimmung der Abfindung. Der Ausgleichsanspruch, der bei Abschluss eines Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrags angesetzt wird, ersetze nur die Aussicht auf die ­Dividende, nicht aber den Anteil an der Vermögenssubstanz, auf den es bei der Abfindung bei einem Squeeze-out ankomme.

Vorlage von Unterlagen

Es liegt auf der Hand, dass die Minderheitsaktionäre auf die Vorlage von Unterlagen angewiesen sind, wenn sie die ­Höhe der für sie vorgesehenen Abfindung überprüfen und beanstanden wollen. Wesentliches Dokument ist dabei der von einem oder mehreren sachverständigen Prüfern zu prüfende Bericht des Mehrheitsaktionärs über die Angemessenheit der Abfindung, der der Hauptversammlung nach § 327 Abs. 2 AktG vorzulegen ist. Das Gericht muss diesen Bericht zunächst nur plausibilisieren und auf wesentliche Unrichtigkeiten hin prüfen. Dem dient die in § 8 Abs. 2 SpruchG vorgesehene Anhörung des Prüfers. Die Hürden für weitergehende Ermittlungen, z.B. die Einholung eines ergänzenden gerichtlichen Gutachtens und die Vorlage von Detailunterlagen, setzt das Land­gericht München I hingegen hoch an. Insbesondere was die Vorlage von Detailunterlagen anbetrifft, verlangt das Gericht von den Minderheitsaktionären eine konkrete Darlegung der Entscheidungserheblichkeit solcher Unterlagen. Ein allgemeines Einsichtsrecht der Minderheitsaktionäre gebe es hingegen nicht.

Fazit

Die Ermittlung der angemessenen Abfindung bei einem Squeeze-out ist und bleibt eine herausfordernde Materie. Sie ist geprägt von Schätzungen und Prognosen, die nur eingeschränkt überprüfbar sind. Die Fokussierung der Gerichte auf das Ertragswertverfahren ist daher nachvollziehbar. Eine Änderung der Haltung der Gerichte scheint in diesem Punkt zumindest auf kurze und mittlere Sicht unwahrscheinlich.

Autor/Autorin

Dr. Thomas Zwissler

Dr. Thomas Zwissler ist Rechtsanwalt und Partner bei der ZIRNGIBL Rechts­anwälte Part­nerschaft mbB. Er berät bei gesellschafts-, bank- und kapitalmarktrecht­lichen Fragen sowie in allen Fragen der Unterneh­mens­finan­zie­rung.