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Bei Hauptversammlungen muss alles passen – immerhin handelt es sich um rechtlich sensible Veranstaltungen. Ton und Licht sollen stabil laufen, Aussetzer bei der digitalen Übertragung vermieden werden, die Abarbeitung von Leitfaden sowie Frage-und-Antwort-Session unfallfrei über die Bühne gehen. Um die komplexen Veranstaltungen – sei es in Präsenz, sei es virtuell – reibungslos umzusetzen, übernehmen hinter den Kulissen oft „Regisseure“ das Heft des Handelns. Die müssen nicht nur rechtliches Verständnis, technisches Know-how und zunehmend KI-Kenntnisse mitbringen, sondern auch geschickt im Umgang mit Versammlungsleitern und Vorständen sein. Wie sie arbeiten und was sie können müssen.
Es ist eine klare Aussage, die Josef Gemmeke, Sprecher der Schutzgemeinschaft der Kapitalanleger (SdK), anlässlich der Hauptversammlung des Reiseveranstalters TUI am 11. Februar 2025 traf: „Eine virtuelle Hauptversammlung hat den Charakter eines Notartermins, der im Fernsehen übertragen wird.“ In der Tat sind Hauptversammlungen keine Veranstaltungen, für die man Vergnügungssteuer erheben könnte. Sie laufen nach einer standardisierten Dramaturgie ab, kaum etwas ist dem Zufall überlassen. Dennoch – oder gerade deshalb? – gibt es seit geraumer Zeit Tendenzen, daran etwas zu ändern: Hauptversammlungen, ob in Präsenz, virtuell oder hybrid, sollen abwechslungsreicher, interessanter und interaktiver gestaltet werden.
Doch ob eine Hauptversammlung nun „notariell“ oder etwas lebendiger ausgelebt wird – die Veranstaltungen müssen geplant werden, hinter den Kulissen muss während des Aktionärstreffens jemand die Fäden in der Hand halten und bei Bedarf steuernd eingreifen: Präsentationen müssen zum richtigen Zeitpunkt eingeblendet werden, das Licht soll auf den aktuellen Redner fallen, die Kameraleute brauchen Anweisungen. Dazu bedarf es jemanden, der Kontakt mit Versammlungsleiter, Vorstand und Backoffice hält, um bei unerwarteten Ereignissen eingreifen zu können, bei Unklarheiten zum nächsten Tagesordnungspunkt überzuleiten und den Fragen-und-Antworten-Prozess zu koordinieren.
Während vor allem in kleineren Gesellschaften Investor-Relations-, Communications- oder Marketingabteilung zusammen mit dem Vorstand die HV planen und umsetzen, greifen andere Unternehmen auf die Expertise professioneller Regisseure zurück oder wählen HV-Locations mit entsprechenden Inhouse-Experten.
Führungskräfte sollen gut rüberkommen
Worum es dabei konkret geht, weiß Katja Grünebaum, die in Berlin die gleichnamige Gesellschaft für Eventlogistik betreibt und sich in dieser Funktion auch als Regisseurin sieht: um zufriedene Emittenten, aber auch zufriedene Aktionäre. Vor allem aber geht es ihr darum, dass die Führungskräfte bei einer HV gut rüberkommen. „Ich bin sozusagen der Feel-good-Manager für den Versammlungsleiter, der vorne sitzt und sich während der Veranstaltung durchaus mal ‚alleine gelassen‘ fühlen kann“, so die Eventmanagerin.
Ihre Arbeit fängt bereits lange vor der eigentlichen HV an. Dabei geht es unter anderem darum, wie die Veranstaltung möglichst spannend gestaltet werden kann – „wie kommt man weg davon, dass man nur am Tisch sitzt und seinen Text runterliest?“ Konkret empfiehlt die HV-Regisseurin, bei Kameraperspektiven und Bühnenbild abzuwechseln. Wird beispielsweise nur eine Kamera mit einer totalen Einstellung eingesetzt, sind stets alle Personen im Fokus, die auf der Bühne sitzen. Vor allem Aufsichtsräten sei das aber nicht immer recht, da sie oft andere Dinge erledigen müssen, an ihren Laptops arbeiten oder telefonieren. Werden dagegen mehrere Kameras verwendet, kann der Fokus auch auf andere Personen gerichtet werden.
Mehr Dialog als Fließtext
Vorständen wiederum rät sie, mehr Interviews und Dialoge zu führen als Fließtextvorträge zu halten. Dabei sollten sie nicht nur am Tisch sitzen, sondern sich an einen Talk-Tresen oder ein Rednerpult begeben. Hilfreich sei auch, ein Mikrofon in die Hand zu nehmen oder ein Headset zu benutzen. „Das wirkt sofort dynamischer und lässt sie im wahrsten Sinne des Wortes gut dastehen“, so Grünebaum.
Aber auch die vermeintlich kleinen Dinge wollen beachtet werden. Redner müssen darauf hingewiesen werden, ihre Mikrofone einzuschalten sowie deutlich und nicht zu schnell zu sprechen. Die Eventexpertin achtet zudem darauf, dass die Führungskräfte vernünftig sitzen. Gelegentlich erteilt sie auch mal ein mahnendes: „Meine Herren, lächeln schadet auch nicht.“
Am Tag vor der Hauptversammlung geht Grünebaum mit den Unternehmensvertretern den Leitfaden durch und prüft, ob Formulierungen der Anwälte passen und verständlich sind. Außerdem sensibilisiert sie für den Umgang mit Kameras, während ihre Mitarbeiter im Fall von virtuellen HVs die Zuschaltung von Aktionären simulieren. „Bei den Proben prüfen wir, was den Aufsichtsratsvorsitzenden technisch erwartet, und schauen uns alle Streamingansichten an: Was sieht der Versammlungsleiter wann und in welcher Situation?“
Hoher Beratungsaufwand
Auch Stephan Wehrle, HV-Regisseur aus Köln, legt großen Wert auf eine gute Vorbereitung. So versucht er bereits im Vorfeld, ein Gespür dafür zu entwickeln, wie eine Veranstaltung abläuft, ohne dass große Lücken entstehen. Er will vermeiden, dass sich die Akteure in einem Moment der Unklarheit fragend anschauen, wie es denn jetzt weitergeht – „immerhin ist das Ganze live“, so Wehrle (siehe Interview ab S. 12).
Der Beratungsaufwand ist in jedem Fall hoch – vor allem bei virtuellen HVs, weiß Grünebaum, denn bei derartigen Veranstaltungen fehlt den Führungskräften das direkte Feedback aus dem Publikum: „Aufsichtsratsvorsitzender und Vorstand müssen ein Verständnis dafür entwickeln, dass sie bei der virtuellen HV die ganze Zeit zu Menschen sprechen, die sie nicht sehen. Sie erhalten also keine Reaktion und wissen nicht, ob sie zu schnell sprechen, zu langsam sind oder nuscheln.“
Doch auch bei bester Vorbereitung kann immer etwas schiefgehen oder Unerwartetes geschehen, insbesondere bei digitalen Zuschaltungen von Aktionären. Einmal, berichtet die HV-Managerin, hat ein Aktionär während seiner Rede ein Papier vor die Kamera gehalten. „Wir haben uns gefragt: Warum sehen wir den nicht mehr? Ein andermal wollten wir einen Redner aufrufen, der dran gewesen wäre. Genau in der Sekunde ist er weggelaufen.“
So machen es Emittenten
Doch wie halten es Unternehmen mit der Regie ihrer Hauptversammlungen? Bei dem österreichischen Kran- und Hebemaschinenunternehmen PALFINGER beispielsweise nimmt die HV-Regie „eine zentrale Rolle“ ein, wie Konzernsprecher Hannes Roither berichtet. „Sie ist die Schnittstelle zwischen allen beteiligten Akteuren und technischen Gewerken und sorgt dafür, dass das Event aus Sicht des Publikums professionell und gut organisiert wahrgenommen wird.“ Die Regiearbeit beginnt dabei bereits im Vorfeld mit der Planung und endet beim Event vor Ort mit der Koordination aller Gewerke und der Sicherstellung eines reibungslosen Ablaufs aller Programmpunkte.
So erstellt die Regie im Vorfeld einen detaillierten Plan, der den zeitlichen Ablauf inklusive Beginn und Ende aller Programmpunkte, technischer Anforderungen und Verantwortlichkeiten definiert. In Abstimmung mit Investor Relations, Technikern, Zählservice, Location und ggf. weiteren Beteiligten werden alle Schritte bis zum Event vorab koordiniert. Ziel ist es, so Roither, mögliche Risiken früh zu erkennen und zu minimieren sowie einen klaren Rahmen für die Veranstaltung zu schaffen. Abschließend werden mit dem gesamten Team ein oder mehrere Probedurchläufe durchgeführt.
Während des Events übernimmt bei PALFINGER die Regie die zentrale Steuerung aller Programmpunkte. Dies umfasst die Koordination von Licht- und Tontechnik, die Einspielung von Videos oder Präsentationen sowie die Kameraführung. Die Regie gewährleistet außerdem, dass festgelegte Zeiten eingehalten werden und die Übergänge zwischen den Programmpunkten reibungslos laufen.
INDUS: Auflockernde Elemente
Die INDUS Holding, ein Beteiligungsunternehmen aus Bergisch Gladbach, sieht bei einem technisch anspruchsvollen Event wie der Hauptversammlung eine erfahrene Regie als unerlässlich an und arbeitet nach den Worten des Vorstandsvorsitzenden Dr. Johannes Schmidt seit Jahren mit einer Agentur für Livekommunikation zusammen. Man schätze das Format der Präsenz-HV und damit die direkte Diskussion mit den Aktionären sehr. „Entsprechend wichtig sind uns auch auflockernde Elemente von Videoeinspielungen bis Live-Talks. Unsere Aktionäre können wertschätzende Professionalität erwarten – in der Vorbereitung und im Ablauf.“
Künftig könnte dabei zunehmend auch künstliche Intelligenz (KI) zum Einsatz kommen. Laut Schmidt beobachtet man die Möglichkeiten von KI zur Unterstützung des Backoffice, etwa bei der schnellen Analyse von großen Datensätzen. „In der Zukunft sehen wir auch Potenzial bei der Liveübersetzung in andere Sprachen.“
Ähnlich bei der Hamburger Circus Group, ohnehin ein KI-Unternehmen. Die Firma nutzt nach den Worten von CFO Fabian Becker KI nicht nur für die Produkte, sondern auch für interne Prozesse – einschließlich der Hauptversammlung. „KI unterstützt uns bei der Analyse von Fragen aus dem Aktionariat, der Optimierung der Agenda und der automatisierten Protokollierung. Zudem evaluieren wir kontinuierlich neue KI-gestützte Anwendungen, etwa für Echtzeitübersetzung und interaktive Aktionärskommunikation.“
Baader Bank setzt auf internes Team
Bei der Baader Bank setzt man hinsichtlich Planung und Umsetzung der Hauptversammlung hingegen auf ein festes internes Team, das sich aus unterschiedlichen Fachbereichen zusammensetzt. Nach den Worten von Florian Koller, Head of Group Strategy & Management, fungieren dabei vor allem die Bereiche Group Legal und Group Communication sowie die Eventabteilung als zentrale Ansprechpartner: „Aus diesen Teams übernehmen einzelne Kollegen die Funktion der Steuerung des Zeitplans, die Kommunikation mit den Rednern und Technikern sowie die Sicherstellung, dass alle Abläufe planmäßig verlaufen. Auch unsere externen Partner sind ein wichtiger Bestandteil der Planung, sodass wir insgesamt über ein eingespieltes Team verfügen.“
Auch beim österreichischen Baukonzern PORR verzichtet man auf einen eigenen Regisseur. „Wir halten es klassisch: Der Vorsitzende führt gemeinsam mit dem anwesenden Notar durch die Tagesordnung. Die Eventplanung wird intern durchgeführt und gemeinsam mit externen Dienstleistern umgesetzt. Einen designierten Regisseur für die Hauptversammlung gibt es nicht“, sagt Porr-CEO Karl-Heinz Strauss.
Was ein Regisseur mitbringen muss
Wer als externer Regisseur Verantwortung bei einer Hauptversammlung übernimmt, muss nach Erfahrung der Berliner HV-Expertin Grünebaum ein hohes Maß an technischem Verständnis und Know-how mitbringen. „Ich muss wissen, was schnell umsetzbar ist und welche technischen Lösungen ich insbesondere dem Versammlungsleiter anbieten kann, damit dieser sich während der HV wohlfühlt und alles im Blick behält.“ Darüber hinaus müsse der Regisseur ein umfangreiches rechtliches Verständnis aufweisen.
Doch es gehört noch mehr dazu. „Man darf in dieser Funktion keine Angst vor Menschen mit großem Ego haben“, sagt Grünebaum. „Ein bisschen Kaltschnäuzigkeit ist durchaus nötig.“ Immerhin gehe es darum, sich durchzusetzen, gleichzeitig aber auch charmant und verlässlich in den Aussagen zu sein. Und da der HVRegisseur sehr nah an den Menschen dran ist, brauche er auch eine große Portion Empathie: „Vorstände und Aufsichtsratsvorsitzende wissen normalerweise sehr genau, was sie tun. Das sind Egos, gestandene Männer und Frauen. Wenn sie aber in unserem Studio sitzen, umringt von Technik, müssen sie erst mal loslassen“, weiß die Eventexpertin. „Da ist keine Sekretärin, der sie Aufträge erteilen können. Sie müssen jetzt selbst tätig werden. Dabei helfe ich ihnen. Ich bin für sie wie ein kleiner Schutzengel im Geflecht von Technik und HV-Ablauf.“
Fazit
HV-Regisseure sind die Steuermänner und Strippenzieher, die einen möglichst reibungslosen Ablauf von Aktionärsversammlungen gewährleisten. Während kleinere Gesellschaften die Veranstaltung oftmals mit eigenem Personal organisieren und umsetzen, sind Unternehmen mit größeren, technisch komplexeren und womöglich inhaltlich heiklen Hauptversammlungen gut beraten, sich der Expertise eines erfahrenen Regisseurs anzuvertrauen. Letztlich dient dies auch dazu, dass die Verantwortlichen dem ohnehin spannenden Ereignis etwas entspannter entgegensehen können.
Autor/Autorin
Thorsten Schüller
Freier Wirtschafts- und Finanzjournalist. Für GoingPublic Media betreut er das viermal jährlich erscheinende HV Magazin.