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Hessischer Verwaltungsgerichtshof Kassel, Beschluss vom 24.01.2023 – 6 B 1335/22
Stimmrechtsmitteilungen sind ein wichtiges Instrument der Kapitalmarktpublizität. Der Markt soll wissen, ob Aktionäre oder Inhaber von Stimmrechten an einer börsennotierten Gesellschaft bestimmte Stimmrechtsschwellen erreichen, über- oder unterschreiten.
Die Systematik des Gesetzes ist im Grunde einfach: Der Aktionär bzw. Inhaber von Stimmrechten an einer börsennotierten Gesellschaft hat das Erreichen, das Über- oder das Unterschreiten bestimmter Stimmrechtsschwellen an den Emittenten zu melden (§§ 33 ff. WpHG). Anschließend veröffentlicht der Emittent diese Stimmrechtsmitteilung über ein Medienbündel zur europaweiten Verbreitung und unterrichtet das Unternehmensregister (§ 40 WpHG). Die vom Gesetzgeber gewünschte Markttransparenz ist hergestellt.
Herausgefordert wird das im Ausgangspunkt einfache System dann, wenn der Emittent begründete Zweifel an der Richtigkeit einer Stimmrechtsmitteilung hat. Es mag sogar vorkommen, dass der Emittent sicher weiß, dass die ihm übermittelte Stimmrechtsmitteilung falsch ist. Soll der Emittent in diesen Fällen verpflichtet sein, „sehenden Auges“ eine falsche Stimmrechtsmitteilung zu veröffentlichen und den Markt damit in die Irre zu führen?
In der Literatur wird teilweise vertreten, den Emittenten treffe eine kapitalmarkt-rechtliche, zumindest aber eine gesellschaftsrechtliche Informationsverschaffungspflicht, die durch entsprechende Auskunfts- und Nachweisansprüche flankiert werde. Gemeint ist, dass der Emittent bei fehlenden Mitteilungen Nachforschungen anstellen und bei fehlerhaften oder unvollständigen Mitteilungen korrigierend auf den Aktionär einwirken muss. Zu bedenken ist allerdings, dass der Emittent die bei ihm eingehende Stimmrechtsmitteilung „unverzüglich“ und „spätestens drei Handelstage nach Zugang“ veröffentlichen muss (§ 40 Abs. 1 WpHG). So schnell wird eine Klärung aber nur dann möglich sein, wenn der meldepflichtige Aktionär einsichtig und kooperationswillig ist. In den streitigen Fällen löst die Zuordnung von Informationsverschaffungspflichten und korrespondierenden Ansprüchen das Problem der zweifelhaften oder fehlenden Stimmrechtsmitteilungen daher nicht.
Die Entscheidung des VGH Kassel
Der Hessische Verwaltungsgerichtshof Kassel hatte als Beschwerdegericht über den Antrag eines Emittenten auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu entscheiden. Der gegen die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) gerichtete Antrag war in erster Instanz von dem Verwaltungsgericht Frankfurt a.M. abgewiesen worden. Die Beschwerde gegen diese Entscheidung blieb ohne Erfolg und wurde wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses als unzulässig verworfen. Der Hessische Verwaltungsgerichtshof Kassel nutzte jedoch die Gelegenheit, sich ausführlich mit den Rechten und Pflichten des Emittenten auseinanderzusetzen.
Die Kernaussage der Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs Kassel lautet, dass § 40 WpHG die Veröffentlichung einer Stimmrechtsmitteilung ohne Rücksicht auf deren Richtigkeit oder deren Nachweis vorsieht. Das Gericht stellte auch klar, dass es dem Emittenten nicht gestattet ist, die Veröffentlichung hinauszuzögern, bis ihm ein Nachweis über die Richtigkeit einer Stimmrechtsmitteilung vorgelegt wurde.
Folgerungen und offene Fragen
Auf Basis der Entscheidung des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs Kassel erscheint die Handlungsmaxime für Emittenten auf den ersten Blick eindeutig: Eingehende Stimmrechtsmitteilungen werden ohne Weiteres veröffentlicht. Fallen dem Emittenten Fehler oder Unvollständigkeiten auf, kann der Meldepflichtige hierauf hingewiesen und eine Korrektur angeregt werden. Sollte diese erst nach der bereits erfolgten Veröffentlichung der ursprünglichen Mitteilung eingehen, erfolgt die Veröffentlichung im Wege einer sogenannten Korrekturmeldung.
Teile der Literatur befürworten die Möglichkeit einer Befreiung von der Veröffentlichungspflicht durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). Diese bis zum Jahr 2007 im WpHG vorgesehene Möglichkeit findet sich im heutigen Gesetz aber nicht mehr.
Offen bleibt nach wie vor, ob der Emittent den Markt eigenständig über mögliche Fehler einer Stimmrechtsmitteilung informieren kann (oder muss) und wenn ja, auf welchem Wege.
Corporate News oder Ad-hoc-Mitteilung?
Hat der Emittent Kenntnis von fehlenden oder unzutreffenden Stimmrechtsmitteilungen, kann er seine Informationen mit dem Markt teilen. Denkbar ist z.B. eine Veröffentlichung, in der die begründeten Zweifel an einer Mitteilung benannt und erläutert werden.
Im Einzelfall kann eine fehlende oder unzutreffende Stimmrechtsmitteilung auch eine Insiderinformation im Sinne des Art. 7 MAR darstellen. In diesem Fall greift die Veröffentlichungspflicht nach Art. 17 MAR.
Fazit
Eingehende Stimmrechtsmitteilungen sind vom Emittenten unverzüglich zu veröffentlichen. Ob und inwieweit eine Prüfpflicht besteht, ist weiterhin nicht abschließend geklärt. Emittenten sind daher gut beraten, eingehende Stimmrechtsmitteilungen nicht einfach nur „blind“ an die Öffentlichkeit weiterzureichen, sondern zumindest einer Prüfung auf offensichtliche Mängel zu unterziehen. Im Einzelfall kann unter dem Aspekt der Ad-hoc-Publizität sogar eine Pflicht bestehen, die Öffentlichkeit auf fehlende Mitteilungen oder Unrichtigkeiten hinzuweisen. Spätestens im Zuge der Vorbereitung der Hauptversammlung muss etwaigen Zweifeln nachgegangen werden.
Autor/Autorin
Dr. Thomas Zwissler
Dr. Thomas Zwissler ist Rechtsanwalt und Partner bei der ZIRNGIBL Rechtsanwälte Partnerschaft mbB. Er berät bei gesellschafts-, bank- und kapitalmarktrechtlichen Fragen sowie in allen Fragen der Unternehmensfinanzierung.