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Der technische Fortschritt hat das Recht und die Praxis der Hauptversammlung schon seit längerer Zeit erfasst und erobert. Sichtbarster Ausdruck dieser Entwicklung ist die virtuelle Hauptversammlung, die während der COVID-19-Pandemie zunächst befristet eingeführt und später dann dauerhaft in das Aktiengesetz übernommen wurde. Nicht minder bedeutsam ist die technische Hochrüstung der Frage-Antwort-Systeme, die bei den Emittenten zum Einsatz kommen.
Die Nutzung technischer Möglichkeiten ist allerdings kein Privileg der Emittenten. Aktionäre machen sich neue technische Möglichkeiten ebenfalls zunutze. Zu denken ist hier nicht nur an die automatisierte Analyse von Zahlenwerken und Berichten, sondern auch an die Nutzung technischer Hilfsmittel in der Hauptversammlung selbst. Jeder Inhaber eines Smartphones ist heute technisch in der Lage, Bild- und Tonaufnahmen der Versammlung anzufertigen, die Aufnahmen in Echtzeit mit Personen (auch Nichtaktionären) außerhalb des Versammlungsraums zu teilen und sich ggf. zu Inhalten und/oder Vorgehensweisen auszutauschen.
Stand der Rechtsprechung
Die Rechtsprechung hatte sich bislang vor allem mit der Frage auseinanderzusetzen, inwieweit die Gesellschaft zur Anfertigung von Bild- und Tonaufnahmen berechtigt ist. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage nach der Reichweite des Persönlichkeitsrechts der an der Hauptversammlung teilnehmenden Aktionäre. Der Einsatz technischer Hilfsmittel durch Aktionäre war hingegen noch nicht Gegenstand höchstrichterlicher Rechtsprechung. Es ist jedoch anzunehmen, dass sich dies in naher Zukunft ändern wird. Welche Konfliktlinien sich ergeben können, zeigt der Sachverhalt, welcher der hier zu besprechenden Entscheidung zugrunde lag.
Verbot des Mitführens von Geräten, die sich zur Ton- und Bildaufzeichnung eignen
Die Einladung zur Hauptversammlung der Emittentin enthielt einen Abschnitt mit der Überschrift „Einlasskontrolle“. In diesem Abschnitt wurden die Aktionäre unter anderem darauf hingewiesen, dass das Mitführen von Geräten, die sich zur Bild- und Tonaufnahme eignen, nicht gestattet sei und am Eingang eine Einlasskontrolle durchgeführt werde. Zur Begründung nannte die Emittentin die Aufrechterhaltung der Ordnung in der Hauptversammlung und den Schutz der Persönlichkeitsrechte der Aktionäre.
Die Umsetzung der in der Einladung angekündigten Maßnahme war noch differenzierter. Konkret galt das Verbot nur im Versammlungsraum und nicht zugleich im Eingangsbereich, zu dem auch Nichtaktionäre Zugang hatten. Angeboten wurden zudem Schließfächer für im Versammlungsraum nicht zugelassene Geräte, ein Anrufdienst zur Sicherstellung der Erreichbarkeit der Aktionäre und PCs mit Internetzugang im Versammlungssaal zur Nutzung durch die Aktionäre.
Einzelne Aktionäre verweigerten die Abgabe ihrer Mobiltelefone und Laptops, woraufhin ihnen der Zutritt zur Hauptversammlung verwehrt wurde. Mit dieser Begründung griffen sie dann auch die in der Hauptversammlung gefassten Beschlüsse an.
Die Entscheidung des Kammergerichts Berlin
Das Kammergericht sah in den Maßnahmen der Gesellschaft eine unzulässige Beschränkung des Teilnahmerechts der Aktionäre und bestätigte damit die Entscheidung des Landgerichts Berlin, das als Vorinstanz die Nichtigkeit angegriffener Beschlüsse festgestellt hatte.
Als rechtlichen Anknüpfungspunkt wählte das Gericht die sogenannte Ordnungsbefugnis des Versammlungsleiters. Danach ist der Versammlungsleiter berechtigt, alle Maßnahmen anzuordnen, die für eine ordnungsgemäße Abwicklung der Hauptversammlung erforderlich sind. Allerdings unterliegt er hierbei strengen Bindungen. Insbesondere hat er bei seinen Maßnahmen die Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Letzteres sah das Kammergericht im vorliegenden Fall als nicht gegeben an.
Einerseits, so das Kammergericht, hätten mildere Mittel ergriffen werden können, etwa ein schlichtes Verbot der Fertigung von Ton- und Bildaufnahmen oder die Beschränkung des Mitführverbots auf solche Geräte, die über keine Kamera- und Mikrofonblocker verfügten. Hinzu komme andererseits die Unverhältnismäßigkeit im engeren Sinne. Dabei hob das Kammergericht hervor, dass der Persönlichkeitsschutz der teilnehmenden Aktionäre von vornherein eingeschränkt sei. Wer an einer Hauptversammlung teilnimmt, befinde sich nicht in seiner rechtlich streng geschützten Privatsphäre, sondern betrete die Sozialsphäre, in der nur noch ein eingeschränkter Schutz wirken könne. Dem stehe eine nur abstrakte Gefahr von Verstößen gegenüber. Für Präventivmaßnahmen müssten zudem ganz besondere Gründe vorliegen. Im Falle von Rechtsverletzungen sei der Aktionär ohnehin auch nicht schutzlos gestellt.
In der fehlenden Verfügbarkeit der eigenen Notebooks oder Tablets sah das Kammergericht eine erhebliche Beschränkung der Arbeitsfähigkeit der Aktionäre. Die von der beklagten Gesellschaft angebotenen Ausgleichsmaßnahmen seien als Kompensation nicht ausreichend gewesen. Zudem seien sie in der Einladung auch nicht angekündigt worden.
Ordnungsmaßnahmen kraft Satzungsbestimmung?
Offen ließ das Kammergericht, ob die streitgegenständlichen Maßnahmen zulässig gewesen wären, wenn sie in der Satzung der Emittentin vorgesehen gewesen wären. Zum Zeitpunkt der Hauptversammlung existierte eine solche Satzungsregelung jedenfalls nicht.
Fazit
Das Kammergericht hat sich in seiner Entscheidung klar auf die Seite der klagenden Aktionäre gestellt und die Hürde für Ordnungsmaßnahmen, die den Aktionären die Verwendung eigener technischer Hilfsmittel untersagt, sehr hoch angesetzt. Es wird abzuwarten sein, ob weitere vergleichbare Fälle den Weg zu den Gerichten finden oder ob die Emittenten im Zweifel doch noch stärker als bisher auf die virtuelle Hauptversammlung setzen, die zwar nicht gegen Aufzeichnungen von Aktionären oder Nichtaktionären schützt, dafür in einigen Bereichen aber mehr Kontrolle über den Ablauf und die Inhalte der Versammlung ermöglicht.
Autor/Autorin
Dr. Thomas Zwissler
Dr. Thomas Zwissler ist Rechtsanwalt und Partner bei der ZIRNGIBL Rechtsanwälte Partnerschaft mbB. Er berät bei gesellschafts-, bank- und kapitalmarktrechtlichen Fragen sowie in allen Fragen der Unternehmensfinanzierung.