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Die Pharmabranche steht vor dem Problem, dass die Entwicklung neuer Therapeutika zwischen sieben und zehn Jahren dauert und immer komplizierter und teurer wird. Boehringer Ingelheim hat sich vor diesem Hintergrund für die Entwicklung seiner digitalen Lösung One Medicine Analytics gemeinsam mit dem Beratungsunternehmen Eraneos Germany auf die Transformation zu einer produktgetriebenen agilen Organisation eingelassen. Das Ergebnis ist eine neue Architektur für den Austausch von Prozessdaten klinischer Entwicklungsprogramme. Von Hauke Meyer und Annemarie Kulas, Eraneos Germany
One Medicine Analytics ist ein digitales Ökosystem für die Medizin, um Advanced-Data-Analytics zu realisieren und auf dieser Basis Entscheidungen treffen zu können. Boehringer wollte eine agile, performante Lösung für die hochkomplexe Daten-Landschaft, um schnelle Antworten auf operationale Fragen zu bekommen. Das Unternehmen merkte früh, dass die Lösung nicht darin lag, einfach eine große IT-Plattform zu kaufen. Es ging darum, abteilungsübergreifend für den Fachbereich Medizin eine passende Infrastruktur aufzubauen. Somit hat Boehringer es mit einer Business-Transformation zu tun, die alle Bereiche betrifft. Doch es fehlten dafür die praktischen Konzepte und auch personelle Kapazitäten im skalierten Umfeld.
Die Daten lagen verstreut und in Silos in den Datenquellen und Business-Intelligence-Lösungen der verschiedenen Medizin-Abteilungen und wurden auf eine neue technische, betriebliche und kulturelle Grundlage überführt. One Medicine Analytics bietet einen verständlichen Einblick in den Längsschnitt der Prozessdaten von klinischen Studien. So entsteht die Basis für eine funktionsübergreifende Zusammenarbeit, um mit dem unternehmensweiten Ökosystem datengestützte Entscheidungen zu treffen.
Herausforderungen und Erfolgsfaktoren
Werden digitale Projekte agil aufgesetzt, so steht deren Lebenszyklus im Mittelpunkt. Anders als bei einem Projekt gibt es keinen Anfang und kein Ende. Bei der konkreten Umsetzung steht die Frage im Mittelpunkt, auf welche Weise möglichst schnell neue Features bereitgestellt werden können.
Pharmaunternehmen stehen bei diesem Prozess vor Herausforderungen, die sich teilweise auch bei Boehringer Ingelheim finden:
- Das Umfeld ist stark reguliert. Die Einhaltung der Standards und Dokumentationsanforderungen kann mit den agilen Grundsätzen von Flexibilität und Reaktionsfähigkeit in Konflikt geraten.
- Medikamente haben lange Entwicklungszyklen. Agiles Vorgehen ist auf schnelle Phasen ausgelegt, so dass die Anpassung an kürzere Zeiträume bei gleichzeitiger Einhaltung der Standards herausfordernd sein kann.
- An der Entwicklung neuer Medikamente sind in der Regel Teams beteiligt, die oft unterschiedliche Arbeitsweisen nutzen, was die abteilungsübergreifende Zusammenarbeit erschwert.
Zentrale Faktoren für den erfolgreichen Veränderungsprozess:
- Das Management muss die Transformation anleiten und unterstützen, um das Engagement der Mitarbeitenden sicherzustellen
- Ein gemeinsames Verständnis, regelmäßige Schulungen und klare Anleitung für die neuen Rahmenbedingungen, Rollen und Verantwortungsbereiche
- Die Transformation wird nur unter Beteiligung aller Stakeholder aus den Bereichen Business und IT gelingen
Hilfreich war zudem, mit einem Minimal-Planungszyklus in die Startphase zu gehen. Nur so war es möglich, diesen komplexen Prozess in einem großen Unternehmen wie Bohringer Ingelheim in Gang bringen. Wichtig für die Akzeptanz bei den Mitarbeitenden war es, dass die Berater einen Mittelweg zwischen der bekannten Arbeit mit Best-Practices und dem freien agilen Vorgehen fanden.
Der erste gemeinsame Workshop schuf ein einheitliches Produktverständnis für die relevanten Stakeholder und ein Framework als Methodik für die Entwicklung. Es folgte ein Planungs-Workshop, um konkrete Schritte für die nächsten drei Monate zu definieren. Anschließend haben die Teams mit der Entwicklung begonnen, und die Transformationsexperten haben die Führungskräfte bei der Erarbeitung eines Betriebsmodells für die produktorientierte Entwicklung unterstützt. Der Fokus lag darauf, eine klare Struktur und Arbeitsweise für das interdisziplinäre Projektteam zu entwerfen. Schließlich entstand ein Minimal Value Product (MVP). Hierbei wird die erste Ausbaustufe eines Produktes definiert. Bereits in dieser Phase wurden Fragen des regulatorischen Umfelds relevant. Denn das Produkt muss in jeder Entwicklungsstufe mit bestimmten Regelsätzen konform sein.
One Medicine Analytics soll künftig einen zentralen Beitrag zur Erfassung und Analyse sämtlicher Daten während der Durchführung von Studien für die Medikamentenentwicklung leisten.
ZU DEN AUTOREN
Die studierte Apothekerin und Lebensmittelchemikerin Annemarie Kulas bringt ihre Expertise in der Unternehmensberatung Eraneos Germany ein. Mit Leidenschaft für Change-Management hat sie sich zusätzlich als systemischer Managementcoach weitergebildet. Diese Kombination aus naturwissenschaftlichem Know-how und Coaching-Fähigkeiten ermöglicht es ihr, maßgeschneiderte Lösungen für die dynamischen Herausforderungen ihrer Klienten zu entwickeln.
Hauke Meyer ist Organisationspsychologe und Agile Coach. Er kombiniert Transformationskompetenz mit agilen und produktorientierten Methoden, um Unternehmen bei ihrer Herausforderung zu begleiten, digitale Produkte in dynamischen Umfeldern zu entwickeln und ihre Organisation wert-orientiert auszurichten. Mit diesem Fokus unterstützt er seit fünf Jahren bei Eraneos Germany branchenübergreifenden global agierende Kunden.