Nicht ohne Grund wird seit vielen Jahren über die Reformierung der Hauptversammlung deutscher Publikumsgesellschaften diskutiert. Die HV börsennotierter Gesellschaften ist formalistisch, langwierig und bietet selten Raum für eine lebhafte Debatte. Im Ausland sind Hauptversammlungen derweil meist weniger formalistisch und kürzer. Das Deutsche Aktieninstitut und die Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer haben HVs in Deutschland, Großbritannien, den Niederlanden, Frankreich, der Schweiz und den USA untersucht. In ihrer gemeinsamen Studie unterbreiten sie Reformvorschläge zur Vorabeinreichung von Fragen, die frühere Bekanntgabe von Aktionärsanträgen und zum Beschlussmängelrecht.

Im internationalen Vergleich fällt auf, dass die deutsche Publikumshauptversammlung sehr formalistisch und langwierig ausfällt. Während in den untersuchten ausländischen Jurisdiktionen eine HV häufig nach zwei bis drei Stunden beendet ist, dauert die deutsche Publikumshauptversammlung im Schnitt sechs bis acht, bei großen Gesellschaften sogar manchmal zwölf Stunden. Zudem ist die deutsche Hauptversammlung dadurch geprägt, dass Vorstand und Aufsichtsrat häufig über Stunden vom Back­office vorbereitete Antworten auf nicht selten sachfremde Fragen von Aktionären verlesen. Anders als im Ausland findet eine lebhafte und spontane Debatte zwischen Organen der Gesellschaft und den Aktionären kaum statt.

In den letzten Jahren gab es verschiedene Vorstöße, das HV-Recht und vor allem das Beschlussmängelrecht zu reformieren, um die deutsche Publikumshauptversammlung zu vitalisieren. Diese Vorstöße waren bislang jedoch nicht erfolgreich; möglicherweise, weil für die komplexen und umfassenden Vorschläge unter den multiplen ­Stakeholdern kein Konsens gefunden werden konnte. Dabei ließe sich eine spürbare Belebung der HV bereits mit einer Reform begrenzt auf drei Kernbereiche erzielen, nämlich die Vorabeinreichung von Fragen, die frühere Bekanntgabe von Aktionärsanträgen und das Beschlussmängelrecht.

Vorabeinreichung von Fragen

Derzeit können Gesellschaften nur bei der virtuellen Hauptversammlung Aktionärsfragen vorab zulassen und beantworten. Die vorab eingereichten Fragen und die dazugehörigen Antworten sind nach der aktuellen Regelung spätestens einen Tag vor der Hauptversammlung schriftlich auf der Website der Gesellschaft zu veröffentlichen. Wegen der damit verbundenen Mehrbelastung und rechtlichen Unsicherheit haben die Gesellschaften diese Möglichkeit bisher selten genutzt. So haben in der HV-Saison 2024 nur zwei DAX40-Gesellschaften die Vorabeinreichung von Fragen zugelassen. Auch Aktionärsvertreter sehen die derzeitige Ausgestaltung der Vorabeinreichung ­kritisch, da sie eine Entwertung der Hauptversammlung befürchten, wenn die Antworten bereits vorab veröffentlicht werden.

Es wurde die durchschnittliche Dauer von Hauptversammlungen börsennotierter Unternehmen bei den Nieder­lassungen und Kooperationspartnern von Freshfields erfragt. Für Hauptversammlungen nicht börsennotierter Unternehmen wurden in den Niederlanden und der Schweiz 30 Minuten bis eine Stunde als Dauer angegeben.
*) Bei großen Unternehmen dauert die Hauptversammlung in Deutschland teilweise auch 12 Stunden.
Quelle: Deutsches Aktieninstitut in Kooperation mit Freshfields Bruckhaus Deringer

Der Gesetzgeber sollte die Vorabeinreichung der Fragen – unabhängig vom Hauptversammlungsformat – so regeln, dass vorab eingereichte Fragen nach Wahl der Gesellschaft entweder vor oder auch in der HV ­beantwortet werden können. Bei einer flexibleren Handhabung der Vorabeinreichung wäre zu erwarten, dass mehr Gesellschaften von dieser Möglichkeit Gebrauch ­machen, was der Qualität der Antworten ­zugutekäme. Die Gesellschaft könnte sich bereits vor der Hauptversammlung ohne den Zeitdruck während der Generaldebatte mit den Themen auseinandersetzen.

Quelle: Deutsches Aktieninstitut in Kooperation mit Freshfields Bruckhaus Deringer

Frühere Bekanntgabe von Aktionärsanträgen

Nach geltendem Recht können Aktionäre Wahlvorschläge und Gegenanträge vor und während der Hauptversammlung stellen. Nur wenn Anträge spätestens 14 Tage vor der HV eingereicht werden, muss die Gesellschaft diese auf ihrer Website veröffentlichen. In der Praxis führt dies zu ­einem erheblichen Risiko von Zufallsmehrheiten: Denn die tatsächliche Willensbildung der Gesamtheit der Aktionäre sowie die darauf basierende Stimmabgabe erfolgt häufig bereits vor der Hauptversammlung. Über Anträge, die spontan in der Hauptversammlung gestellt werden, entscheidet meist eine Minderheit von ­Aktionären. Und dieser fehlt während der HV die Zeit, sich mit den Vorschlägen hinreichend auseinanderzusetzen. Dieses Spannungsverhältnis sollte der Gesetzgeber dadurch auflösen, dass Wahlvorschläge und Anträge grundsätzlich spätestens 14 Tage vor der Hauptversammlung einzureichen und von der Gesellschaft bekannt zu machen sind. Anträge in der HV sollten nur im Ausnahmefall, namentlich bei Vorliegen neuer Erkenntnisse, zulässig sein.

Reform des Beschlussmängelrechts

Das derzeitige strenge Beschlussmängelrecht ist ein wesentlicher Grund für den zumeist formalistischen und wenig lebhaften Ablauf einer deutschen Publikumshauptversammlung. Bereits kleine Fehler bei der Fragenbeantwortung können zur Anfechtung eines Beschlusses führen. Aufgrund dieses drohenden Damoklesschwerts sind die Gesellschaften darauf bedacht, bei der Beantwortung der Aktionärsfragen keinen Fehler zu machen. ­Vorstand und Aufsichtsrat halten sich ­zumeist strikt an das vom Backoffice vorbereitete Antwortenskript. Eine lebhafte und spontane Debatte findet daher in den meisten Fällen nicht statt. Allein das Risiko, dass ein kleiner Informationsmangel zur Anfechtung eines Beschlusses führt und damit einen langen, ressourcenbindenden Klageprozess nach sich zieht, behindert die Debattenkultur.

Der Gesetzgeber sollte zunächst bei der Auskunftserteilung ansetzen und die rückwirkende Unwirksamkeit von Beschlüssen der Hauptversammlung im Grundsatz auf wesentliche, also schwere Fehler bei der Auskunftserteilung beschränken. Die harte Sanktion sollte nicht bei jeder inkorrekten oder unvollständigen Antwort greifen. Die Wesentlichkeitshürde sollte auch bei Antworten auf vorab eingereichte Fragen ­gelten. Sofern die Gesellschaft eine Vorabeinreichung von Fragen zulässt, sollte bei Antworten auf Fragen, die Aktionäre erst in der Hauptversammlung stellen, die Anfechtbarkeit auf vorsätzlich oder offensichtlich falsche Auskünfte beschränkt werden.

Fazit

Die Studie des Deutschen Aktieninstituts und der Wirtschaftskanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer hat gezeigt, dass ein erheblicher Reformbedarf im deutschen HV-Recht besteht. Dabei kann bereits mit einer begrenzten Reform die Hauptversammlung so modernisiert werden, dass eine sichere und offenere Kommunikation zwischen Vorstand und den Aktionären möglich ist. Der Informationsgehalt für die Aktionäre würde gestärkt und die HV ein attraktives Forum zur Aussprache über die Unternehmens- und Kapitalmarktstrategie.

Autor/Autorin

Dr. Sabrina Kulenkamp

Rechtsanwältin und Partnerin,

Freshfields Bruckhaus Deringer
Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB

Sven Erwin Hemeling

Leiter Aktienrecht,
Deutsches Aktieninstitut e.V.